Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Der mecklenburgische außerordentliche Landtag von 1866.

Die Umstände, Unter welchen der diesjährige außerordentliche Landtag be¬
rufen wurde und der Zweck dieser Berufung erinnern sehr lebhaft an einen
ähnlichen Vorgang im Jahre 1848.^ Damals hatte der Großherzog Friedrich
Franz -- in einer Proclamation vom 23. März "an meine Mecklenburger" --
erklärt, daß eine Reform der Landesvertretung, auch abgesehen von den Welt-
ereignissen der neuesten Zeit, unvermeidlich gewesen wäre, daß sie aber diesen
Ereignissen gegenüber das dringendste Erforderniß sei. "Es liegt die Noth¬
wendigkeit vor," so äußerte sich der Großherzog in jener Proclamation, "daß
Mecklenburg in die Reihe der constitutionellen Staaten eintrete, und weil ich
diese Nothwendigkeit erkenne, ist es mein ernster Vorsatz, daß der Schritt un¬
verzüglich geschehe."

Diese Nothwendigkeit ward dann noch einmal dem zum 26. April nach
Schwerin berufenen außerordentlichen Landtage vom Großherzog in der Eröff¬
nungsrede vorgehalten. "Ich weiß," sprach er. "ich begehre viel von meinen
getreuen Ständen, ein Scheiden von Ihrer bisherigen Wirksamkeit, aber ich
weiß auch, daß, so wie zu allen Zeiten, so auch jetzt Sie bereit sind zu jeglichem
Opfer, wenn Sie das Wohl des Landes darin erkennen." Die Stände ent¬
sprachen dieser Erwartung, nachdem schon vorher eine zahlreich besuchte Ver¬
sammlung von adeligen und bürgerlichen Mitgliedern der Ritterschaft unauf¬
gefordert die patriotische Erklärung abgegeben hatte, "daß sie alle und jede -
politischen Sonderrechte, welche ihnen bisher verfassungsmäßig zugestanden
haben, freiwillig und gern, um das Wohl des Vaterlandes zu fördern, opfern
wollen". In der Antwort auf die großherzogliche Proposition erklärten die
Stände sich bereit, "dem Rufe der Landesherren und den Anforderungen der
Zeit zu folgen und demgemäß ihre bisherigen grundgesetzlichcn Landstandschafts-
rechte zu der Folge aufzugeben, daß künftig nur gewählte Repräsentanten im
Ständeversammlung bilden".

Nachdem der Landtagsabschied diese Erklärung acceptirt hatte, wurde in
Uebereinstimmung mit dem ständischen Beschlusse eine aus frei gewählten Ver¬
tretern bestehende constituirende Versammlung berufen und mit dieser ein neues
Staatsgrundgesctz für Mecklenburg-Schwerin vereinbart. Dasselbe ward vom
Großherzog vollzogen, mit dem Gelöbniß, fest und unverbrüchlich daran halten
zu wollen, und am 10. October 1849 unter gleichzeitiger Aufhebung der bis¬
herigen landständischen Verfassung publicirt, auch demnächst durch Berufung
eines Landtags aus den 27. Februar 1850 in Wirksamkeit gesetzt. Indessen


27"
Der mecklenburgische außerordentliche Landtag von 1866.

Die Umstände, Unter welchen der diesjährige außerordentliche Landtag be¬
rufen wurde und der Zweck dieser Berufung erinnern sehr lebhaft an einen
ähnlichen Vorgang im Jahre 1848.^ Damals hatte der Großherzog Friedrich
Franz — in einer Proclamation vom 23. März „an meine Mecklenburger" —
erklärt, daß eine Reform der Landesvertretung, auch abgesehen von den Welt-
ereignissen der neuesten Zeit, unvermeidlich gewesen wäre, daß sie aber diesen
Ereignissen gegenüber das dringendste Erforderniß sei. „Es liegt die Noth¬
wendigkeit vor," so äußerte sich der Großherzog in jener Proclamation, „daß
Mecklenburg in die Reihe der constitutionellen Staaten eintrete, und weil ich
diese Nothwendigkeit erkenne, ist es mein ernster Vorsatz, daß der Schritt un¬
verzüglich geschehe."

