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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Oestreichs Zukunft.

Der Friede zwischen Oestreich und Preußen ist geschlossen; die preußischen
Truppen werden bald den östreichischen Kaiserstaat geräumt haben, und die
beiden mächtigen Nebenbuhler, welche hundertjährige Gegncischast hoffentlich
zum letzten Mal auf das Glück der Waffen gesetzt haben, müssen nun daran
gehen die Stellung, die ihnen das Glück der Waffen angewiesen hat, nach allen
ihren Richtungen begreifen zu lernen, um danach Maß und Ziel ihrer zu¬
künftigen äußern und innern Politik sich festzustellen. Während Preußen die
hohe Aufgabe zugefallen ist. einen Bund zu schaffen, der die Mannigfaltigkeit
staatlicher Verbindungen des Menschengeschlechts um eine neue wichtige Probe
bereichern soll, während es in seine Hände gelegt ist. einem großen Volte end¬
lich die ihm entsprechende Lebensform zu bereite", und von der Lösung dieser
Aufgabe nicht nur das Schicksal dieses Volks, sondern wahrscheinlich die Ent¬
scheidung der Frage bedingt ist, ob die Monarchie auf dem europäischen Fest¬
lande auch fernerhin im Stande sein werde, den mächtigen Strömungen von
jenseits des Oceans zu widerstehen -- ist Oestreich das ungleich unscheinbarere
Loos zugefallen, um seinen eigenen Bestand zu ringen, den Bestandtheilen eines
alten Reichs einen neuen Lcbensimpuls zu geben, der alle Glieder durchdringen
und zum festen modernen Staate einigen soll. Unscheinbarer, und dennoch
gleichfalls von hoher Wichtigkeit für das künftige Europa. Wir Deutsche, des
Nordens wie des Südens, werden unsere Aufmerksamkeit und geistige Arbeit
bald vorwiegend durch die Gestaltungen auf deutschem Boden absorbirt sehen,
und dennoch ziemt es uns, dem Oestreich, mit dem wir eben im Kampfe ge¬
standen haben, lebendige Theilnahme zu widmen, in freundschaftlicher Gesinnung
für die demselben angehörenden uns verwandten Stämme, und im allereigensten
Interesse. So gerecht und tief der Zorn war, den wir im nördlichen Deutsch¬
land über die unwürdige lügenhafte Stellung der deutschen Presse in Oestreich
während des letzten Krieges empfinden mußten, die Waffe des Hasses ist uns, Gott
sei gedankt, im Ganzen fern geblieben, und ohne Haß vermögen wir den ferneren
Geschicken Oestreichs zu folgen. Von unmittelbarsten Interesse aber werden diese
Geschicke für uns sein, so frei auch die Bahn für unseren Lauf geworden sein
mag. Wird diesem Oestreich sein Neubau gelingen? Niemand vermag es zu
sagen: politische Parteistellung, gründlichere oder oberflächlichere Kenntniß der
Zustände mögen mehr zum Glauben an den Erfolg oder zum Zweifel daran
hinneigen lassen ; indeß die Factoren des Gelingens sind so mannigfaltig und
so unberechenbar, daß man das Prophezeien auch hier am besten sich fern hält.


Grenzboten III. 1860. 64
Oestreichs Zukunft.

