Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei Schulmeisterorigimle ans altrömischer Zeit.

Die nationale Verflachung, der unerquickliche Kosmopolitismus, welcher
im letzten Jahrhundert der römischen Republik alle Schichten der Gesellschaft
mit hellenischer Tünche überkleidete, äußerte auch einen bedeutenden Einfluß auf
Erziehung und Unterricht. Nicht genug, daß die griechische Sprache und die
griechischen Wissenschaften sich als integrirendc Bestandtheile der italienischen
Bildung einbürgerten; auch auf den lateinischen Unterricht ging griechischer
Geist und griechische Methode über. Die Häufung des Bildungsstoffes erzeugte
eine Erweiterung der Disciplinen, eine Verlängerung der Lernzeit und eine
Steigerung der Unterrichtsziele, und da überhaupt die Ausbildung des Körpers
durch Gymnastik, die in Hellas so harmonisch mit der Cultur des Geistes Hand
in Hand ging, bei den Römern nur als Vorbereitung zum Kriegsdienste ge¬
trieben wurde, so bekommt durch die vorwiegende Berücksichtigung der geistigen
Ansprüche, sowie auch durch die Benutzung der griechischen Sprache als eigen¬
thümlichen BUdungszweiges der damalige Unterricht manche Ähnlichkeit mit
dem modernen und es verlohnt sich deshalb um so mehr, an ein paar durch
auffallende Absonderlichkeit ausgezeichneten Lehrern aus dem Ende der Republik
und' der ersten Kaiserzeit auch die Verhältnisse, in welchen sich die Vertreter
der Pädagogik der Schule und dem Leben gegenüber befanden, näher zu be¬
leuchten.

In dem unruhigen Consulatsjahrc Ciceros (63 v. Chr.) geschah es, daß
aus dem ungefähr dreißig Meilen von Rom entfernten Benevent, einer schon
damals durch Fruchtbarkeit der Gegend und belebte Straßenzüge in blühendem
Zustande befindlichen Stadt Samniums. der Schulmeister Orbilius Pupillus
nach der Hauptstadt übersiedelte. Berufungen von Professoren kannte man in
jener Zeit noch nicht; alle Schulen waren Privatunternehmungen, um die sich
die Stadt nicht kümmerte. Der Mann aus Benevent kam also jedenfalls nach
Rom, um hier durch eine auf eigenes Risico etablirte Anstalt mehr Ruhm und
Gewinn zu erzielen als in seiner Vaterstadt, wo wahrscheinlich, wie in Venusia.
dem Geburtsorte des Horaz, die Söhne wichtigthuender Centurionen dre Haupt¬
rolle unter der Schuljugend spielten. Keineswegs war aber Orbilius ein
Glücksritter nach Art seiner griechischen College", die damals schaarenweise nach
Rom strömten, um ihre Weisheit an den Mann zu bringen, welche auch bei
immer stärker werdender Nachfrage genug Käufer fand. Orbilius hatte überdies
keine Ursache, auf Fmtunas Gunst zu bauen; er hatte eine schicksalsschwere


Grenzboten I 1867. 13
Zwei Schulmeisterorigimle ans altrömischer Zeit.

Die nationale Verflachung, der unerquickliche Kosmopolitismus, welcher
im letzten Jahrhundert der römischen Republik alle Schichten der Gesellschaft
mit hellenischer Tünche überkleidete, äußerte auch einen bedeutenden Einfluß auf
Erziehung und Unterricht. Nicht genug, daß die griechische Sprache und die
griechischen Wissenschaften sich als integrirendc Bestandtheile der italienischen
Bildung einbürgerten; auch auf den lateinischen Unterricht ging griechischer
Geist und griechische Methode über. Die Häufung des Bildungsstoffes erzeugte
eine Erweiterung der Disciplinen, eine Verlängerung der Lernzeit und eine
Steigerung der Unterrichtsziele, und da überhaupt die Ausbildung des Körpers
durch Gymnastik, die in Hellas so harmonisch mit der Cultur des Geistes Hand
in Hand ging, bei den Römern nur als Vorbereitung zum Kriegsdienste ge¬
trieben wurde, so bekommt durch die vorwiegende Berücksichtigung der geistigen
Ansprüche, sowie auch durch die Benutzung der griechischen Sprache als eigen¬
thümlichen BUdungszweiges der damalige Unterricht manche Ähnlichkeit mit
dem modernen und es verlohnt sich deshalb um so mehr, an ein paar durch
auffallende Absonderlichkeit ausgezeichneten Lehrern aus dem Ende der Republik
und' der ersten Kaiserzeit auch die Verhältnisse, in welchen sich die Vertreter
der Pädagogik der Schule und dem Leben gegenüber befanden, näher zu be¬
leuchten.

