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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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hatte die feudale Partei längst angefangen, das dargebrachte Opfer zu bereuen,
und war bestrebt gewesen, es vom Altar des Vaterlandes zurückzunehmen. Es
gelang ihr auch nach kurzer Zeit, den Großherzog zu bewegen, mit den Wort¬
führern der gesetzlich aufgehobenen Ritterschaft nach den Normen der gesetzlich
aufgehobenen alten Landesverfassung ein Schiedsgericht zu bestellen, welches die
Frage entscheiden sollte, ob das Staatsgrundgesetz von 1849 in rechtsgiltiger
Weise zu Stande gekommen sei, und durch diese Fiction, daß das gesetzlich
Todte noch lebe und noch zur Bestellung eines Schiedsrichters fähig sei, sowie
daß der constitutionelle Fürst noch mit den erloschenen Ständen über die Frage
wegen der Rechtsbeständigkeit der neuen Verfassung Processiren könne, wurde
die Wiederaufrichtung der alten Landesverfassung herbeigeführt, welche sich seit¬
dem bis auf den heutigen Tag erhielt.

Durch den mit Preußen abgeschlossenen Bündnisvertrag vom 21. August d.J.
wegen Begründung "eines norddeutschen Bundes unter Mitwirkung eines frei
gewählten Parlaments war Mecklenburg in eine ähnliche Lage wie im Früh¬
ling des Jahres 1848 gekommen. Zwar wurde der Feudalismus weniger un¬
mittelbar von diesem Vertrage berührt als von den Forderungen, welche das
Jahr 1848 an ihn richtete; aber indirect mußte dieser Vertrag, wenn er zur
Ausführung gelangte und Mecklenburg in das Leben des neuen Bundesstaats
organisch einfügte, doch eine so bedeutende Aenderung aller politischen und
socialen Verhältnisse bewirken, daß als das Ende des damit betretenen Weges
der Untergang der feudalen Landesverfassung deutlich genug hervortrat.

So weit der Vertrag namentlich durch Ueberweisung wichtiger Theile der
Gesetzgebung an die zu begründende neue Bundesgewalt die Rechte der Stände
berührte, war in demselben die Zustimmung der letzteren vorbehalten worden.
Zur Erledigung dieses Vorbehalts wurde auf den 26. September von beiden
Großherzogen ein außerordentlicher Landtag nach Schwerin berufen. Wenn
aber auf dem außerordentlichen Landtage von 1848 die Regierungen sich von
der inneren Nothwendigkeit einer durchgreifenden Verfassungsreform durchdrungen
zeigten und die Stände diese innere Nothwendigkeit gleichfalls anerkannten und
sich bereitwillig in dieselbe fügten, so war die Stellung beider zu der verhan¬
delten Frage in dem gegenwärtigen Falle eine vollkommen andere. Die Re¬
gierungen verhehlten es den Ständen nicht, daß der proponirte Beitritt zu
dem neuen Bundesstaat nur das Product eines äußeren Zwanges sei, und die
feudale Partei, welche die überwiegende Mehrheit in der Ritterschaft bildet,
wurde durch die Reue über die im Jahre 1848 von ihr bewiesene Selbstver-
läugnung und über die damals von ihr gebrachten und nur mit Mühe rück¬
gängig gemachten Opfer jetzt zur größten Vorsicht bestimmt. Daß man, so
weit möglich, allen Konsequenzen des Bündnisses widerstreben müsse, welche in
irgendeiner Weise die feudale Landesverfassung zu alteriren droheten, darüber


hatte die feudale Partei längst angefangen, das dargebrachte Opfer zu bereuen,
und war bestrebt gewesen, es vom Altar des Vaterlandes zurückzunehmen. Es
gelang ihr auch nach kurzer Zeit, den Großherzog zu bewegen, mit den Wort¬
führern der gesetzlich aufgehobenen Ritterschaft nach den Normen der gesetzlich
aufgehobenen alten Landesverfassung ein Schiedsgericht zu bestellen, welches die
Frage entscheiden sollte, ob das Staatsgrundgesetz von 1849 in rechtsgiltiger
Weise zu Stande gekommen sei, und durch diese Fiction, daß das gesetzlich
Todte noch lebe und noch zur Bestellung eines Schiedsrichters fähig sei, sowie
daß der constitutionelle Fürst noch mit den erloschenen Ständen über die Frage
wegen der Rechtsbeständigkeit der neuen Verfassung Processiren könne, wurde
die Wiederaufrichtung der alten Landesverfassung herbeigeführt, welche sich seit¬
dem bis auf den heutigen Tag erhielt.

Durch den mit Preußen abgeschlossenen Bündnisvertrag vom 21. August d.J.
wegen Begründung »eines norddeutschen Bundes unter Mitwirkung eines frei
gewählten Parlaments war Mecklenburg in eine ähnliche Lage wie im Früh¬
ling des Jahres 1848 gekommen. Zwar wurde der Feudalismus weniger un¬
mittelbar von diesem Vertrage berührt als von den Forderungen, welche das
Jahr 1848 an ihn richtete; aber indirect mußte dieser Vertrag, wenn er zur
Ausführung gelangte und Mecklenburg in das Leben des neuen Bundesstaats
organisch einfügte, doch eine so bedeutende Aenderung aller politischen und
socialen Verhältnisse bewirken, daß als das Ende des damit betretenen Weges
der Untergang der feudalen Landesverfassung deutlich genug hervortrat.

So weit der Vertrag namentlich durch Ueberweisung wichtiger Theile der
Gesetzgebung an die zu begründende neue Bundesgewalt die Rechte der Stände
berührte, war in demselben die Zustimmung der letzteren vorbehalten worden.
Zur Erledigung dieses Vorbehalts wurde auf den 26. September von beiden
Großherzogen ein außerordentlicher Landtag nach Schwerin berufen. Wenn
aber auf dem außerordentlichen Landtage von 1848 die Regierungen sich von
der inneren Nothwendigkeit einer durchgreifenden Verfassungsreform durchdrungen
zeigten und die Stände diese innere Nothwendigkeit gleichfalls anerkannten und
sich bereitwillig in dieselbe fügten, so war die Stellung beider zu der verhan¬
delten Frage in dem gegenwärtigen Falle eine vollkommen andere. Die Re¬
gierungen verhehlten es den Ständen nicht, daß der proponirte Beitritt zu
dem neuen Bundesstaat nur das Product eines äußeren Zwanges sei, und die
feudale Partei, welche die überwiegende Mehrheit in der Ritterschaft bildet,
wurde durch die Reue über die im Jahre 1848 von ihr bewiesene Selbstver-
läugnung und über die damals von ihr gebrachten und nur mit Mühe rück¬
gängig gemachten Opfer jetzt zur größten Vorsicht bestimmt. Daß man, so
weit möglich, allen Konsequenzen des Bündnisses widerstreben müsse, welche in
irgendeiner Weise die feudale Landesverfassung zu alteriren droheten, darüber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/232>, abgerufen am 30.06.2024.