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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Zustände und Aussichten in Oestreich.
2,
Das Ministerium Beust und der Föderalismus der Czechen.

Der berüchtigte wiener Narrenlhnrm kommt wieder zu Ehren. Denn wo
anders als dort könnte der tolle Wirrwarr der letzten Wochen ausgeheckt worden
sein. Man recapitulire uur die jüngsten Ereignisse-. Nach dem Septemberpa-
tente liegt der Schwerpunkt in den Landtagen, diesen soll nach den ursprüng¬
lichen Intentionen des StaatsmunsterS der Ausgleich mit den Ungarn vor¬
gelegt werden. Die Furcht vor endloser Verschleppung der ohnehin viel zu lange
verschobenen Angelegenheit führt zu dem Januarpatcnte. zur Schöpfung eines
außerordentlichen Reichsrathcs. Darüber ist man in den Regierungskrcisen
einig, daß der engere Rbichsratb zur Behandlung der ungarischen Frage incom-
petent sei, der weitere unmöglich, weil seine Existenz schon an und für sich ti
ungarische Verfassung "eg>re. Herr v. Beust läßt durch dienstwillige Federn die
Raa'richt verbreiten, ihm vor allen sei die Einberufung des außerordentlichen
Reichsrathes zu verdanken, sein staatsmännischer Blick hätte diesen glücklichen
Ausweg gefunden. Die Deutschen protestiren und agitiren, setzen alle Hebel
in Bewegung, um sich bei den Wahlen die Majorität zu sichern. Der Ausgang
der letzteren entscheidet aber gegen sie. In Unteröstreich verlieren sie die Stimmen
des Großgrundbesitzes, selbst Hafner und Tinti, die Führer der Centralisten-
Partei, unterliegen, in Böhmen ist das Verhältniß der Berfassungsfreunde zu
den alliirten Czechen und Feudalen viel ungünstiger als früher, sie gebieten nur
über 76 Stimmen gegen 104, nicht einmal die Handelskammern, sonst die
sicherste Stütze der Deutschen und Ccntralisten, sind der czechischen Agitation
unzugänglich geblieben; in Steiermark. der deutschen Kernprovinz, tauchen zur
allgemeinen Ueberraschung siegreiche slawische Deputirte auf, in Krain gewinnen
sie sogar die Majorität, auch in Galizic" verlieren die ccntralistisch gesinnten
Rutheuen zahlreiche Sitze, kurz die Regierungspolilik darf sich eines unerwarteten
Erfolges rühmen: der außerordentliche Reichsrath erscheint gesichert. In diesem'
Augenblick wird er über Vord geworfen, Beust, der Inspirator des Januar-
Patentes, protestirt gegen das letztere, Belcredi, dessen Politik durch den Aus¬
gang der Wahlen sich bewährt, wird entlassen, der durcbgefallenc Hafner als
Ministcrcandidat genannt, den Deutschen und Ecntralisten die Aussicht auf
Wiederherstellung ihrer Macht eröffnet.

Das verstehe, wer kaun. Spielt dabei nicht eine mit der Virtuosität


Zustände und Aussichten in Oestreich.
2,
Das Ministerium Beust und der Föderalismus der Czechen.

