Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Alphabet datirt bekanntlich erst aus der Zeit Peters des Großen und wird nur
in der weltlichen Literatur angewandt; so lange es in Nußland nur eine kirch¬
liche Literatur gab. kannte man in Galizien wie jenseit der russischen Grenze
nur die schwerfälligen slawouisch - kyrillischen Lettern, welche noch heute die offi-
ciellen schriftlichen der griechischen Kirche sind. Um die "ruthenische Stammes¬
eigenthümlichkeit" zu wahren, schlug Goluchowski das Verbot "moskowitischer
Schriftzeichen" und die Einführung eines neuen, der lateinischen Schreibart
verwandteren Alphabets vor. das er von einer aus Polen, Czechen und ins
polnische Interesse gezogenen Ruthenen zusammengesetzten wiener Commission
herstellen ließ. Diese unverständige Maßregel scheiterte an der lebhaften Oppo¬
sition, welche das gesammte russisch-galizische Volk vom Metropoliten Gregory
Jakimowitsch bis zu den Schülern des lcmberger Gymnasiums herab bekundete
und als wenig später das Ministerium Schmerling an die Spitze der Geschäfte
trat und zu Gunsten des Centralisinus für die Ruthenen und gegen die Polen
Partei nahm, mußte Goluchowski zurücktreten. Die ihm vielfach Schuld ge¬
gebene Bedrückung des Bauernstandes und der griechischen Kirche ist zum größten
Theil eine Erfindung seiner Gegner, selbst die erbitterten lemberger Correspon-
denzen, welche die Petersburger Blätter der fünfziger Jahre veröffentlichten,
geben nach dieser Seite hin nirgend positive Daten. I" kirchlichen Dingen
betonte Goluchowski die organische Verbindung, in welche die griechische Kirche
Galiziens zufolge der Union zur katholischen getreten war, in politischen suchte
er den polnischen Charakter, den die Grundlagen des öffentlichen Lebens von
Alters her trugen, möglichst geltend zu machen, die russischen Galizier von der
Verbindung mit der Presse und den Tendenzen des russischen Reichs und Von
der Abschleifung der Eigenthümlichkeiten ihres Dialektes fern zu halten. Daß
auf diesem Gebiete Beeinträchtigungen der Presse und Literatur, tendenziöse
Bevorzugungen polnischer Einflüsse vorkamen, läßt sich selbstverständlich nicht
läugnen.

Die galizische Geschichte der letzten Jahre läßt sich in wenigen Zeilen zu¬
sammenfassen: Schmerling begünstigte nach dem Vorbilde der Stadion und
Schwarzenberg das russische Volksthum und erreichte damit, daß die ruthenischen
Deputirten des wiener Reichstags zu den ergebensten Anhängern des Einheits¬
staats gehörten, während die Polen sich ausnahmslos auf die Seite der Föde¬
ralisten stellten. Die neue belcredische Aera hat den Grasen Goluchowski reha-
bilitirt, den Nationalitätcntampf in Galizien neu geschürt und für den in solchen
Fällen üblich gewordenen lemberger Schmerzensschrei gesorgt, dessen Echo seit
Monaten in der gesammten russischen Presse wiederhallt.

Zur Gewinnung der richtigen Gesichtspunkte für die Stellung Rußlands
zu dem Nationalitätenkampf in Galizien bedarf es einer Rekapitulation der
russisch-Polnischen Ereignisse mindestens der letzten zwei Jahre; überdies sind


Alphabet datirt bekanntlich erst aus der Zeit Peters des Großen und wird nur
in der weltlichen Literatur angewandt; so lange es in Nußland nur eine kirch¬
liche Literatur gab. kannte man in Galizien wie jenseit der russischen Grenze
nur die schwerfälligen slawouisch - kyrillischen Lettern, welche noch heute die offi-
ciellen schriftlichen der griechischen Kirche sind. Um die „ruthenische Stammes¬
eigenthümlichkeit" zu wahren, schlug Goluchowski das Verbot „moskowitischer
Schriftzeichen" und die Einführung eines neuen, der lateinischen Schreibart
verwandteren Alphabets vor. das er von einer aus Polen, Czechen und ins
polnische Interesse gezogenen Ruthenen zusammengesetzten wiener Commission
herstellen ließ. Diese unverständige Maßregel scheiterte an der lebhaften Oppo¬
sition, welche das gesammte russisch-galizische Volk vom Metropoliten Gregory
Jakimowitsch bis zu den Schülern des lcmberger Gymnasiums herab bekundete
und als wenig später das Ministerium Schmerling an die Spitze der Geschäfte
trat und zu Gunsten des Centralisinus für die Ruthenen und gegen die Polen
Partei nahm, mußte Goluchowski zurücktreten. Die ihm vielfach Schuld ge¬
gebene Bedrückung des Bauernstandes und der griechischen Kirche ist zum größten
Theil eine Erfindung seiner Gegner, selbst die erbitterten lemberger Correspon-
denzen, welche die Petersburger Blätter der fünfziger Jahre veröffentlichten,
geben nach dieser Seite hin nirgend positive Daten. I» kirchlichen Dingen
betonte Goluchowski die organische Verbindung, in welche die griechische Kirche
Galiziens zufolge der Union zur katholischen getreten war, in politischen suchte
er den polnischen Charakter, den die Grundlagen des öffentlichen Lebens von
Alters her trugen, möglichst geltend zu machen, die russischen Galizier von der
Verbindung mit der Presse und den Tendenzen des russischen Reichs und Von
der Abschleifung der Eigenthümlichkeiten ihres Dialektes fern zu halten. Daß
auf diesem Gebiete Beeinträchtigungen der Presse und Literatur, tendenziöse
Bevorzugungen polnischer Einflüsse vorkamen, läßt sich selbstverständlich nicht
läugnen.

