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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Die Lage in den Vereinigten Staaten.

Dos vorige Jahr, welches die Stellung der europäischen Mächte so gründ¬
lich verändert hat, ist für die neue Welt kaum weniger bedeutsam gewesen.
Zwar der furchtbare Kampf, welcher jahrelang die Union verwüstet, ihl beendet,
die große Nordarmee ist aufgelöst und ihre Mitglieder sind wieder zu ihren
bürgerlichen Beschäftigungen zurückgekehrt, aber die politischen Folgen des Krieges
und des Sieges des Nordens treten eist jetzt mit voller Konsequenz hervor in
dem Conflict zwischen dem Kongreß und dem Präsidenten. Der Krieg, welcher
die volle Concentration aller Kräfte verlangte, hatte die Macht, der Execution
sehr erhöht, aber niemand sah dies mit Mißtraue", so lange Lincoln an der
Spitze stand, der seine Gewalt nur im Einverständnis; mit der großen Mehrheit
des Volkes brauchte, indeß die Situation änderte sich, als sein Nachfolger nach
Beendigung des Kampfes immer offener für den besiegten Süden vortrat. Wir
sind überzeugt, daß Präsident Johnson in vielen Punkten seiner Politik an sich
vollkommen recht hat und daß die Durchführung des radicalen Programms mit
großen Unzuträglichsten verbunden sein wird, aber die Weise, in welcher er
seine Absichten durchzusetzen trachtete, war höchst verkehrt und muß ihm ver-
hängnißvoll werden, während ein staatskluges Einlenken im Anfang des vorigen
Jahres noch zu einem Compromiß hätte führen können. Damals waren außer
den Demokraten noch eine bedeutende Anzahl der gemäßigten Republikaner für
eine Verständigung, der Kongreß opponirte sich nicht, als das Amendement zur
Verfassung, welches die Sklaverei aufhob, den legislativen Versammlungen der
Südstaaten zur Sanction unterbreitet ward und die nothwendigen zwei Drittel
Majorität erhielt, damit hatte man aber auch offenbar zugegeben, daß diese
Versammlungen wieder gesetzliche Existenz gewonnen. Die Proteste der Führer
der radicalen Partei, Thaddcus Stevens und Siunmero. blieben unbeachtet und
man ging ein auf die Frage der Wiederzulassung der Südstaaten in die Union.
In der langen Debatte, welche sich hierüber in beiden Häusern entspann, ge¬
wannen indeß die republikanischen Tendenzen mehr und mehr Boden, man er¬
zielte endlich eine Uebereinstimmung durch das bekannte Censtitutional-Amende-
ment. Dasselbe bestimmte allerdings, daß Personen, welche in den Einzelstaaten
kein Stimmrecht hätten, auch für Wahlen in Bundesangelegcnheiten dasselbe
nicht genießen sollten, aber es schloß alle diejenigen von Staats- und Bundes¬
ämtern aus, welche früher der Union Gehorsam geschworen und nachher doch der
conföderirten Negierung gedient hatten. So gerecht dies im Princip sein mochte,


Die Lage in den Vereinigten Staaten.

