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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Die Parlamentsreform in England.
i.

Die Parlamentsreform, welche Lord Rüssel zum ersten Mal 18S2 wieder¬
aufnahm, ist heute zur entscheidenden Frage der ganzen englischen Politik ge¬
worden, sie hat das letzte Ministerium gestürzt, von ihr wird das Schicksal des
gegenwärtigen abhängen. Wie sehr auch die Parteien auseinandergehen, darin
sind alle einig, daß die Lösung nicht länger verschoben werden darf; und mit
derselben Gewißheit darf man sagen, daß nur eine ernsthaft gemeinte Maßregel
Aussicht auf Erfolg hat. Die bevorstehende Session dürfte daher wohl bedeut¬
samer sein als irgendeine seit 1846, wo Peel mit der Aufhebung der Korn-
gesetze dem Freihandel Bahn brach. Um im Gewirre der streitenden Parteien
für die Frage das rechte Verständniß zu gewinnen, wird es nöthig sein etwas
weiter zurückzugreifen.

Bis 1832 erlitt das Haus der Gemeinen wenig Aenderungen, soweit die¬
selben nicht aus dem wechselnden Zustand der Gesellschaft hervorgingen. Unter
den Tudors waren seine Functionen nicht wichtig genug, um einen Sitz im
Hause als besonders wünschenswerth für den politischen Ehrgeiz erscheinen zu
lassen, das Parlament beschränkte sich auf die "wamtLiiairev ot Ja>v unä ro-
ÜILLL vt' Al'iöVÄNCW". Nach dem Tode Elisabeths begann der große Kampf
mit der Krone, welcher durch die Revolution von 1688 beendet ward, und unter
den beiden ersten schwachen Königen der hannoverschen Dynastie ward das Haus
der Gemeinen rasch zum bestimmenden Factor des Staates. Es war natürlich,
daß sich bald das Augenmerk auf die sehr ungleiche Vertheilung des Wahlrechts
lenkte und schon Lord Chatam erklärte eine Verbesserung in dieser Hinsicht für
nothwendig. Sein Sohn nahm die Frage praktisch in die Hand und würde
schon damals eine Reform durchgesetzt haben, wenn nicht die französische Re¬
volution dazwischen gekommen wäre, deren Ausschreitungen eine so starke kon¬
servative Reaction in England hervorriefen. Diese Reaction steigerte sich, je


Grenzboten I. 1867. 26
Die Parlamentsreform in England.
i.

Die Parlamentsreform, welche Lord Rüssel zum ersten Mal 18S2 wieder¬
aufnahm, ist heute zur entscheidenden Frage der ganzen englischen Politik ge¬
worden, sie hat das letzte Ministerium gestürzt, von ihr wird das Schicksal des
gegenwärtigen abhängen. Wie sehr auch die Parteien auseinandergehen, darin
sind alle einig, daß die Lösung nicht länger verschoben werden darf; und mit
derselben Gewißheit darf man sagen, daß nur eine ernsthaft gemeinte Maßregel
Aussicht auf Erfolg hat. Die bevorstehende Session dürfte daher wohl bedeut¬
samer sein als irgendeine seit 1846, wo Peel mit der Aufhebung der Korn-
gesetze dem Freihandel Bahn brach. Um im Gewirre der streitenden Parteien
für die Frage das rechte Verständniß zu gewinnen, wird es nöthig sein etwas
weiter zurückzugreifen.

Bis 1832 erlitt das Haus der Gemeinen wenig Aenderungen, soweit die¬
selben nicht aus dem wechselnden Zustand der Gesellschaft hervorgingen. Unter
den Tudors waren seine Functionen nicht wichtig genug, um einen Sitz im
Hause als besonders wünschenswerth für den politischen Ehrgeiz erscheinen zu
lassen, das Parlament beschränkte sich auf die „wamtLiiairev ot Ja>v unä ro-
ÜILLL vt' Al'iöVÄNCW". Nach dem Tode Elisabeths begann der große Kampf
mit der Krone, welcher durch die Revolution von 1688 beendet ward, und unter
den beiden ersten schwachen Königen der hannoverschen Dynastie ward das Haus
der Gemeinen rasch zum bestimmenden Factor des Staates. Es war natürlich,
daß sich bald das Augenmerk auf die sehr ungleiche Vertheilung des Wahlrechts
lenkte und schon Lord Chatam erklärte eine Verbesserung in dieser Hinsicht für
nothwendig. Sein Sohn nahm die Frage praktisch in die Hand und würde
schon damals eine Reform durchgesetzt haben, wenn nicht die französische Re¬
volution dazwischen gekommen wäre, deren Ausschreitungen eine so starke kon¬
servative Reaction in England hervorriefen. Diese Reaction steigerte sich, je


Grenzboten I. 1867. 26
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[0211] Die Parlamentsreform in England. i. Die Parlamentsreform, welche Lord Rüssel zum ersten Mal 18S2 wieder¬ aufnahm, ist heute zur entscheidenden Frage der ganzen englischen Politik ge¬ worden, sie hat das letzte Ministerium gestürzt, von ihr wird das Schicksal des gegenwärtigen abhängen. Wie sehr auch die Parteien auseinandergehen, darin sind alle einig, daß die Lösung nicht länger verschoben werden darf; und mit derselben Gewißheit darf man sagen, daß nur eine ernsthaft gemeinte Maßregel Aussicht auf Erfolg hat. Die bevorstehende Session dürfte daher wohl bedeut¬ samer sein als irgendeine seit 1846, wo Peel mit der Aufhebung der Korn- gesetze dem Freihandel Bahn brach. Um im Gewirre der streitenden Parteien für die Frage das rechte Verständniß zu gewinnen, wird es nöthig sein etwas weiter zurückzugreifen. Bis 1832 erlitt das Haus der Gemeinen wenig Aenderungen, soweit die¬ selben nicht aus dem wechselnden Zustand der Gesellschaft hervorgingen. Unter den Tudors waren seine Functionen nicht wichtig genug, um einen Sitz im Hause als besonders wünschenswerth für den politischen Ehrgeiz erscheinen zu lassen, das Parlament beschränkte sich auf die „wamtLiiairev ot Ja>v unä ro- ÜILLL vt' Al'iöVÄNCW". Nach dem Tode Elisabeths begann der große Kampf mit der Krone, welcher durch die Revolution von 1688 beendet ward, und unter den beiden ersten schwachen Königen der hannoverschen Dynastie ward das Haus der Gemeinen rasch zum bestimmenden Factor des Staates. Es war natürlich, daß sich bald das Augenmerk auf die sehr ungleiche Vertheilung des Wahlrechts lenkte und schon Lord Chatam erklärte eine Verbesserung in dieser Hinsicht für nothwendig. Sein Sohn nahm die Frage praktisch in die Hand und würde schon damals eine Reform durchgesetzt haben, wenn nicht die französische Re¬ volution dazwischen gekommen wäre, deren Ausschreitungen eine so starke kon¬ servative Reaction in England hervorriefen. Diese Reaction steigerte sich, je Grenzboten I. 1867. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/211>, abgerufen am 22.12.2024.