Die galizische Geschichte der letzten Jahre läßt sich in wenigen Zeilen zu¬
sammenfassen: Schmerling begünstigte nach dem Vorbilde der Stadion und
Schwarzenberg das russische Volksthum und erreichte damit, daß die ruthenischen
Deputirten des wiener Reichstags zu den ergebensten Anhängern des Einheits¬
staats gehörten, während die Polen sich ausnahmslos auf die Seite der Föde¬
ralisten stellten. Die neue belcredische Aera hat den Grasen Goluchowski reha-
bilitirt, den Nationalitätcntampf in Galizien neu geschürt und für den in solchen
Fällen üblich gewordenen lemberger Schmerzensschrei gesorgt, dessen Echo seit
Monaten in der gesammten russischen Presse wiederhallt.

Zur Gewinnung der richtigen Gesichtspunkte für die Stellung Rußlands
zu dem Nationalitätenkampf in Galizien bedarf es einer Rekapitulation der
russisch-Polnischen Ereignisse mindestens der letzten zwei Jahre; überdies sind


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190423"/>
          <p xml:id="ID_910" prev="#ID_909"> Alphabet datirt bekanntlich erst aus der Zeit Peters des Großen und wird nur<lb/>
in der weltlichen Literatur angewandt; so lange es in Nußland nur eine kirch¬<lb/>
liche Literatur gab. kannte man in Galizien wie jenseit der russischen Grenze<lb/>
nur die schwerfälligen slawouisch - kyrillischen Lettern, welche noch heute die offi-<lb/>
ciellen schriftlichen der griechischen Kirche sind. Um die &#x201E;ruthenische Stammes¬<lb/>
eigenthümlichkeit" zu wahren, schlug Goluchowski das Verbot &#x201E;moskowitischer<lb/>
Schriftzeichen" und die Einführung eines neuen, der lateinischen Schreibart<lb/>
verwandteren Alphabets vor. das er von einer aus Polen, Czechen und ins<lb/>
polnische Interesse gezogenen Ruthenen zusammengesetzten wiener Commission<lb/>
herstellen ließ. Diese unverständige Maßregel scheiterte an der lebhaften Oppo¬<lb/>
sition, welche das gesammte russisch-galizische Volk vom Metropoliten Gregory<lb/>
Jakimowitsch bis zu den Schülern des lcmberger Gymnasiums herab bekundete<lb/>
und als wenig später das Ministerium Schmerling an die Spitze der Geschäfte<lb/>
trat und zu Gunsten des Centralisinus für die Ruthenen und gegen die Polen<lb/>
Partei nahm, mußte Goluchowski zurücktreten. Die ihm vielfach Schuld ge¬<lb/>
gebene Bedrückung des Bauernstandes und der griechischen Kirche ist zum größten<lb/>
Theil eine Erfindung seiner Gegner, selbst die erbitterten lemberger Correspon-<lb/>
denzen, welche die Petersburger Blätter der fünfziger Jahre veröffentlichten,<lb/>
geben nach dieser Seite hin nirgend positive Daten. I» kirchlichen Dingen<lb/>
betonte Goluchowski die organische Verbindung, in welche die griechische Kirche<lb/>
Galiziens zufolge der Union zur katholischen getreten war, in politischen suchte<lb/>
er den polnischen Charakter, den die Grundlagen des öffentlichen Lebens von<lb/>
Alters her trugen, möglichst geltend zu machen, die russischen Galizier von der<lb/>
Verbindung mit der Presse und den Tendenzen des russischen Reichs und Von<lb/>
der Abschleifung der Eigenthümlichkeiten ihres Dialektes fern zu halten. Daß<lb/>
auf diesem Gebiete Beeinträchtigungen der Presse und Literatur, tendenziöse<lb/>
Bevorzugungen polnischer Einflüsse vorkamen, läßt sich selbstverständlich nicht<lb/>
läugnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_911"> Die galizische Geschichte der letzten Jahre läßt sich in wenigen Zeilen zu¬<lb/>
sammenfassen: Schmerling begünstigte nach dem Vorbilde der Stadion und<lb/>
Schwarzenberg das russische Volksthum und erreichte damit, daß die ruthenischen<lb/>
Deputirten des wiener Reichstags zu den ergebensten Anhängern des Einheits¬<lb/>
staats gehörten, während die Polen sich ausnahmslos auf die Seite der Föde¬<lb/>
ralisten stellten. Die neue belcredische Aera hat den Grasen Goluchowski reha-<lb/>
