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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Während der Wahlbewegung.

Die Schneeflocken tanzen, der Wintersturm fährt über die Bergtannen und
die Wogen des empörten Meeres, unter der schützenden Schneedecke harren die
Saaten des neuen Frühjahrs; unterdeß rüstet sich der Deutsche zu der ersten
großen Arbeit im neuen Staat und hofft, daß der neue Reichstag wie ein Thau¬
wind das Eis schmelzen werde, welches noch die Herzen vieler Deutschen von
dem neuen Staatsbäu fern hält.

Schaut man jetzt über die Grenzen des neuen Bundes, so zeigen sich über¬
all die innern Verhältnisse der Staaten einer friedlichen Durchführung unserer
Politischen Aufgaben günstiger, als man vor wenig Monden zu hoffen wagte.
In den Regierungen der Südstaaten ist die Ueberzeugung befestigt, daß Preußen
eine ernsthafte Abneigung dagegen hat, die Mainlinie für den Bundesstaat zu
überschreiten. Man vernimmt, daß mi Anerbieten von Hessen-Darmstadt, mit seinem
ganzen Territorium in den Bundesstaat zu treten, in Berlin nicht angenommen
worden sei, dagegen hat sich das berliner Cabinet dem Süden gegenüber be¬
reit erklärt, durch Specialvcrträge, welche verschiedene Kreise gemeinsamer Inter¬
essen umfassen, eine Verbindung herzustellen, welche die Selbständigkeit der
Südstaaten, wie sie im nikolsburger Frieden pactirt wurde, bestehen läßt, die
Gefahren ihrer Isolirung vermindert. In diesem Sinne sprach sich der neue
bayrische Minister, Fürst Hohenlohe aus, und wir begrüßen die entschiedenen
und klugen Worte desselben als' einen Fortschritt, seine Wahl als ein gutes Er-
eigniß für Bayern und uns. Er gehört einem deutschen Herrengeschlecht an,
welches unter dem hohen Adel unserer Mediatisirten gegenwärtig wohl das erste
an Ansehn. Bedeutung und Ausbreitung ist. Es wohnt in seinen verschiedenen
Häusern reich angesiedelt in Schlesien und Westphalen, in Thüringen, Bayern,
Schwaben, eng verschwägert mit mehren der stolzesten Negentenfamilien Europas;
die konfessionellen Unterschiede innerhalb der Familie haben den engen Zusam¬
menhang der Stammgenossen nicht aufgehoben, sie umfaßt eine namhafte An¬
zahl tüchtiger und ehrenwerther Männer, sie unterscheidet sich aber von vielen
andern Geschlechtern unseres hohen Adels dadurch, daß sie seit dem Jahre 1815
sich nicht mürrisch vom Staatsleben zurückgezogen hat. Als Preußische Minister
und thätige Mitglieder des Herrenhauses, im Heer und im Civiidienst hat ein Theil
der Stammgenossen sein Geschick eng mit dem des preußischen Staates verbun¬
den, andere sind die großen Paiis in Bayern und Würtemberg, eine Familie
derselben ist in Oestreich angesiedelt, ein Mitglied des Hauses Großalmosenier
des Papstes, ein anderes Capitain in der englischen Marine. Die Mehrzahl


Während der Wahlbewegung.

Die Schneeflocken tanzen, der Wintersturm fährt über die Bergtannen und
die Wogen des empörten Meeres, unter der schützenden Schneedecke harren die
Saaten des neuen Frühjahrs; unterdeß rüstet sich der Deutsche zu der ersten
großen Arbeit im neuen Staat und hofft, daß der neue Reichstag wie ein Thau¬
wind das Eis schmelzen werde, welches noch die Herzen vieler Deutschen von
dem neuen Staatsbäu fern hält.

