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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Das Parlament und die Fürsten.

Das preußische Reich deutscher Nation. Ein Beitrag zum Aufbau. Braunschweig,
1866. Fr. Wagners Hofbuchhandlung.

Mit seltsam gemischter Empfindung, halb Stolz, halb Scham im Herzen,
blicken wir heute auf die Aera der nationalen Jubiläen zurück, die dicht hinter
uns liegt. Von dem Wendepunkt aus betrachtet, den Preußens Sieg herbei¬
geführt hat, erscheinen die meisten wie ebenso viele Todtenfeierlichkeiten, die den
Abschluß überwundener Epochen des nationale" Gedankcnlebens bezeichnen. Seit
dem stolzen Sommer dieses Jahres -- das empfindet Freund und Gegner --
hat J.mus das Haupt gewechselt. Wir brauchen nicht mehr, den Blick rück¬
wärts gewandt. Muth und Beglaubigung unserer selbst von verschwundener
Herrlichkeit zu borgen; vor uns liegt Größeres als hinter uns. Schwärmer
und Sänger der Festjahre reiben sick verwundert die Augen: an der Stelle, ein
welcher die hehre Maid aus Uebelsein, der sie gehuldigt haben, erscheinen
sollte, stehen brandenburgische Necken, wilde Männer mit Keulen und trutzigcm
Antlitz; selten ist unreifen Köpfen greller der Unterschied von Ideal und Wirk¬
lichkeit vor Augen getreten, wie nun. Aber wir segnen die Stunde, in der
die Wahngebilde gutherzigen Selbstbetrugs wills Gott auf immer verscheucht
wurden.

Fremd fast, mit völlig unklaren Bewußtsein ihres Antheils, stand die
Mehrzahl auch der Guten und Besten in der Nation den gewaltigen Vorgängen
gegenüber. Als das Gewitter heranzog, war in Norddeutschland banges Grauen
der Erwartung vorwiegend. Die lärmenden Stimmen aus Süden erschütterten
die gedrückte Atmosphäre kaum; die Nähe großer Verhängnisse hielt die Seelen
gebannt. Tief an die Erde gedrückt von der bleiernen Luft zogen ganz einzeln
die Sturmvögel der Presse den Wolken voraus. Still und mürrisch, wie die
preußischen Krieger zum Kampfe, erwogen die meisten Patrioten die Chancen
des ungeheuren Wagnisses, das Preußen auf sich nahm.

Jetzt, da die Ernte des großen Sommers eingeheimst wird, sind die Zungen
gelöst; überall regt sich Zuruf, Rath, Mahnung und Einspruch, und es ist Ge¬
fahr, daß das Würdige und Beherzigcnswcrthe in dem Schwalle von publici-
stischen Kundgebungen ersticke, die ohnehin abgespannten Gemüthern begegnen.
Um so mehr ist die politische Journalistik dem wahrhaft Trefflicher schuldig, ihm
durch Beifall Eingang und Gehör zu vermitteln.

Bei der oben angeführten Schrift, 1)erer Gedankengang wir skizziren, leitet
uns^ hierzu nicht blos die Uterariscke, sondern in hohem Grade auch die Partei


Das Parlament und die Fürsten.

Das preußische Reich deutscher Nation. Ein Beitrag zum Aufbau. Braunschweig,
1866. Fr. Wagners Hofbuchhandlung.

Mit seltsam gemischter Empfindung, halb Stolz, halb Scham im Herzen,
blicken wir heute auf die Aera der nationalen Jubiläen zurück, die dicht hinter
uns liegt. Von dem Wendepunkt aus betrachtet, den Preußens Sieg herbei¬
geführt hat, erscheinen die meisten wie ebenso viele Todtenfeierlichkeiten, die den
Abschluß überwundener Epochen des nationale» Gedankcnlebens bezeichnen. Seit
dem stolzen Sommer dieses Jahres — das empfindet Freund und Gegner —
hat J.mus das Haupt gewechselt. Wir brauchen nicht mehr, den Blick rück¬
wärts gewandt. Muth und Beglaubigung unserer selbst von verschwundener
Herrlichkeit zu borgen; vor uns liegt Größeres als hinter uns. Schwärmer
und Sänger der Festjahre reiben sick verwundert die Augen: an der Stelle, ein
welcher die hehre Maid aus Uebelsein, der sie gehuldigt haben, erscheinen
sollte, stehen brandenburgische Necken, wilde Männer mit Keulen und trutzigcm
Antlitz; selten ist unreifen Köpfen greller der Unterschied von Ideal und Wirk¬
lichkeit vor Augen getreten, wie nun. Aber wir segnen die Stunde, in der
die Wahngebilde gutherzigen Selbstbetrugs wills Gott auf immer verscheucht
wurden.