bilitirt, den Nationalitätcntampf in Galizien neu geschürt und für den in solchen<lb/>
Fällen üblich gewordenen lemberger Schmerzensschrei gesorgt, dessen Echo seit<lb/>
Monaten in der gesammten russischen Presse wiederhallt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_912" next="#ID_913"> Zur Gewinnung der richtigen Gesichtspunkte für die Stellung Rußlands<lb/>
zu dem Nationalitätenkampf in Galizien bedarf es einer Rekapitulation der<lb/>
russisch-Polnischen Ereignisse mindestens der letzten zwei Jahre; überdies sind</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0264] Alphabet datirt bekanntlich erst aus der Zeit Peters des Großen und wird nur in der weltlichen Literatur angewandt; so lange es in Nußland nur eine kirch¬ liche Literatur gab. kannte man in Galizien wie jenseit der russischen Grenze nur die schwerfälligen slawouisch - kyrillischen Lettern, welche noch heute die offi- ciellen schriftlichen der griechischen Kirche sind. Um die „ruthenische Stammes¬ eigenthümlichkeit" zu wahren, schlug Goluchowski das Verbot „moskowitischer Schriftzeichen" und die Einführung eines neuen, der lateinischen Schreibart verwandteren Alphabets vor. das er von einer aus Polen, Czechen und ins polnische Interesse gezogenen Ruthenen zusammengesetzten wiener Commission herstellen ließ. Diese unverständige Maßregel scheiterte an der lebhaften Oppo¬ sition, welche das gesammte russisch-galizische Volk vom Metropoliten Gregory Jakimowitsch bis zu den Schülern des lcmberger Gymnasiums herab bekundete und als wenig später das Ministerium Schmerling an die Spitze der Geschäfte trat und zu Gunsten des Centralisinus für die Ruthenen und gegen die Polen Partei nahm, mußte Goluchowski zurücktreten. Die ihm vielfach Schuld ge¬ gebene Bedrückung des Bauernstandes und der griechischen Kirche ist zum größten Theil eine Erfindung seiner Gegner, selbst die erbitterten lemberger Correspon- denzen, welche die Petersburger Blätter der fünfziger Jahre veröffentlichten, geben nach dieser Seite hin nirgend positive Daten. I» kirchlichen Dingen betonte Goluchowski die organische Verbindung, in welche die griechische Kirche Galiziens zufolge der Union zur katholischen getreten war, in politischen suchte er den polnischen Charakter, den die Grundlagen des öffentlichen Lebens von Alters her trugen, möglichst geltend zu machen, die russischen Galizier von der Verbindung mit der Presse und den Tendenzen des russischen Reichs und Von der Abschleifung der Eigenthümlichkeiten ihres Dialektes fern zu halten. Daß auf diesem Gebiete Beeinträchtigungen der Presse und Literatur, tendenziöse Bevorzugungen polnischer Einflüsse vorkamen, läßt sich selbstverständlich nicht läugnen. Die galizische Geschichte der letzten Jahre läßt sich in wenigen Zeilen zu¬ sammenfassen: Schmerling begünstigte nach dem Vorbilde der Stadion und Schwarzenberg das russische Volksthum und erreichte damit, daß die ruthenischen Deputirten des wiener Reichstags zu den ergebensten Anhängern des Einheits¬ staats gehörten, während die Polen sich ausnahmslos auf die Seite der Föde¬ ralisten stellten. Die neue belcredische Aera hat den Grasen Goluchowski reha- bilitirt, den Nationalitätcntampf in Galizien neu geschürt und für den in solchen Fällen üblich gewordenen lemberger Schmerzensschrei gesorgt, dessen Echo seit Monaten in der gesammten russischen Presse wiederhallt. Zur Gewinnung der richtigen Gesichtspunkte für die Stellung Rußlands zu dem Nationalitätenkampf in Galizien bedarf es einer Rekapitulation der russisch-Polnischen Ereignisse mindestens der letzten zwei Jahre; überdies sind

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/264
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/264>, abgerufen am 22.12.2024.