Schaut man jetzt über die Grenzen des neuen Bundes, so zeigen sich über¬
all die innern Verhältnisse der Staaten einer friedlichen Durchführung unserer
Politischen Aufgaben günstiger, als man vor wenig Monden zu hoffen wagte.
In den Regierungen der Südstaaten ist die Ueberzeugung befestigt, daß Preußen
eine ernsthafte Abneigung dagegen hat, die Mainlinie für den Bundesstaat zu
überschreiten. Man vernimmt, daß mi Anerbieten von Hessen-Darmstadt, mit seinem
ganzen Territorium in den Bundesstaat zu treten, in Berlin nicht angenommen
worden sei, dagegen hat sich das berliner Cabinet dem Süden gegenüber be¬
reit erklärt, durch Specialvcrträge, welche verschiedene Kreise gemeinsamer Inter¬
essen umfassen, eine Verbindung herzustellen, welche die Selbständigkeit der
Südstaaten, wie sie im nikolsburger Frieden pactirt wurde, bestehen läßt, die
Gefahren ihrer Isolirung vermindert. In diesem Sinne sprach sich der neue
bayrische Minister, Fürst Hohenlohe aus, und wir begrüßen die entschiedenen
und klugen Worte desselben als' einen Fortschritt, seine Wahl als ein gutes Er-
eigniß für Bayern und uns. Er gehört einem deutschen Herrengeschlecht an,
welches unter dem hohen Adel unserer Mediatisirten gegenwärtig wohl das erste
an Ansehn. Bedeutung und Ausbreitung ist. Es wohnt in seinen verschiedenen
Häusern reich angesiedelt in Schlesien und Westphalen, in Thüringen, Bayern,
Schwaben, eng verschwägert mit mehren der stolzesten Negentenfamilien Europas;
die konfessionellen Unterschiede innerhalb der Familie haben den engen Zusam¬
menhang der Stammgenossen nicht aufgehoben, sie umfaßt eine namhafte An¬
zahl tüchtiger und ehrenwerther Männer, sie unterscheidet sich aber von vielen
andern Geschlechtern unseres hohen Adels dadurch, daß sie seit dem Jahre 1815
sich nicht mürrisch vom Staatsleben zurückgezogen hat. Als Preußische Minister
und thätige Mitglieder des Herrenhauses, im Heer und im Civiidienst hat ein Theil
der Stammgenossen sein Geschick eng mit dem des preußischen Staates verbun¬
den, andere sind die großen Paiis in Bayern und Würtemberg, eine Familie
derselben ist in Oestreich angesiedelt, ein Mitglied des Hauses Großalmosenier
des Papstes, ein anderes Capitain in der englischen Marine. Die Mehrzahl


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[0202] Während der Wahlbewegung. Die Schneeflocken tanzen, der Wintersturm fährt über die Bergtannen und die Wogen des empörten Meeres, unter der schützenden Schneedecke harren die Saaten des neuen Frühjahrs; unterdeß rüstet sich der Deutsche zu der ersten großen Arbeit im neuen Staat und hofft, daß der neue Reichstag wie ein Thau¬ wind das Eis schmelzen werde, welches noch die Herzen vieler Deutschen von dem neuen Staatsbäu fern hält. Schaut man jetzt über die Grenzen des neuen Bundes, so zeigen sich über¬ all die innern Verhältnisse der Staaten einer friedlichen Durchführung unserer Politischen Aufgaben günstiger, als man vor wenig Monden zu hoffen wagte. In den Regierungen der Südstaaten ist die Ueberzeugung befestigt, daß Preußen eine ernsthafte Abneigung dagegen hat, die Mainlinie für den Bundesstaat zu überschreiten. Man vernimmt, daß mi Anerbieten von Hessen-Darmstadt, mit seinem ganzen Territorium in den Bundesstaat zu treten, in Berlin nicht angenommen worden sei, dagegen hat sich das berliner Cabinet dem Süden gegenüber be¬ reit erklärt, durch Specialvcrträge, welche verschiedene Kreise gemeinsamer Inter¬ essen umfassen, eine Verbindung herzustellen, welche die Selbständigkeit der Südstaaten, wie sie im nikolsburger Frieden pactirt wurde, bestehen läßt, die Gefahren ihrer Isolirung vermindert. In diesem Sinne sprach sich der neue bayrische Minister, Fürst Hohenlohe aus, und wir begrüßen die entschiedenen und klugen Worte desselben als' einen Fortschritt, seine Wahl als ein gutes Er- eigniß für Bayern und uns. Er gehört einem deutschen Herrengeschlecht an, welches unter dem hohen Adel unserer Mediatisirten gegenwärtig wohl das erste an Ansehn. Bedeutung und Ausbreitung ist. Es wohnt in seinen verschiedenen Häusern reich angesiedelt in Schlesien und Westphalen, in Thüringen, Bayern, Schwaben, eng verschwägert mit mehren der stolzesten Negentenfamilien Europas; die konfessionellen Unterschiede innerhalb der Familie haben den engen Zusam¬ menhang der Stammgenossen nicht aufgehoben, sie umfaßt eine namhafte An¬ zahl tüchtiger und ehrenwerther Männer, sie unterscheidet sich aber von vielen andern Geschlechtern unseres hohen Adels dadurch, daß sie seit dem Jahre 1815 sich nicht mürrisch vom Staatsleben zurückgezogen hat. Als Preußische Minister und thätige Mitglieder des Herrenhauses, im Heer und im Civiidienst hat ein Theil der Stammgenossen sein Geschick eng mit dem des preußischen Staates verbun¬ den, andere sind die großen Paiis in Bayern und Würtemberg, eine Familie derselben ist in Oestreich angesiedelt, ein Mitglied des Hauses Großalmosenier des Papstes, ein anderes Capitain in der englischen Marine. Die Mehrzahl

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/202>, abgerufen am 27.06.2024.