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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Der Particulcmsmus giebt die Parole aus: Rettung der süddeutschen
Freiheit, kein Anschluß ein Preußen, der nur Unterjochung wäre! Er sieht nicht
oder will vielmehr nicht sehen, beiß grade der jetzige Zustand für den Süden
vvllstciitdige Abhängigkeit und Unterordnung bedeutet und daß Eintritt in den
norddeutschen Bund nur ein anderes Wort ist für den Geivinn der Gleich¬
berechtigung.

Wird man sich diesen Consequenzen auf die Dauer entziehen können,
obenein, da die Heeresreformfrage^ die wir noch näher beleuchten, den süddellt-
^. schen Staaten genau dieselben Schlußfolgerungen aufdrängt? --




Die Wahlen für den böhmischen Landtag, weint'e seit Wochen in allen
politisch und social hervorragenden Kreisen die Köpfe erhitzten, sind nun voll¬
zogen und gewähren ein Urtheil über die Neugestaltung der auf die nächsten
sechs Jahre gewählten constitutionellen Vertretungskörperschaft des Königsreichs.

Unser Landtag ist sowohl rücksichtlich der Zahl als auch der Qualität seiner
Deputirten bei weitem der bedeutendste im ganzen Kaiserstacit. Auf seinen 241
Sitzen sind die berühmtesten Namen des östreichischen Adels vertreten, und
aus dem böhmischen Landtagssaale entnahmen beide Häuser des letzten östreichi¬
schen Neichsrathes ihre Präsidenten: Fürst Karlos Auersperg und Professor
Hafner. Schon daraus erklärt sich das gesteigerte Interesse, welches den Ver¬
handlungen des böhmischen Landtages folgt. Bei dem hohen Wogengange der
politischen Stimmung Oestreichs war vollends jetzt die Aufmerksamkeit doppelt
gespannt auf die böhmische Wahlurne gerichtet.

Nach der bisher giltigen von Schmerling herrührenden Wahlordnung sind
drei Gruppen von Vertretern unterschieden: Die erste Gruppe umfaßt die Land¬
gemeinden, die zweite die Städte und Jndustrieorte, sowie die Handels- und
Gcwerbekammcrn, die dritte endlich die Großgrundbesitzer. An Leidenschaftlichkeit
kann sich der Kampf, der innerhalb dieser Kategorien geführt wurde, mit allen
gleichzeitigen Wahlkämpfen in Deutschland messen, aber seine Eigenthümlichkeit
liegt darin, daß acht der politische Standpunkt der Candidcitcn die Chancen
giebt -- sondern lediglich die Nationalität. Feüdal, klerikal, liberal und
demokratisch, diese Begriffe sind ganz in den Hintergrund gedrängt: das Idiom
der Rede ist schon der Inbegriff des politischen Programms. Im Interesse der
liberalen" Sache ist wahrhaftig ein solcher Wahlkampf nicht und wer sich darüber


Der Particulcmsmus giebt die Parole aus: Rettung der süddeutschen
Freiheit, kein Anschluß ein Preußen, der nur Unterjochung wäre! Er sieht nicht
oder will vielmehr nicht sehen, beiß grade der jetzige Zustand für den Süden
vvllstciitdige Abhängigkeit und Unterordnung bedeutet und daß Eintritt in den
norddeutschen Bund nur ein anderes Wort ist für den Geivinn der Gleich¬
berechtigung.

Wird man sich diesen Consequenzen auf die Dauer entziehen können,
obenein, da die Heeresreformfrage^ die wir noch näher beleuchten, den süddellt-
^. schen Staaten genau dieselben Schlußfolgerungen aufdrängt? —




Die Wahlen für den böhmischen Landtag, weint'e seit Wochen in allen
politisch und social hervorragenden Kreisen die Köpfe erhitzten, sind nun voll¬
zogen und gewähren ein Urtheil über die Neugestaltung der auf die nächsten
sechs Jahre gewählten constitutionellen Vertretungskörperschaft des Königsreichs.

