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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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wir unsern Lesern noch Rechenschaft schuldist über die gegenwärtigen ethno¬
graphischen Verhältnisse Galiziens und die Geographie der polnischen Sprache
in diesem Lande. Darüber soll in dem nächsten Artikel berichtet und sodann
die Summe unserer Resultate gezogen werden.




Die europäischen Türken.

Die Ereignisse in Kreta, die Bewegungen in Thessalien und Epirus lenken
von neuem die Aufmerksamkeit aus den Orient. Es scheint, als sollte nach den
gewaltigen Borgängen, welche sich auf deutscher Erde vor unsern Augen voll¬
zogen haben, zunächst wieder einmal der classische Winkel tief in der Türkei
die "Tenne des Ares" abgeben. Unsere natürlichen Sympathien sind fast un¬
geteilt bei den Griechen als den "Unterdrückten, den Glaubensgenossen, den
jugendlichen Vertretern einer hoffnungsreichen Zukunft" gegenüber den alters¬
schwachen Repräsentanten in Auflösung begriffener Zustände. Aber diese natür¬
lichen und berechtigten Sympathien dürfen den Blick nicht trüben; daran zu
erinnern ist um so nöthiger, als die Vorstellungen des großen Publikums über
die Türken trotz Eisenbahn und Dampfschifffahrt, die auch sie uns so viel näher
gebracht haben, im Allgemeinen doch immer noch unglaublich naiv sind. Langer
Aufenthalt in Konstantinopel ist gar nicht einmal erforderlich, um die Erfah¬
rung zu machen, die sich in der Aeußerung jenes preußischen Lieutenants und
Cadettenlehrers aussprach, den wir in Smyrna an, Bord trafen: "Das Erste,
was ich in Berlin nach meiner Rückkehr zu thun habe," meinte er, "ist, daß
ich vor meinen Schülern alle die verkehrten landläufigen Vorstellungen aus¬
drücklich zurücknehme oder berichtige, welche ich ihnen noch am Tage vor meiner
Abreise in der letzten Geographicstunde über die Türkei aufgetischt habe." Wer
unbefangenen und aufmerksamen Sinnes in Konstantinopel zu beobachten ver¬
steht, dem geht es ebenso; wer aber in längerem Aufenthalt Stadt und Volk
näher kennen zu lernen Gelegenheit hatte, der fühlt es gradezu als eine Ver¬
pflichtung, den unwahren und phantastischen Vorstellungen, welche bei uns aller
Orten über Konstantinopel und die Türkei noch immer im Schwange sind, ent¬
gegenzutreten.

Die Schuld jener Erscheinung liegt nicht im Publikum, sondern in der


wir unsern Lesern noch Rechenschaft schuldist über die gegenwärtigen ethno¬
graphischen Verhältnisse Galiziens und die Geographie der polnischen Sprache
in diesem Lande. Darüber soll in dem nächsten Artikel berichtet und sodann
die Summe unserer Resultate gezogen werden.




Die europäischen Türken.