Der berüchtigte wiener Narrenlhnrm kommt wieder zu Ehren. Denn wo
anders als dort könnte der tolle Wirrwarr der letzten Wochen ausgeheckt worden
sein. Man recapitulire uur die jüngsten Ereignisse-. Nach dem Septemberpa-
tente liegt der Schwerpunkt in den Landtagen, diesen soll nach den ursprüng¬
lichen Intentionen des StaatsmunsterS der Ausgleich mit den Ungarn vor¬
gelegt werden. Die Furcht vor endloser Verschleppung der ohnehin viel zu lange
verschobenen Angelegenheit führt zu dem Januarpatcnte. zur Schöpfung eines
außerordentlichen Reichsrathcs. Darüber ist man in den Regierungskrcisen
einig, daß der engere Rbichsratb zur Behandlung der ungarischen Frage incom-
petent sei, der weitere unmöglich, weil seine Existenz schon an und für sich ti
ungarische Verfassung »eg>re. Herr v. Beust läßt durch dienstwillige Federn die
Raa'richt verbreiten, ihm vor allen sei die Einberufung des außerordentlichen
Reichsrathes zu verdanken, sein staatsmännischer Blick hätte diesen glücklichen
Ausweg gefunden. Die Deutschen protestiren und agitiren, setzen alle Hebel
in Bewegung, um sich bei den Wahlen die Majorität zu sichern. Der Ausgang
der letzteren entscheidet aber gegen sie. In Unteröstreich verlieren sie die Stimmen
des Großgrundbesitzes, selbst Hafner und Tinti, die Führer der Centralisten-
Partei, unterliegen, in Böhmen ist das Verhältniß der Berfassungsfreunde zu
den alliirten Czechen und Feudalen viel ungünstiger als früher, sie gebieten nur
über 76 Stimmen gegen 104, nicht einmal die Handelskammern, sonst die
sicherste Stütze der Deutschen und Ccntralisten, sind der czechischen Agitation
unzugänglich geblieben; in Steiermark. der deutschen Kernprovinz, tauchen zur
allgemeinen Ueberraschung siegreiche slawische Deputirte auf, in Krain gewinnen
sie sogar die Majorität, auch in Galizic» verlieren die ccntralistisch gesinnten
Rutheuen zahlreiche Sitze, kurz die Regierungspolilik darf sich eines unerwarteten
Erfolges rühmen: der außerordentliche Reichsrath erscheint gesichert. In diesem'
Augenblick wird er über Vord geworfen, Beust, der Inspirator des Januar-
Patentes, protestirt gegen das letztere, Belcredi, dessen Politik durch den Aus¬
gang der Wahlen sich bewährt, wird entlassen, der durcbgefallenc Hafner als
Ministcrcandidat genannt, den Deutschen und Ecntralisten die Aussicht auf
Wiederherstellung ihrer Macht eröffnet.

Das verstehe, wer kaun. Spielt dabei nicht eine mit der Virtuosität


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[0337] Zustände und Aussichten in Oestreich. 2, Das Ministerium Beust und der Föderalismus der Czechen. Der berüchtigte wiener Narrenlhnrm kommt wieder zu Ehren. Denn wo anders als dort könnte der tolle Wirrwarr der letzten Wochen ausgeheckt worden sein. Man recapitulire uur die jüngsten Ereignisse-. Nach dem Septemberpa- tente liegt der Schwerpunkt in den Landtagen, diesen soll nach den ursprüng¬ lichen Intentionen des StaatsmunsterS der Ausgleich mit den Ungarn vor¬ gelegt werden. Die Furcht vor endloser Verschleppung der ohnehin viel zu lange verschobenen Angelegenheit führt zu dem Januarpatcnte. zur Schöpfung eines außerordentlichen Reichsrathcs. Darüber ist man in den Regierungskrcisen einig, daß der engere Rbichsratb zur Behandlung der ungarischen Frage incom- petent sei, der weitere unmöglich, weil seine Existenz schon an und für sich ti ungarische Verfassung »eg>re. Herr v. Beust läßt durch dienstwillige Federn die Raa'richt verbreiten, ihm vor allen sei die Einberufung des außerordentlichen Reichsrathes zu verdanken, sein staatsmännischer Blick hätte diesen glücklichen Ausweg gefunden. Die Deutschen protestiren und agitiren, setzen alle Hebel in Bewegung, um sich bei den Wahlen die Majorität zu sichern. Der Ausgang der letzteren entscheidet aber gegen sie. In Unteröstreich verlieren sie die Stimmen des Großgrundbesitzes, selbst Hafner und Tinti, die Führer der Centralisten- Partei, unterliegen, in Böhmen ist das Verhältniß der Berfassungsfreunde zu den alliirten Czechen und Feudalen viel ungünstiger als früher, sie gebieten nur über 76 Stimmen gegen 104, nicht einmal die Handelskammern, sonst die sicherste Stütze der Deutschen und Ccntralisten, sind der czechischen Agitation unzugänglich geblieben; in Steiermark. der deutschen Kernprovinz, tauchen zur allgemeinen Ueberraschung siegreiche slawische Deputirte auf, in Krain gewinnen sie sogar die Majorität, auch in Galizic» verlieren die ccntralistisch gesinnten Rutheuen zahlreiche Sitze, kurz die Regierungspolilik darf sich eines unerwarteten Erfolges rühmen: der außerordentliche Reichsrath erscheint gesichert. In diesem' Augenblick wird er über Vord geworfen, Beust, der Inspirator des Januar- Patentes, protestirt gegen das letztere, Belcredi, dessen Politik durch den Aus¬ gang der Wahlen sich bewährt, wird entlassen, der durcbgefallenc Hafner als Ministcrcandidat genannt, den Deutschen und Ecntralisten die Aussicht auf Wiederherstellung ihrer Macht eröffnet. Das verstehe, wer kaun. Spielt dabei nicht eine mit der Virtuosität

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/337>, abgerufen am 27.06.2024.