Dos vorige Jahr, welches die Stellung der europäischen Mächte so gründ¬
lich verändert hat, ist für die neue Welt kaum weniger bedeutsam gewesen.
Zwar der furchtbare Kampf, welcher jahrelang die Union verwüstet, ihl beendet,
die große Nordarmee ist aufgelöst und ihre Mitglieder sind wieder zu ihren
bürgerlichen Beschäftigungen zurückgekehrt, aber die politischen Folgen des Krieges
und des Sieges des Nordens treten eist jetzt mit voller Konsequenz hervor in
dem Conflict zwischen dem Kongreß und dem Präsidenten. Der Krieg, welcher
die volle Concentration aller Kräfte verlangte, hatte die Macht, der Execution
sehr erhöht, aber niemand sah dies mit Mißtraue», so lange Lincoln an der
Spitze stand, der seine Gewalt nur im Einverständnis; mit der großen Mehrheit
des Volkes brauchte, indeß die Situation änderte sich, als sein Nachfolger nach
Beendigung des Kampfes immer offener für den besiegten Süden vortrat. Wir
sind überzeugt, daß Präsident Johnson in vielen Punkten seiner Politik an sich
vollkommen recht hat und daß die Durchführung des radicalen Programms mit
großen Unzuträglichsten verbunden sein wird, aber die Weise, in welcher er
seine Absichten durchzusetzen trachtete, war höchst verkehrt und muß ihm ver-
hängnißvoll werden, während ein staatskluges Einlenken im Anfang des vorigen
Jahres noch zu einem Compromiß hätte führen können. Damals waren außer
den Demokraten noch eine bedeutende Anzahl der gemäßigten Republikaner für
eine Verständigung, der Kongreß opponirte sich nicht, als das Amendement zur
Verfassung, welches die Sklaverei aufhob, den legislativen Versammlungen der
Südstaaten zur Sanction unterbreitet ward und die nothwendigen zwei Drittel
Majorität erhielt, damit hatte man aber auch offenbar zugegeben, daß diese
Versammlungen wieder gesetzliche Existenz gewonnen. Die Proteste der Führer
der radicalen Partei, Thaddcus Stevens und Siunmero. blieben unbeachtet und
man ging ein auf die Frage der Wiederzulassung der Südstaaten in die Union.
In der langen Debatte, welche sich hierüber in beiden Häusern entspann, ge¬
wannen indeß die republikanischen Tendenzen mehr und mehr Boden, man er¬
zielte endlich eine Uebereinstimmung durch das bekannte Censtitutional-Amende-
ment. Dasselbe bestimmte allerdings, daß Personen, welche in den Einzelstaaten
kein Stimmrecht hätten, auch für Wahlen in Bundesangelegcnheiten dasselbe
nicht genießen sollten, aber es schloß alle diejenigen von Staats- und Bundes¬
ämtern aus, welche früher der Union Gehorsam geschworen und nachher doch der
conföderirten Negierung gedient hatten. So gerecht dies im Princip sein mochte,


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[0103] Die Lage in den Vereinigten Staaten. Dos vorige Jahr, welches die Stellung der europäischen Mächte so gründ¬ lich verändert hat, ist für die neue Welt kaum weniger bedeutsam gewesen. Zwar der furchtbare Kampf, welcher jahrelang die Union verwüstet, ihl beendet, die große Nordarmee ist aufgelöst und ihre Mitglieder sind wieder zu ihren bürgerlichen Beschäftigungen zurückgekehrt, aber die politischen Folgen des Krieges und des Sieges des Nordens treten eist jetzt mit voller Konsequenz hervor in dem Conflict zwischen dem Kongreß und dem Präsidenten. Der Krieg, welcher die volle Concentration aller Kräfte verlangte, hatte die Macht, der Execution sehr erhöht, aber niemand sah dies mit Mißtraue», so lange Lincoln an der Spitze stand, der seine Gewalt nur im Einverständnis; mit der großen Mehrheit des Volkes brauchte, indeß die Situation änderte sich, als sein Nachfolger nach Beendigung des Kampfes immer offener für den besiegten Süden vortrat. Wir sind überzeugt, daß Präsident Johnson in vielen Punkten seiner Politik an sich vollkommen recht hat und daß die Durchführung des radicalen Programms mit großen Unzuträglichsten verbunden sein wird, aber die Weise, in welcher er seine Absichten durchzusetzen trachtete, war höchst verkehrt und muß ihm ver- hängnißvoll werden, während ein staatskluges Einlenken im Anfang des vorigen Jahres noch zu einem Compromiß hätte führen können. Damals waren außer den Demokraten noch eine bedeutende Anzahl der gemäßigten Republikaner für eine Verständigung, der Kongreß opponirte sich nicht, als das Amendement zur Verfassung, welches die Sklaverei aufhob, den legislativen Versammlungen der Südstaaten zur Sanction unterbreitet ward und die nothwendigen zwei Drittel Majorität erhielt, damit hatte man aber auch offenbar zugegeben, daß diese Versammlungen wieder gesetzliche Existenz gewonnen. Die Proteste der Führer der radicalen Partei, Thaddcus Stevens und Siunmero. blieben unbeachtet und man ging ein auf die Frage der Wiederzulassung der Südstaaten in die Union. In der langen Debatte, welche sich hierüber in beiden Häusern entspann, ge¬ wannen indeß die republikanischen Tendenzen mehr und mehr Boden, man er¬ zielte endlich eine Uebereinstimmung durch das bekannte Censtitutional-Amende- ment. Dasselbe bestimmte allerdings, daß Personen, welche in den Einzelstaaten kein Stimmrecht hätten, auch für Wahlen in Bundesangelegcnheiten dasselbe nicht genießen sollten, aber es schloß alle diejenigen von Staats- und Bundes¬ ämtern aus, welche früher der Union Gehorsam geschworen und nachher doch der conföderirten Negierung gedient hatten. So gerecht dies im Princip sein mochte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/103>, abgerufen am 27.06.2024.