Diese Nothwendigkeit ward dann noch einmal dem zum 26. April nach
Schwerin berufenen außerordentlichen Landtage vom Großherzog in der Eröff¬
nungsrede vorgehalten. „Ich weiß," sprach er. „ich begehre viel von meinen
getreuen Ständen, ein Scheiden von Ihrer bisherigen Wirksamkeit, aber ich
weiß auch, daß, so wie zu allen Zeiten, so auch jetzt Sie bereit sind zu jeglichem
Opfer, wenn Sie das Wohl des Landes darin erkennen." Die Stände ent¬
sprachen dieser Erwartung, nachdem schon vorher eine zahlreich besuchte Ver¬
sammlung von adeligen und bürgerlichen Mitgliedern der Ritterschaft unauf¬
gefordert die patriotische Erklärung abgegeben hatte, „daß sie alle und jede -
politischen Sonderrechte, welche ihnen bisher verfassungsmäßig zugestanden
haben, freiwillig und gern, um das Wohl des Vaterlandes zu fördern, opfern
wollen". In der Antwort auf die großherzogliche Proposition erklärten die
Stände sich bereit, „dem Rufe der Landesherren und den Anforderungen der
Zeit zu folgen und demgemäß ihre bisherigen grundgesetzlichcn Landstandschafts-
rechte zu der Folge aufzugeben, daß künftig nur gewählte Repräsentanten im
Ständeversammlung bilden".

Nachdem der Landtagsabschied diese Erklärung acceptirt hatte, wurde in
Uebereinstimmung mit dem ständischen Beschlusse eine aus frei gewählten Ver¬
tretern bestehende constituirende Versammlung berufen und mit dieser ein neues
Staatsgrundgesctz für Mecklenburg-Schwerin vereinbart. Dasselbe ward vom
Großherzog vollzogen, mit dem Gelöbniß, fest und unverbrüchlich daran halten
zu wollen, und am 10. October 1849 unter gleichzeitiger Aufhebung der bis¬
herigen landständischen Verfassung publicirt, auch demnächst durch Berufung
eines Landtags aus den 27. Februar 1850 in Wirksamkeit gesetzt. Indessen


