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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Lose Ranken. Ein Büchlein Catnllischcr Lieder von W. Storck. Münster,
Brunn.

Daß man auch unsere prüde Damenwelt mit dem Geiste des liebenswürdigsten
aller altrömischen nnrnvo-is snM" ohne gröbliche Anstandsverletzuug bekannt zu
machen vermag, beweist dieses zierlich ausgestattete Büchlein. Hier ist in der That
Entull im Frack, zahm und maßvoll wie ein ncucreirtcr Geheimrath, in glatten un¬
gefährlichen Reimen seine lateinischen Entsetzlichkeiten übertünchend; nur wenige hier
und da hervorguckende studentische Reminiscenzen müßten ihm noch gestutzt werden,
um ihn in dieser Gestalt ganz salonfähig zu machen. Zu einer Nachbildung von
dauerndem Werthe fehlt dem Versuch freilich die Schärfe und Unbefangenheit des
Ausdrucks; doch nicht jedem ist gegeben, so wie unser geistreicher Aristophnncsüber-
setzcr zu beweisen, daß auch die leichtblütigste" antiken Charaktere deutsch nach¬
zubilden find.


Gedichte von Stephan Milow. Zweite vermehrte Ausgabe. Heidel¬
berg, Weiß.

Stephan Milow besitzt ein nicht zu verachtendes Dichtcrtalcut; einige seiner
Sachen -- ein Gedicht an Friedrich Hebbel, einige sinnige Naturschilderungen,
mehre wohlgerundete Sonette und Elegien -- sind sogar vortrefflich zu nennen ;
bei vielen derselben geht es uns jedoch leivcr wie bei den meisten modernen Musik¬
stückein zuerst fühlen wir uns durch einige anmuthig harmonische Klänge angezogen,
dann aber erlahmt und versandet die Durchführung; wir haben keine fehlerhaften
Auswüchse zu tadeln, aber die vorhandenen Motive vermögen weder durch Tiefe des
Gehalts, noch durch Originalität des Ausdrucks wahrhaft zu fesseln. Der neue Ro¬
man desselben Autors


Verlornes Glück. Heidelberg, ebendaselbst,

ist nicht uninteressant angelegt, doch vermögen wir uns für die Heldin, die von
ihrem ersten Geliebten verführt wird, sich dann einem edlen Manne, der ihren Fehl¬
tritt kennt, verlobt, diesem aber die Treue bricht, um einen Dritten z" heirathen,
und sich, als plötzlich ihr erster Geliebter zurückkehrt, schließlich vergiftet, durchaus
nicht zu erwärmen. Dazu kommt, daß der Verfasser hier wie in den Gedichten
immer das ganze Gefühl der jedesmaligen Stimmung in Worten zu erschöpfen ver¬
sucht und demzufolge im Dialag oft sehr banal und wässerig wird.

Als eine musterhaft geschriebene kleine Erzählung empfehlen wir:


Von Jenseit des Meeres. Novelle von Theodor Storm. Schleswig,
Schulbuchhandlung.

Hier, wo uns nach dem Vorgang der italienischen Novelle" Paul Heyses eine
fremdländische Natur (Crcolin), eingefaßt in den Nahmen deutschen Lebens und
deutscher Liebe dargestellt wird, ist fast jeder Zug frisch und originell ohne unnatür¬
d. lich zu sein.




Verantwortlichem Redacteur-. Gustav Frcytiig.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von Hüthcl <d Legler in Leipzig.
Lose Ranken. Ein Büchlein Catnllischcr Lieder von W. Storck. Münster,
Brunn.

Daß man auch unsere prüde Damenwelt mit dem Geiste des liebenswürdigsten
aller altrömischen nnrnvo-is snM« ohne gröbliche Anstandsverletzuug bekannt zu
machen vermag, beweist dieses zierlich ausgestattete Büchlein. Hier ist in der That
Entull im Frack, zahm und maßvoll wie ein ncucreirtcr Geheimrath, in glatten un¬
gefährlichen Reimen seine lateinischen Entsetzlichkeiten übertünchend; nur wenige hier
und da hervorguckende studentische Reminiscenzen müßten ihm noch gestutzt werden,
um ihn in dieser Gestalt ganz salonfähig zu machen. Zu einer Nachbildung von
dauerndem Werthe fehlt dem Versuch freilich die Schärfe und Unbefangenheit des
Ausdrucks; doch nicht jedem ist gegeben, so wie unser geistreicher Aristophnncsüber-
setzcr zu beweisen, daß auch die leichtblütigste» antiken Charaktere deutsch nach¬
zubilden find.


Gedichte von Stephan Milow. Zweite vermehrte Ausgabe. Heidel¬
berg, Weiß.