In dem unruhigen Consulatsjahrc Ciceros (63 v. Chr.) geschah es, daß
aus dem ungefähr dreißig Meilen von Rom entfernten Benevent, einer schon
damals durch Fruchtbarkeit der Gegend und belebte Straßenzüge in blühendem
Zustande befindlichen Stadt Samniums. der Schulmeister Orbilius Pupillus
nach der Hauptstadt übersiedelte. Berufungen von Professoren kannte man in
jener Zeit noch nicht; alle Schulen waren Privatunternehmungen, um die sich
die Stadt nicht kümmerte. Der Mann aus Benevent kam also jedenfalls nach
Rom, um hier durch eine auf eigenes Risico etablirte Anstalt mehr Ruhm und
Gewinn zu erzielen als in seiner Vaterstadt, wo wahrscheinlich, wie in Venusia.
dem Geburtsorte des Horaz, die Söhne wichtigthuender Centurionen dre Haupt¬
rolle unter der Schuljugend spielten. Keineswegs war aber Orbilius ein
Glücksritter nach Art seiner griechischen College», die damals schaarenweise nach
Rom strömten, um ihre Weisheit an den Mann zu bringen, welche auch bei
immer stärker werdender Nachfrage genug Käufer fand. Orbilius hatte überdies
keine Ursache, auf Fmtunas Gunst zu bauen; er hatte eine schicksalsschwere


