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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Form, so wie sie dasteht, als ein Document desselben Geistes bezeichnet wäre,
dem die deutsche Nation jedenfalls die vielseitigste und reichste künstlerische Ge¬
staltung ihrer Sprache zu danken hat. --




Stimmungen in der Provinz Hannover.

Vor zwei Jahren, als die Discussion über die Zukunft der Elbherzogthümer
die deutschen Politiker aufregte, ist bei Abwehr der particularistischen Forderungen
von Seiten der national Gesinnten oft das Stichwort ausgesprochen worden:
wir wollen kein zweites Hannover. Der Vergleich lag nahe genug. Denn
hinreichender Grund war zu der Befürchtung, daß wie im Welfenkönigreiche.
so auch in dem Lande nördlich der Elbe die exclusive und eigenwillige Natur
des Volksstammes sich bei autonomer politischer Verfassung nur um so hart¬
näckiger auf sich selber stellen und von productiver Gemeinschaft mit dem Lebens¬
principe des neuen Deutschland, dem preußischen Staate, sich ausschließen würde.
"Hannover" aber heißt nach seinem bisherigen politischen Charakter ins Be¬
griffliche übersetzt nichts anders als Körper gewordenes Frondiren gegen
Preußen, das politische "Nein" unter jeglichem Aspect. Andrerseits bezeichnend
für die politische Impotenz solcher Königthümer wie das welfische war. ist der
Dünkel, mit welchem das Deficit der Macht geläugnet wurde; soll es doch
weiland König Georg -- der seinen Namen beiläufig bemerkt, nach dem Bei¬
spiel seiner fremdländischen Vorfahren gern in der wälschen Form aussprechen
hört -- sehr verdrossen haben, daß es ihm nicht gelingen wollte, in politischen
Noten für das seinem Hochmuth anstößige Prädikat Mlttelstaatcn den Ausdruck
"Mittelreiche" zur Geltung zu bringen. Indeß, was ihm auf sprachlichem Ge¬
biete versagt blieb, hat er. einzig übertroffen von seinem hessischen Vetter, aus
politischem erlangt: er hat in der That aus seiner Monarchie das deutsche
Reich der Mitte gemacht, das Land des politischen Stillstandes, dessen oberstes
Gesetz die Laune des Herrn war und dessen Staatsbeamten zugemuthet wurde,
sichs zur Ehre zu rechnen, daß sie amtlich die königliche Dienerschaft hießen.

Dieser Mummenschanz ist, Gottlob, vorüber. Er hat, mit den Augen des
Humoristen betrachtet, der Nation neben schwerem Verdruß manche Erheiterung


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Form, so wie sie dasteht, als ein Document desselben Geistes bezeichnet wäre,
dem die deutsche Nation jedenfalls die vielseitigste und reichste künstlerische Ge¬
staltung ihrer Sprache zu danken hat. —




Stimmungen in der Provinz Hannover.