Unser Landtag ist sowohl rücksichtlich der Zahl als auch der Qualität seiner
Deputirten bei weitem der bedeutendste im ganzen Kaiserstacit. Auf seinen 241
Sitzen sind die berühmtesten Namen des östreichischen Adels vertreten, und
aus dem böhmischen Landtagssaale entnahmen beide Häuser des letzten östreichi¬
schen Neichsrathes ihre Präsidenten: Fürst Karlos Auersperg und Professor
Hafner. Schon daraus erklärt sich das gesteigerte Interesse, welches den Ver¬
handlungen des böhmischen Landtages folgt. Bei dem hohen Wogengange der
politischen Stimmung Oestreichs war vollends jetzt die Aufmerksamkeit doppelt
gespannt auf die böhmische Wahlurne gerichtet.

Nach der bisher giltigen von Schmerling herrührenden Wahlordnung sind
drei Gruppen von Vertretern unterschieden: Die erste Gruppe umfaßt die Land¬
gemeinden, die zweite die Städte und Jndustrieorte, sowie die Handels- und
Gcwerbekammcrn, die dritte endlich die Großgrundbesitzer. An Leidenschaftlichkeit
kann sich der Kampf, der innerhalb dieser Kategorien geführt wurde, mit allen
gleichzeitigen Wahlkämpfen in Deutschland messen, aber seine Eigenthümlichkeit
liegt darin, daß acht der politische Standpunkt der Candidcitcn die Chancen
giebt — sondern lediglich die Nationalität. Feüdal, klerikal, liberal und
demokratisch, diese Begriffe sind ganz in den Hintergrund gedrängt: das Idiom
der Rede ist schon der Inbegriff des politischen Programms. Im Interesse der
liberalen" Sache ist wahrhaftig ein solcher Wahlkampf nicht und wer sich darüber


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[0327] Der Particulcmsmus giebt die Parole aus: Rettung der süddeutschen Freiheit, kein Anschluß ein Preußen, der nur Unterjochung wäre! Er sieht nicht oder will vielmehr nicht sehen, beiß grade der jetzige Zustand für den Süden vvllstciitdige Abhängigkeit und Unterordnung bedeutet und daß Eintritt in den norddeutschen Bund nur ein anderes Wort ist für den Geivinn der Gleich¬ berechtigung. Wird man sich diesen Consequenzen auf die Dauer entziehen können, obenein, da die Heeresreformfrage^ die wir noch näher beleuchten, den süddellt- ^. schen Staaten genau dieselben Schlußfolgerungen aufdrängt? — Die Wahlen für den böhmischen Landtag, weint'e seit Wochen in allen politisch und social hervorragenden Kreisen die Köpfe erhitzten, sind nun voll¬ zogen und gewähren ein Urtheil über die Neugestaltung der auf die nächsten sechs Jahre gewählten constitutionellen Vertretungskörperschaft des Königsreichs. Unser Landtag ist sowohl rücksichtlich der Zahl als auch der Qualität seiner Deputirten bei weitem der bedeutendste im ganzen Kaiserstacit. Auf seinen 241 Sitzen sind die berühmtesten Namen des östreichischen Adels vertreten, und aus dem böhmischen Landtagssaale entnahmen beide Häuser des letzten östreichi¬ schen Neichsrathes ihre Präsidenten: Fürst Karlos Auersperg und Professor Hafner. Schon daraus erklärt sich das gesteigerte Interesse, welches den Ver¬ handlungen des böhmischen Landtages folgt. Bei dem hohen Wogengange der politischen Stimmung Oestreichs war vollends jetzt die Aufmerksamkeit doppelt gespannt auf die böhmische Wahlurne gerichtet. Nach der bisher giltigen von Schmerling herrührenden Wahlordnung sind drei Gruppen von Vertretern unterschieden: Die erste Gruppe umfaßt die Land¬ gemeinden, die zweite die Städte und Jndustrieorte, sowie die Handels- und Gcwerbekammcrn, die dritte endlich die Großgrundbesitzer. An Leidenschaftlichkeit kann sich der Kampf, der innerhalb dieser Kategorien geführt wurde, mit allen gleichzeitigen Wahlkämpfen in Deutschland messen, aber seine Eigenthümlichkeit liegt darin, daß acht der politische Standpunkt der Candidcitcn die Chancen giebt — sondern lediglich die Nationalität. Feüdal, klerikal, liberal und demokratisch, diese Begriffe sind ganz in den Hintergrund gedrängt: das Idiom der Rede ist schon der Inbegriff des politischen Programms. Im Interesse der liberalen" Sache ist wahrhaftig ein solcher Wahlkampf nicht und wer sich darüber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/327>, abgerufen am 27.06.2024.