Grenzboten I 1867. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190266"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zwei Schulmeisterorigimle ans altrömischer Zeit.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_323"> Die nationale Verflachung, der unerquickliche Kosmopolitismus, welcher<lb/>
im letzten Jahrhundert der römischen Republik alle Schichten der Gesellschaft<lb/>
mit hellenischer Tünche überkleidete, äußerte auch einen bedeutenden Einfluß auf<lb/>
Erziehung und Unterricht. Nicht genug, daß die griechische Sprache und die<lb/>
griechischen Wissenschaften sich als integrirendc Bestandtheile der italienischen<lb/>
Bildung einbürgerten; auch auf den lateinischen Unterricht ging griechischer<lb/>
Geist und griechische Methode über. Die Häufung des Bildungsstoffes erzeugte<lb/>
eine Erweiterung der Disciplinen, eine Verlängerung der Lernzeit und eine<lb/>
Steigerung der Unterrichtsziele, und da überhaupt die Ausbildung des Körpers<lb/>
durch Gymnastik, die in Hellas so harmonisch mit der Cultur des Geistes Hand<lb/>
in Hand ging, bei den Römern nur als Vorbereitung zum Kriegsdienste ge¬<lb/>
trieben wurde, so bekommt durch die vorwiegende Berücksichtigung der geistigen<lb/>
Ansprüche, sowie auch durch die Benutzung der griechischen Sprache als eigen¬<lb/>
thümlichen BUdungszweiges der damalige Unterricht manche Ähnlichkeit mit<lb/>
dem modernen und es verlohnt sich deshalb um so mehr, an ein paar durch<lb/>
auffallende Absonderlichkeit ausgezeichneten Lehrern aus dem Ende der Republik<lb/>
und' der ersten Kaiserzeit auch die Verhältnisse, in welchen sich die Vertreter<lb/>
der Pädagogik der Schule und dem Leben gegenüber befanden, näher zu be¬<lb/>
leuchten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_324" next="#ID_325"> In dem unruhigen Consulatsjahrc Ciceros (63 v. Chr.) geschah es, daß<lb/>
aus dem ungefähr dreißig Meilen von Rom entfernten Benevent, einer schon<lb/>
damals durch Fruchtbarkeit der Gegend und belebte Straßenzüge in blühendem<lb/>
Zustande befindlichen Stadt Samniums. der Schulmeister Orbilius Pupillus<lb/>
nach der Hauptstadt übersiedelte. Berufungen von Professoren kannte man in<lb/>
jener Zeit noch nicht; alle Schulen waren Privatunternehmungen, um die sich<lb/>
die Stadt nicht kümmerte. Der Mann aus Benevent kam also jedenfalls nach<lb/>
Rom, um hier durch eine auf eigenes Risico etablirte Anstalt mehr Ruhm und<lb/>
Gewinn zu erzielen als in seiner Vaterstadt, wo wahrscheinlich, wie in Venusia.<lb/>
dem Geburtsorte des Horaz, die Söhne wichtigthuender Centurionen dre Haupt¬<lb/>
rolle unter der Schuljugend spielten. Keineswegs war aber Orbilius ein<lb/>
Glücksritter nach Art seiner griechischen College», die damals schaarenweise nach<lb/>
Rom strömten, um ihre Weisheit an den Mann zu bringen, welche auch bei<lb/>
immer stärker werdender Nachfrage genug Käufer fand. Orbilius hatte überdies<lb/>
keine Ursache, auf Fmtunas Gunst zu bauen; er hatte eine schicksalsschwere</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1867. 13</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0107] Zwei Schulmeisterorigimle ans altrömischer Zeit. Die nationale Verflachung, der unerquickliche Kosmopolitismus, welcher im letzten Jahrhundert der römischen Republik alle Schichten der Gesellschaft mit hellenischer Tünche überkleidete, äußerte auch einen bedeutenden Einfluß auf Erziehung und Unterricht. Nicht genug, daß die griechische Sprache und die griechischen Wissenschaften sich als integrirendc Bestandtheile der italienischen Bildung einbürgerten; auch auf den lateinischen Unterricht ging griechischer Geist und griechische Methode über. Die Häufung des Bildungsstoffes erzeugte eine Erweiterung der Disciplinen, eine Verlängerung der Lernzeit und eine Steigerung der Unterrichtsziele, und da überhaupt die Ausbildung des Körpers durch Gymnastik, die in Hellas so harmonisch mit der Cultur des Geistes Hand in Hand ging, bei den Römern nur als Vorbereitung zum Kriegsdienste ge¬ trieben wurde, so bekommt durch die vorwiegende Berücksichtigung der geistigen Ansprüche, sowie auch durch die Benutzung der griechischen Sprache als eigen¬ thümlichen BUdungszweiges der damalige Unterricht manche Ähnlichkeit mit dem modernen und es verlohnt sich deshalb um so mehr, an ein paar durch auffallende Absonderlichkeit ausgezeichneten Lehrern aus dem Ende der Republik und' der ersten Kaiserzeit auch die Verhältnisse, in welchen sich die Vertreter der Pädagogik der Schule und dem Leben gegenüber befanden, näher zu be¬ leuchten. In dem unruhigen Consulatsjahrc Ciceros (63 v. Chr.) geschah es, daß aus dem ungefähr dreißig Meilen von Rom entfernten Benevent, einer schon damals durch Fruchtbarkeit der Gegend und belebte Straßenzüge in blühendem Zustande befindlichen Stadt Samniums. der Schulmeister Orbilius Pupillus nach der Hauptstadt übersiedelte. Berufungen von Professoren kannte man in jener Zeit noch nicht; alle Schulen waren Privatunternehmungen, um die sich die Stadt nicht kümmerte. Der Mann aus Benevent kam also jedenfalls nach Rom, um hier durch eine auf eigenes Risico etablirte Anstalt mehr Ruhm und Gewinn zu erzielen als in seiner Vaterstadt, wo wahrscheinlich, wie in Venusia. dem Geburtsorte des Horaz, die Söhne wichtigthuender Centurionen dre Haupt¬ rolle unter der Schuljugend spielten. Keineswegs war aber Orbilius ein Glücksritter nach Art seiner griechischen College», die damals schaarenweise nach Rom strömten, um ihre Weisheit an den Mann zu bringen, welche auch bei immer stärker werdender Nachfrage genug Käufer fand. Orbilius hatte überdies keine Ursache, auf Fmtunas Gunst zu bauen; er hatte eine schicksalsschwere Grenzboten I 1867. 13

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/107
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/107>, abgerufen am 27.06.2024.