27"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286379"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der mecklenburgische außerordentliche Landtag von 1866.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_661"> Die Umstände, Unter welchen der diesjährige außerordentliche Landtag be¬<lb/>
rufen wurde und der Zweck dieser Berufung erinnern sehr lebhaft an einen<lb/>
ähnlichen Vorgang im Jahre 1848.^ Damals hatte der Großherzog Friedrich<lb/>
Franz &#x2014; in einer Proclamation vom 23. März &#x201E;an meine Mecklenburger" &#x2014;<lb/>
erklärt, daß eine Reform der Landesvertretung, auch abgesehen von den Welt-<lb/>
ereignissen der neuesten Zeit, unvermeidlich gewesen wäre, daß sie aber diesen<lb/>
Ereignissen gegenüber das dringendste Erforderniß sei. &#x201E;Es liegt die Noth¬<lb/>
wendigkeit vor," so äußerte sich der Großherzog in jener Proclamation, &#x201E;daß<lb/>
Mecklenburg in die Reihe der constitutionellen Staaten eintrete, und weil ich<lb/>
diese Nothwendigkeit erkenne, ist es mein ernster Vorsatz, daß der Schritt un¬<lb/>
verzüglich geschehe."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_662"> Diese Nothwendigkeit ward dann noch einmal dem zum 26. April nach<lb/>
Schwerin berufenen außerordentlichen Landtage vom Großherzog in der Eröff¬<lb/>
nungsrede vorgehalten. &#x201E;Ich weiß," sprach er. &#x201E;ich begehre viel von meinen<lb/>
getreuen Ständen, ein Scheiden von Ihrer bisherigen Wirksamkeit, aber ich<lb/>
weiß auch, daß, so wie zu allen Zeiten, so auch jetzt Sie bereit sind zu jeglichem<lb/>
Opfer, wenn Sie das Wohl des Landes darin erkennen." Die Stände ent¬<lb/>
sprachen dieser Erwartung, nachdem schon vorher eine zahlreich besuchte Ver¬<lb/>
sammlung von adeligen und bürgerlichen Mitgliedern der Ritterschaft unauf¬<lb/>
gefordert die patriotische Erklärung abgegeben hatte, &#x201E;daß sie alle und jede -<lb/>
politischen Sonderrechte, welche ihnen bisher verfassungsmäßig zugestanden<lb/>
haben, freiwillig und gern, um das Wohl des Vaterlandes zu fördern, opfern<lb/>
wollen". In der Antwort auf die großherzogliche Proposition erklärten die<lb/>
Stände sich bereit, &#x201E;dem Rufe der Landesherren und den Anforderungen der<lb/>
Zeit zu folgen und demgemäß ihre bisherigen grundgesetzlichcn Landstandschafts-<lb/>
rechte zu der Folge aufzugeben, daß künftig nur gewählte Repräsentanten im<lb/>
Ständeversammlung bilden".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_663" next="#ID_664"> Nachdem der Landtagsabschied diese Erklärung acceptirt hatte, wurde in<lb/>
Uebereinstimmung mit dem ständischen Beschlusse eine aus frei gewählten Ver¬<lb/>
tretern bestehende constituirende Versammlung berufen und mit dieser ein neues<lb/>
Staatsgrundgesctz für Mecklenburg-Schwerin vereinbart. Dasselbe ward vom<lb/>
Großherzog vollzogen, mit dem Gelöbniß, fest und unverbrüchlich daran halten<lb/>
zu wollen, und am 10. October 1849 unter gleichzeitiger Aufhebung der bis¬<lb/>
herigen landständischen Verfassung publicirt, auch demnächst durch Berufung<lb/>
eines Landtags aus den 27. Februar 1850 in Wirksamkeit gesetzt. Indessen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 27"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0231] Der mecklenburgische außerordentliche Landtag von 1866. Die Umstände, Unter welchen der diesjährige außerordentliche Landtag be¬ rufen wurde und der Zweck dieser Berufung erinnern sehr lebhaft an einen ähnlichen Vorgang im Jahre 1848.^ Damals hatte der Großherzog Friedrich Franz — in einer Proclamation vom 23. März „an meine Mecklenburger" — erklärt, daß eine Reform der Landesvertretung, auch abgesehen von den Welt- ereignissen der neuesten Zeit, unvermeidlich gewesen wäre, daß sie aber diesen Ereignissen gegenüber das dringendste Erforderniß sei. „Es liegt die Noth¬ wendigkeit vor," so äußerte sich der Großherzog in jener Proclamation, „daß Mecklenburg in die Reihe der constitutionellen Staaten eintrete, und weil ich diese Nothwendigkeit erkenne, ist es mein ernster Vorsatz, daß der Schritt un¬ verzüglich geschehe." Diese Nothwendigkeit ward dann noch einmal dem zum 26. April nach Schwerin berufenen außerordentlichen Landtage vom Großherzog in der Eröff¬ nungsrede vorgehalten. „Ich weiß," sprach er. „ich begehre viel von meinen getreuen Ständen, ein Scheiden von Ihrer bisherigen Wirksamkeit, aber ich weiß auch, daß, so wie zu allen Zeiten, so auch jetzt Sie bereit sind zu jeglichem Opfer, wenn Sie das Wohl des Landes darin erkennen." Die Stände ent¬ sprachen dieser Erwartung, nachdem schon vorher eine zahlreich besuchte Ver¬ sammlung von adeligen und bürgerlichen Mitgliedern der Ritterschaft unauf¬ gefordert die patriotische Erklärung abgegeben hatte, „daß sie alle und jede - politischen Sonderrechte, welche ihnen bisher verfassungsmäßig zugestanden haben, freiwillig und gern, um das Wohl des Vaterlandes zu fördern, opfern wollen". In der Antwort auf die großherzogliche Proposition erklärten die Stände sich bereit, „dem Rufe der Landesherren und den Anforderungen der Zeit zu folgen und demgemäß ihre bisherigen grundgesetzlichcn Landstandschafts- rechte zu der Folge aufzugeben, daß künftig nur gewählte Repräsentanten im Ständeversammlung bilden". Nachdem der Landtagsabschied diese Erklärung acceptirt hatte, wurde in Uebereinstimmung mit dem ständischen Beschlusse eine aus frei gewählten Ver¬ tretern bestehende constituirende Versammlung berufen und mit dieser ein neues Staatsgrundgesctz für Mecklenburg-Schwerin vereinbart. Dasselbe ward vom Großherzog vollzogen, mit dem Gelöbniß, fest und unverbrüchlich daran halten zu wollen, und am 10. October 1849 unter gleichzeitiger Aufhebung der bis¬ herigen landständischen Verfassung publicirt, auch demnächst durch Berufung eines Landtags aus den 27. Februar 1850 in Wirksamkeit gesetzt. Indessen 27"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/231
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/231>, abgerufen am 28.06.2024.