Der Friede zwischen Oestreich und Preußen ist geschlossen; die preußischen
Truppen werden bald den östreichischen Kaiserstaat geräumt haben, und die
beiden mächtigen Nebenbuhler, welche hundertjährige Gegncischast hoffentlich
zum letzten Mal auf das Glück der Waffen gesetzt haben, müssen nun daran
gehen die Stellung, die ihnen das Glück der Waffen angewiesen hat, nach allen
ihren Richtungen begreifen zu lernen, um danach Maß und Ziel ihrer zu¬
künftigen äußern und innern Politik sich festzustellen. Während Preußen die
hohe Aufgabe zugefallen ist. einen Bund zu schaffen, der die Mannigfaltigkeit
staatlicher Verbindungen des Menschengeschlechts um eine neue wichtige Probe
bereichern soll, während es in seine Hände gelegt ist. einem großen Volte end¬
lich die ihm entsprechende Lebensform zu bereite», und von der Lösung dieser
Aufgabe nicht nur das Schicksal dieses Volks, sondern wahrscheinlich die Ent¬
scheidung der Frage bedingt ist, ob die Monarchie auf dem europäischen Fest¬
lande auch fernerhin im Stande sein werde, den mächtigen Strömungen von
jenseits des Oceans zu widerstehen — ist Oestreich das ungleich unscheinbarere
Loos zugefallen, um seinen eigenen Bestand zu ringen, den Bestandtheilen eines
alten Reichs einen neuen Lcbensimpuls zu geben, der alle Glieder durchdringen
und zum festen modernen Staate einigen soll. Unscheinbarer, und dennoch
gleichfalls von hoher Wichtigkeit für das künftige Europa. Wir Deutsche, des
Nordens wie des Südens, werden unsere Aufmerksamkeit und geistige Arbeit
bald vorwiegend durch die Gestaltungen auf deutschem Boden absorbirt sehen,
und dennoch ziemt es uns, dem Oestreich, mit dem wir eben im Kampfe ge¬
standen haben, lebendige Theilnahme zu widmen, in freundschaftlicher Gesinnung
für die demselben angehörenden uns verwandten Stämme, und im allereigensten
Interesse. So gerecht und tief der Zorn war, den wir im nördlichen Deutsch¬
land über die unwürdige lügenhafte Stellung der deutschen Presse in Oestreich
während des letzten Krieges empfinden mußten, die Waffe des Hasses ist uns, Gott
sei gedankt, im Ganzen fern geblieben, und ohne Haß vermögen wir den ferneren
Geschicken Oestreichs zu folgen. Von unmittelbarsten Interesse aber werden diese
Geschicke für uns sein, so frei auch die Bahn für unseren Lauf geworden sein
mag. Wird diesem Oestreich sein Neubau gelingen? Niemand vermag es zu
sagen: politische Parteistellung, gründlichere oder oberflächlichere Kenntniß der
Zustände mögen mehr zum Glauben an den Erfolg oder zum Zweifel daran
hinneigen lassen ; indeß die Factoren des Gelingens sind so mannigfaltig und
so unberechenbar, daß man das Prophezeien auch hier am besten sich fern hält.


Grenzboten III. 1860. 64
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[0539] Oestreichs Zukunft. Der Friede zwischen Oestreich und Preußen ist geschlossen; die preußischen Truppen werden bald den östreichischen Kaiserstaat geräumt haben, und die beiden mächtigen Nebenbuhler, welche hundertjährige Gegncischast hoffentlich zum letzten Mal auf das Glück der Waffen gesetzt haben, müssen nun daran gehen die Stellung, die ihnen das Glück der Waffen angewiesen hat, nach allen ihren Richtungen begreifen zu lernen, um danach Maß und Ziel ihrer zu¬ künftigen äußern und innern Politik sich festzustellen. Während Preußen die hohe Aufgabe zugefallen ist. einen Bund zu schaffen, der die Mannigfaltigkeit staatlicher Verbindungen des Menschengeschlechts um eine neue wichtige Probe bereichern soll, während es in seine Hände gelegt ist. einem großen Volte end¬ lich die ihm entsprechende Lebensform zu bereite», und von der Lösung dieser Aufgabe nicht nur das Schicksal dieses Volks, sondern wahrscheinlich die Ent¬ scheidung der Frage bedingt ist, ob die Monarchie auf dem europäischen Fest¬ lande auch fernerhin im Stande sein werde, den mächtigen Strömungen von jenseits des Oceans zu widerstehen — ist Oestreich das ungleich unscheinbarere Loos zugefallen, um seinen eigenen Bestand zu ringen, den Bestandtheilen eines alten Reichs einen neuen Lcbensimpuls zu geben, der alle Glieder durchdringen und zum festen modernen Staate einigen soll. Unscheinbarer, und dennoch gleichfalls von hoher Wichtigkeit für das künftige Europa. Wir Deutsche, des Nordens wie des Südens, werden unsere Aufmerksamkeit und geistige Arbeit bald vorwiegend durch die Gestaltungen auf deutschem Boden absorbirt sehen, und dennoch ziemt es uns, dem Oestreich, mit dem wir eben im Kampfe ge¬ standen haben, lebendige Theilnahme zu widmen, in freundschaftlicher Gesinnung für die demselben angehörenden uns verwandten Stämme, und im allereigensten Interesse. So gerecht und tief der Zorn war, den wir im nördlichen Deutsch¬ land über die unwürdige lügenhafte Stellung der deutschen Presse in Oestreich während des letzten Krieges empfinden mußten, die Waffe des Hasses ist uns, Gott sei gedankt, im Ganzen fern geblieben, und ohne Haß vermögen wir den ferneren Geschicken Oestreichs zu folgen. Von unmittelbarsten Interesse aber werden diese Geschicke für uns sein, so frei auch die Bahn für unseren Lauf geworden sein mag. Wird diesem Oestreich sein Neubau gelingen? Niemand vermag es zu sagen: politische Parteistellung, gründlichere oder oberflächlichere Kenntniß der Zustände mögen mehr zum Glauben an den Erfolg oder zum Zweifel daran hinneigen lassen ; indeß die Factoren des Gelingens sind so mannigfaltig und so unberechenbar, daß man das Prophezeien auch hier am besten sich fern hält. Grenzboten III. 1860. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/539>, abgerufen am 03.07.2024.