Fremd fast, mit völlig unklaren Bewußtsein ihres Antheils, stand die
Mehrzahl auch der Guten und Besten in der Nation den gewaltigen Vorgängen
gegenüber. Als das Gewitter heranzog, war in Norddeutschland banges Grauen
der Erwartung vorwiegend. Die lärmenden Stimmen aus Süden erschütterten
die gedrückte Atmosphäre kaum; die Nähe großer Verhängnisse hielt die Seelen
gebannt. Tief an die Erde gedrückt von der bleiernen Luft zogen ganz einzeln
die Sturmvögel der Presse den Wolken voraus. Still und mürrisch, wie die
preußischen Krieger zum Kampfe, erwogen die meisten Patrioten die Chancen
des ungeheuren Wagnisses, das Preußen auf sich nahm.

Jetzt, da die Ernte des großen Sommers eingeheimst wird, sind die Zungen
gelöst; überall regt sich Zuruf, Rath, Mahnung und Einspruch, und es ist Ge¬
fahr, daß das Würdige und Beherzigcnswcrthe in dem Schwalle von publici-
stischen Kundgebungen ersticke, die ohnehin abgespannten Gemüthern begegnen.
Um so mehr ist die politische Journalistik dem wahrhaft Trefflicher schuldig, ihm
durch Beifall Eingang und Gehör zu vermitteln.

Bei der oben angeführten Schrift, 1)erer Gedankengang wir skizziren, leitet
uns^ hierzu nicht blos die Uterariscke, sondern in hohem Grade auch die Partei


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[0215] Das Parlament und die Fürsten. Das preußische Reich deutscher Nation. Ein Beitrag zum Aufbau. Braunschweig, 1866. Fr. Wagners Hofbuchhandlung. Mit seltsam gemischter Empfindung, halb Stolz, halb Scham im Herzen, blicken wir heute auf die Aera der nationalen Jubiläen zurück, die dicht hinter uns liegt. Von dem Wendepunkt aus betrachtet, den Preußens Sieg herbei¬ geführt hat, erscheinen die meisten wie ebenso viele Todtenfeierlichkeiten, die den Abschluß überwundener Epochen des nationale» Gedankcnlebens bezeichnen. Seit dem stolzen Sommer dieses Jahres — das empfindet Freund und Gegner — hat J.mus das Haupt gewechselt. Wir brauchen nicht mehr, den Blick rück¬ wärts gewandt. Muth und Beglaubigung unserer selbst von verschwundener Herrlichkeit zu borgen; vor uns liegt Größeres als hinter uns. Schwärmer und Sänger der Festjahre reiben sick verwundert die Augen: an der Stelle, ein welcher die hehre Maid aus Uebelsein, der sie gehuldigt haben, erscheinen sollte, stehen brandenburgische Necken, wilde Männer mit Keulen und trutzigcm Antlitz; selten ist unreifen Köpfen greller der Unterschied von Ideal und Wirk¬ lichkeit vor Augen getreten, wie nun. Aber wir segnen die Stunde, in der die Wahngebilde gutherzigen Selbstbetrugs wills Gott auf immer verscheucht wurden. Fremd fast, mit völlig unklaren Bewußtsein ihres Antheils, stand die Mehrzahl auch der Guten und Besten in der Nation den gewaltigen Vorgängen gegenüber. Als das Gewitter heranzog, war in Norddeutschland banges Grauen der Erwartung vorwiegend. Die lärmenden Stimmen aus Süden erschütterten die gedrückte Atmosphäre kaum; die Nähe großer Verhängnisse hielt die Seelen gebannt. Tief an die Erde gedrückt von der bleiernen Luft zogen ganz einzeln die Sturmvögel der Presse den Wolken voraus. Still und mürrisch, wie die preußischen Krieger zum Kampfe, erwogen die meisten Patrioten die Chancen des ungeheuren Wagnisses, das Preußen auf sich nahm. Jetzt, da die Ernte des großen Sommers eingeheimst wird, sind die Zungen gelöst; überall regt sich Zuruf, Rath, Mahnung und Einspruch, und es ist Ge¬ fahr, daß das Würdige und Beherzigcnswcrthe in dem Schwalle von publici- stischen Kundgebungen ersticke, die ohnehin abgespannten Gemüthern begegnen. Um so mehr ist die politische Journalistik dem wahrhaft Trefflicher schuldig, ihm durch Beifall Eingang und Gehör zu vermitteln. Bei der oben angeführten Schrift, 1)erer Gedankengang wir skizziren, leitet uns^ hierzu nicht blos die Uterariscke, sondern in hohem Grade auch die Partei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/215>, abgerufen am 28.06.2024.