Stephan Milow besitzt ein nicht zu verachtendes Dichtcrtalcut; einige seiner
Sachen — ein Gedicht an Friedrich Hebbel, einige sinnige Naturschilderungen,
mehre wohlgerundete Sonette und Elegien — sind sogar vortrefflich zu nennen ;
bei vielen derselben geht es uns jedoch leivcr wie bei den meisten modernen Musik¬
stückein zuerst fühlen wir uns durch einige anmuthig harmonische Klänge angezogen,
dann aber erlahmt und versandet die Durchführung; wir haben keine fehlerhaften
Auswüchse zu tadeln, aber die vorhandenen Motive vermögen weder durch Tiefe des
Gehalts, noch durch Originalität des Ausdrucks wahrhaft zu fesseln. Der neue Ro¬
man desselben Autors


Verlornes Glück. Heidelberg, ebendaselbst,

ist nicht uninteressant angelegt, doch vermögen wir uns für die Heldin, die von
ihrem ersten Geliebten verführt wird, sich dann einem edlen Manne, der ihren Fehl¬
tritt kennt, verlobt, diesem aber die Treue bricht, um einen Dritten z» heirathen,
und sich, als plötzlich ihr erster Geliebter zurückkehrt, schließlich vergiftet, durchaus
nicht zu erwärmen. Dazu kommt, daß der Verfasser hier wie in den Gedichten
immer das ganze Gefühl der jedesmaligen Stimmung in Worten zu erschöpfen ver¬
sucht und demzufolge im Dialag oft sehr banal und wässerig wird.

Als eine musterhaft geschriebene kleine Erzählung empfehlen wir:


Von Jenseit des Meeres. Novelle von Theodor Storm. Schleswig,
Schulbuchhandlung.

Hier, wo uns nach dem Vorgang der italienischen Novelle» Paul Heyses eine
fremdländische Natur (Crcolin), eingefaßt in den Nahmen deutschen Lebens und
deutscher Liebe dargestellt wird, ist fast jeder Zug frisch und originell ohne unnatür¬
d. lich zu sein.




Verantwortlichem Redacteur-. Gustav Frcytiig.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthcl <d Legler in Leipzig.
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[0210] Lose Ranken. Ein Büchlein Catnllischcr Lieder von W. Storck. Münster, Brunn. Daß man auch unsere prüde Damenwelt mit dem Geiste des liebenswürdigsten aller altrömischen nnrnvo-is snM« ohne gröbliche Anstandsverletzuug bekannt zu machen vermag, beweist dieses zierlich ausgestattete Büchlein. Hier ist in der That Entull im Frack, zahm und maßvoll wie ein ncucreirtcr Geheimrath, in glatten un¬ gefährlichen Reimen seine lateinischen Entsetzlichkeiten übertünchend; nur wenige hier und da hervorguckende studentische Reminiscenzen müßten ihm noch gestutzt werden, um ihn in dieser Gestalt ganz salonfähig zu machen. Zu einer Nachbildung von dauerndem Werthe fehlt dem Versuch freilich die Schärfe und Unbefangenheit des Ausdrucks; doch nicht jedem ist gegeben, so wie unser geistreicher Aristophnncsüber- setzcr zu beweisen, daß auch die leichtblütigste» antiken Charaktere deutsch nach¬ zubilden find. Gedichte von Stephan Milow. Zweite vermehrte Ausgabe. Heidel¬ berg, Weiß. Stephan Milow besitzt ein nicht zu verachtendes Dichtcrtalcut; einige seiner Sachen — ein Gedicht an Friedrich Hebbel, einige sinnige Naturschilderungen, mehre wohlgerundete Sonette und Elegien — sind sogar vortrefflich zu nennen ; bei vielen derselben geht es uns jedoch leivcr wie bei den meisten modernen Musik¬ stückein zuerst fühlen wir uns durch einige anmuthig harmonische Klänge angezogen, dann aber erlahmt und versandet die Durchführung; wir haben keine fehlerhaften Auswüchse zu tadeln, aber die vorhandenen Motive vermögen weder durch Tiefe des Gehalts, noch durch Originalität des Ausdrucks wahrhaft zu fesseln. Der neue Ro¬ man desselben Autors Verlornes Glück. Heidelberg, ebendaselbst, ist nicht uninteressant angelegt, doch vermögen wir uns für die Heldin, die von ihrem ersten Geliebten verführt wird, sich dann einem edlen Manne, der ihren Fehl¬ tritt kennt, verlobt, diesem aber die Treue bricht, um einen Dritten z» heirathen, und sich, als plötzlich ihr erster Geliebter zurückkehrt, schließlich vergiftet, durchaus nicht zu erwärmen. Dazu kommt, daß der Verfasser hier wie in den Gedichten immer das ganze Gefühl der jedesmaligen Stimmung in Worten zu erschöpfen ver¬ sucht und demzufolge im Dialag oft sehr banal und wässerig wird. Als eine musterhaft geschriebene kleine Erzählung empfehlen wir: Von Jenseit des Meeres. Novelle von Theodor Storm. Schleswig, Schulbuchhandlung. Hier, wo uns nach dem Vorgang der italienischen Novelle» Paul Heyses eine fremdländische Natur (Crcolin), eingefaßt in den Nahmen deutschen Lebens und deutscher Liebe dargestellt wird, ist fast jeder Zug frisch und originell ohne unnatür¬ d. lich zu sein. Verantwortlichem Redacteur-. Gustav Frcytiig. Verlag von F. L. Herbig. — Druck von Hüthcl <d Legler in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/210>, abgerufen am 27.06.2024.