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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Ans der Provinz Schleswig-Holstein.

Wer die Verhältnisse Schleswig-Holsteins blos aus den Zeitungen kennt,
muß es wohl unbegreiflich finden, daß man seit längerer Zeit so wenig von
dort hört. Die Volksmassen, welche so oft ihren unerschütterlichen Widerstand
gegen jeden Uebergriff Preußens drohend verkündet haben, halten sich still, die
Resolutionen sind verklungen, überall geht man seinen bürgerlichen Beschäfti¬
gungen nach. Mancher unserer hitzigen Freunde, namentlich in Süddeutschland,
erklärt sich diese Erscheinung vielleicht aus dem eisernen Druck, der aus uns
laste, und meint, unsere Ruhe erinnere an das schauerliche "I'orärö rögriö g.
Varsoviv". Aber eine solche Parallele wäre ebenso grundfalsch, wie die Ver-
gleichung unseres früheren activen Auftretens mit den Todeskämpfen der Polen,
unseres verdrossenen Unmuthes mit ihrem glühenden Haß. Wir sind ja im
Grunde nie so aufgeregt gewesen, wie es in der Ferne scheinen konnte. Der
phlegmatische Charakter der Schleswig-Holstciner hat sich zu keiner Zeit ver-
läugnet. Sie haben allerdings hier und da geredet, gehuldigt, Fahnen aus¬
gehängt oder auch wohl durch Nichtflaggen demonstrirt, aber dabei haben sie
nie die Ruhe ganz verloren, nie vergessen, daß sie friedliche Bürger, keine Revo¬
lutionäre seien. Sie haben sich in der wirksamen Kraft ihres Willens getäuscht,
aber sie waren ja schon seit langer Zeit gewohnt, sich in ihr Mißgeschick zu
finden. Eine von außen an sie herantretende disciplinirende Macht, welche 1848
und in den folgenden Jahren tüchtige Soldaten aus ihnen schuf, fehlte dies¬
mal. Alle activen Widerstandskräfte, die in ihnen lagen, sind aber in der
Aufregung der letzten Jahre verbraucht, und als nun in diesem gewaltigen
Sommer das ganze Land definitiv in Preußens Gewalt geriet!), da bedürfte
es keiner Zwangsmaßregeln, um vollständige Unterwerfung und Ruhe zu be¬
wirken.

Ein unbestreitbares Verdienst des damals eingesetzten Oberpräsidenten,
Baron Scheel-Plessen ist es, diesen Zustand der Gemüther erkannt und danach
gehandelt zu haben. Allerdings war damals eine gewisse Repressiv" nicht


Grenzboten I. 1867. 21
Ans der Provinz Schleswig-Holstein.

Wer die Verhältnisse Schleswig-Holsteins blos aus den Zeitungen kennt,
muß es wohl unbegreiflich finden, daß man seit längerer Zeit so wenig von
dort hört. Die Volksmassen, welche so oft ihren unerschütterlichen Widerstand
gegen jeden Uebergriff Preußens drohend verkündet haben, halten sich still, die
Resolutionen sind verklungen, überall geht man seinen bürgerlichen Beschäfti¬
gungen nach. Mancher unserer hitzigen Freunde, namentlich in Süddeutschland,
erklärt sich diese Erscheinung vielleicht aus dem eisernen Druck, der aus uns
laste, und meint, unsere Ruhe erinnere an das schauerliche „I'orärö rögriö g.
Varsoviv". Aber eine solche Parallele wäre ebenso grundfalsch, wie die Ver-
gleichung unseres früheren activen Auftretens mit den Todeskämpfen der Polen,
unseres verdrossenen Unmuthes mit ihrem glühenden Haß. Wir sind ja im
Grunde nie so aufgeregt gewesen, wie es in der Ferne scheinen konnte. Der
phlegmatische Charakter der Schleswig-Holstciner hat sich zu keiner Zeit ver-
läugnet. Sie haben allerdings hier und da geredet, gehuldigt, Fahnen aus¬
gehängt oder auch wohl durch Nichtflaggen demonstrirt, aber dabei haben sie
nie die Ruhe ganz verloren, nie vergessen, daß sie friedliche Bürger, keine Revo¬
lutionäre seien. Sie haben sich in der wirksamen Kraft ihres Willens getäuscht,
aber sie waren ja schon seit langer Zeit gewohnt, sich in ihr Mißgeschick zu
finden. Eine von außen an sie herantretende disciplinirende Macht, welche 1848
und in den folgenden Jahren tüchtige Soldaten aus ihnen schuf, fehlte dies¬
mal. Alle activen Widerstandskräfte, die in ihnen lagen, sind aber in der
Aufregung der letzten Jahre verbraucht, und als nun in diesem gewaltigen
Sommer das ganze Land definitiv in Preußens Gewalt geriet!), da bedürfte
es keiner Zwangsmaßregeln, um vollständige Unterwerfung und Ruhe zu be¬
wirken.