Vor zwei Jahren, als die Discussion über die Zukunft der Elbherzogthümer
die deutschen Politiker aufregte, ist bei Abwehr der particularistischen Forderungen
von Seiten der national Gesinnten oft das Stichwort ausgesprochen worden:
wir wollen kein zweites Hannover. Der Vergleich lag nahe genug. Denn
hinreichender Grund war zu der Befürchtung, daß wie im Welfenkönigreiche.
so auch in dem Lande nördlich der Elbe die exclusive und eigenwillige Natur
des Volksstammes sich bei autonomer politischer Verfassung nur um so hart¬
näckiger auf sich selber stellen und von productiver Gemeinschaft mit dem Lebens¬
principe des neuen Deutschland, dem preußischen Staate, sich ausschließen würde.
„Hannover" aber heißt nach seinem bisherigen politischen Charakter ins Be¬
griffliche übersetzt nichts anders als Körper gewordenes Frondiren gegen
Preußen, das politische „Nein" unter jeglichem Aspect. Andrerseits bezeichnend
für die politische Impotenz solcher Königthümer wie das welfische war. ist der
Dünkel, mit welchem das Deficit der Macht geläugnet wurde; soll es doch
weiland König Georg — der seinen Namen beiläufig bemerkt, nach dem Bei¬
spiel seiner fremdländischen Vorfahren gern in der wälschen Form aussprechen
hört — sehr verdrossen haben, daß es ihm nicht gelingen wollte, in politischen
Noten für das seinem Hochmuth anstößige Prädikat Mlttelstaatcn den Ausdruck
„Mittelreiche" zur Geltung zu bringen. Indeß, was ihm auf sprachlichem Ge¬
biete versagt blieb, hat er. einzig übertroffen von seinem hessischen Vetter, aus
politischem erlangt: er hat in der That aus seiner Monarchie das deutsche
Reich der Mitte gemacht, das Land des politischen Stillstandes, dessen oberstes
Gesetz die Laune des Herrn war und dessen Staatsbeamten zugemuthet wurde,
sichs zur Ehre zu rechnen, daß sie amtlich die königliche Dienerschaft hießen.

Dieser Mummenschanz ist, Gottlob, vorüber. Er hat, mit den Augen des
Humoristen betrachtet, der Nation neben schwerem Verdruß manche Erheiterung


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[0171] Form, so wie sie dasteht, als ein Document desselben Geistes bezeichnet wäre, dem die deutsche Nation jedenfalls die vielseitigste und reichste künstlerische Ge¬ staltung ihrer Sprache zu danken hat. — Stimmungen in der Provinz Hannover. Vor zwei Jahren, als die Discussion über die Zukunft der Elbherzogthümer die deutschen Politiker aufregte, ist bei Abwehr der particularistischen Forderungen von Seiten der national Gesinnten oft das Stichwort ausgesprochen worden: wir wollen kein zweites Hannover. Der Vergleich lag nahe genug. Denn hinreichender Grund war zu der Befürchtung, daß wie im Welfenkönigreiche. so auch in dem Lande nördlich der Elbe die exclusive und eigenwillige Natur des Volksstammes sich bei autonomer politischer Verfassung nur um so hart¬ näckiger auf sich selber stellen und von productiver Gemeinschaft mit dem Lebens¬ principe des neuen Deutschland, dem preußischen Staate, sich ausschließen würde. „Hannover" aber heißt nach seinem bisherigen politischen Charakter ins Be¬ griffliche übersetzt nichts anders als Körper gewordenes Frondiren gegen Preußen, das politische „Nein" unter jeglichem Aspect. Andrerseits bezeichnend für die politische Impotenz solcher Königthümer wie das welfische war. ist der Dünkel, mit welchem das Deficit der Macht geläugnet wurde; soll es doch weiland König Georg — der seinen Namen beiläufig bemerkt, nach dem Bei¬ spiel seiner fremdländischen Vorfahren gern in der wälschen Form aussprechen hört — sehr verdrossen haben, daß es ihm nicht gelingen wollte, in politischen Noten für das seinem Hochmuth anstößige Prädikat Mlttelstaatcn den Ausdruck „Mittelreiche" zur Geltung zu bringen. Indeß, was ihm auf sprachlichem Ge¬ biete versagt blieb, hat er. einzig übertroffen von seinem hessischen Vetter, aus politischem erlangt: er hat in der That aus seiner Monarchie das deutsche Reich der Mitte gemacht, das Land des politischen Stillstandes, dessen oberstes Gesetz die Laune des Herrn war und dessen Staatsbeamten zugemuthet wurde, sichs zur Ehre zu rechnen, daß sie amtlich die königliche Dienerschaft hießen. Dieser Mummenschanz ist, Gottlob, vorüber. Er hat, mit den Augen des Humoristen betrachtet, der Nation neben schwerem Verdruß manche Erheiterung 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/171>, abgerufen am 28.06.2024.