Die Ereignisse in Kreta, die Bewegungen in Thessalien und Epirus lenken
von neuem die Aufmerksamkeit aus den Orient. Es scheint, als sollte nach den
gewaltigen Borgängen, welche sich auf deutscher Erde vor unsern Augen voll¬
zogen haben, zunächst wieder einmal der classische Winkel tief in der Türkei
die „Tenne des Ares" abgeben. Unsere natürlichen Sympathien sind fast un¬
geteilt bei den Griechen als den „Unterdrückten, den Glaubensgenossen, den
jugendlichen Vertretern einer hoffnungsreichen Zukunft" gegenüber den alters¬
schwachen Repräsentanten in Auflösung begriffener Zustände. Aber diese natür¬
lichen und berechtigten Sympathien dürfen den Blick nicht trüben; daran zu
erinnern ist um so nöthiger, als die Vorstellungen des großen Publikums über
die Türken trotz Eisenbahn und Dampfschifffahrt, die auch sie uns so viel näher
gebracht haben, im Allgemeinen doch immer noch unglaublich naiv sind. Langer
Aufenthalt in Konstantinopel ist gar nicht einmal erforderlich, um die Erfah¬
rung zu machen, die sich in der Aeußerung jenes preußischen Lieutenants und
Cadettenlehrers aussprach, den wir in Smyrna an, Bord trafen: „Das Erste,
was ich in Berlin nach meiner Rückkehr zu thun habe," meinte er, „ist, daß
ich vor meinen Schülern alle die verkehrten landläufigen Vorstellungen aus¬
drücklich zurücknehme oder berichtige, welche ich ihnen noch am Tage vor meiner
Abreise in der letzten Geographicstunde über die Türkei aufgetischt habe." Wer
unbefangenen und aufmerksamen Sinnes in Konstantinopel zu beobachten ver¬
steht, dem geht es ebenso; wer aber in längerem Aufenthalt Stadt und Volk
näher kennen zu lernen Gelegenheit hatte, der fühlt es gradezu als eine Ver¬
pflichtung, den unwahren und phantastischen Vorstellungen, welche bei uns aller
Orten über Konstantinopel und die Türkei noch immer im Schwange sind, ent¬
gegenzutreten.

Die Schuld jener Erscheinung liegt nicht im Publikum, sondern in der


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[0265] wir unsern Lesern noch Rechenschaft schuldist über die gegenwärtigen ethno¬ graphischen Verhältnisse Galiziens und die Geographie der polnischen Sprache in diesem Lande. Darüber soll in dem nächsten Artikel berichtet und sodann die Summe unserer Resultate gezogen werden. Die europäischen Türken. Die Ereignisse in Kreta, die Bewegungen in Thessalien und Epirus lenken von neuem die Aufmerksamkeit aus den Orient. Es scheint, als sollte nach den gewaltigen Borgängen, welche sich auf deutscher Erde vor unsern Augen voll¬ zogen haben, zunächst wieder einmal der classische Winkel tief in der Türkei die „Tenne des Ares" abgeben. Unsere natürlichen Sympathien sind fast un¬ geteilt bei den Griechen als den „Unterdrückten, den Glaubensgenossen, den jugendlichen Vertretern einer hoffnungsreichen Zukunft" gegenüber den alters¬ schwachen Repräsentanten in Auflösung begriffener Zustände. Aber diese natür¬ lichen und berechtigten Sympathien dürfen den Blick nicht trüben; daran zu erinnern ist um so nöthiger, als die Vorstellungen des großen Publikums über die Türken trotz Eisenbahn und Dampfschifffahrt, die auch sie uns so viel näher gebracht haben, im Allgemeinen doch immer noch unglaublich naiv sind. Langer Aufenthalt in Konstantinopel ist gar nicht einmal erforderlich, um die Erfah¬ rung zu machen, die sich in der Aeußerung jenes preußischen Lieutenants und Cadettenlehrers aussprach, den wir in Smyrna an, Bord trafen: „Das Erste, was ich in Berlin nach meiner Rückkehr zu thun habe," meinte er, „ist, daß ich vor meinen Schülern alle die verkehrten landläufigen Vorstellungen aus¬ drücklich zurücknehme oder berichtige, welche ich ihnen noch am Tage vor meiner Abreise in der letzten Geographicstunde über die Türkei aufgetischt habe." Wer unbefangenen und aufmerksamen Sinnes in Konstantinopel zu beobachten ver¬ steht, dem geht es ebenso; wer aber in längerem Aufenthalt Stadt und Volk näher kennen zu lernen Gelegenheit hatte, der fühlt es gradezu als eine Ver¬ pflichtung, den unwahren und phantastischen Vorstellungen, welche bei uns aller Orten über Konstantinopel und die Türkei noch immer im Schwange sind, ent¬ gegenzutreten. Die Schuld jener Erscheinung liegt nicht im Publikum, sondern in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/265>, abgerufen am 22.12.2024.