Ein unbestreitbares Verdienst des damals eingesetzten Oberpräsidenten,
Baron Scheel-Plessen ist es, diesen Zustand der Gemüther erkannt und danach
gehandelt zu haben. Allerdings war damals eine gewisse Repressiv» nicht


Grenzboten I. 1867. 21
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[0171] Ans der Provinz Schleswig-Holstein. Wer die Verhältnisse Schleswig-Holsteins blos aus den Zeitungen kennt, muß es wohl unbegreiflich finden, daß man seit längerer Zeit so wenig von dort hört. Die Volksmassen, welche so oft ihren unerschütterlichen Widerstand gegen jeden Uebergriff Preußens drohend verkündet haben, halten sich still, die Resolutionen sind verklungen, überall geht man seinen bürgerlichen Beschäfti¬ gungen nach. Mancher unserer hitzigen Freunde, namentlich in Süddeutschland, erklärt sich diese Erscheinung vielleicht aus dem eisernen Druck, der aus uns laste, und meint, unsere Ruhe erinnere an das schauerliche „I'orärö rögriö g. Varsoviv". Aber eine solche Parallele wäre ebenso grundfalsch, wie die Ver- gleichung unseres früheren activen Auftretens mit den Todeskämpfen der Polen, unseres verdrossenen Unmuthes mit ihrem glühenden Haß. Wir sind ja im Grunde nie so aufgeregt gewesen, wie es in der Ferne scheinen konnte. Der phlegmatische Charakter der Schleswig-Holstciner hat sich zu keiner Zeit ver- läugnet. Sie haben allerdings hier und da geredet, gehuldigt, Fahnen aus¬ gehängt oder auch wohl durch Nichtflaggen demonstrirt, aber dabei haben sie nie die Ruhe ganz verloren, nie vergessen, daß sie friedliche Bürger, keine Revo¬ lutionäre seien. Sie haben sich in der wirksamen Kraft ihres Willens getäuscht, aber sie waren ja schon seit langer Zeit gewohnt, sich in ihr Mißgeschick zu finden. Eine von außen an sie herantretende disciplinirende Macht, welche 1848 und in den folgenden Jahren tüchtige Soldaten aus ihnen schuf, fehlte dies¬ mal. Alle activen Widerstandskräfte, die in ihnen lagen, sind aber in der Aufregung der letzten Jahre verbraucht, und als nun in diesem gewaltigen Sommer das ganze Land definitiv in Preußens Gewalt geriet!), da bedürfte es keiner Zwangsmaßregeln, um vollständige Unterwerfung und Ruhe zu be¬ wirken. Ein unbestreitbares Verdienst des damals eingesetzten Oberpräsidenten, Baron Scheel-Plessen ist es, diesen Zustand der Gemüther erkannt und danach gehandelt zu haben. Allerdings war damals eine gewisse Repressiv» nicht Grenzboten I. 1867. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/171>, abgerufen am 22.12.2024.