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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band.

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Aber sollen wir wünschen, daß das Werk gelinge, soll dies namentlich die deutsche
national-liberale Partei wünschen? das ist eine Frage, deren Beantwortung wir
uns grade jetzt nicht erspare" können. Die letztere hängt freilich innig zusammen
mit der Bestimmung der Mittel, durch die der Zusammenhalt möglich ist, der
Zwecke, deren Erfüllung dem neuen Oestreich vorgezeichnet sein wird. Eines
jedoch dürfen wir uns wohl auch ohne näheres Eingehen auf diese Fragen vor¬
halten, daß nämlich ein Zerfall Oestreichs vor einer festen Gründung des neuen
Deutschlands die jetzige Spaltung zwischen Nord und Süd verewigen würde.
Der Süden würde dann genügende Kraft selbständiger Existenz gewinnen, und
getrennt würden beide Komplexe ein eigenartiges Leben führen, ihre besten
Kräfte, geistige und materielle, in gegenseitiger Rivalität und Befehdung auf¬
zehren und dauernd von dem Ziele abirren, welches das deutsche Volk nach dem
Urtheile aller Parteien sich stecken soll. Und ebenso wenig dürfen wir uns ver¬
hehlen, daß eine Consolidirung Deutschlands, welche dieses befähigen soll, die
Deutschen Oestreichs ohne Störung in seinem Organismus aufzunehmen, lange
Jahre, vielleicht Menschenalter brauchen wird. Wir haben also hierin allein
schon hinreichenden Grund, die Erhaltung der östreichischen Monarchie wenigstens
für lange Zeit noch zu wünschen; ob für immer? das ist eine Frage, deren
Lösung von der Gestaltung der Dinge im Oriente wie in unserem Vaterlande
abhängt. Haben wir aber solchen Grund, und wäre es auch nur ein eigen¬
nütziger, den Fortbestand des Kaiscrstaats zu wünschen, so dürfen wir auch
wohl in die geistige Arbeit mit eintreten, welche dieser Fortbestand erfordern
wird. Es ist vielleicht nicht überflüssig, ein eigenes Interesse an die Spitze der
Betrachtung gestellt zu haben, es wird dadurch vielleicht die Anklage eines pha¬
risäischen Rathge'dens vermieden. Und auch der Vorwurf unerbetenen Vor¬
drängens wild wohl nicht gehört werden, wo Regierung und Völker noch so
weit entfernt scheinen von einem klar erkannten, mit fester Hand entworfenen
Programme, wo die verschiedenartigsten Einflüsse mit täglich wechselnder Aus¬
sicht auf Erfolg um die Oberhand ringen und wo eine ungeheure Katastrophe
zwingt, sich in ganz neuen Verhältnissen zurecht zu finden.

Es mag vielleicht pedantisch erscheinen, und doch ist es nothwendig, bei
einer Betrachtung der östreichischen Verhältnisse einen kurzen theoretischen Blick
auf die Umwandlung zu werfen, die seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts
in der Auffassung des Staates vor sich gegangen ist. Man pflegt sich ge¬
wöhnlich mit den Schwierigkeiten, gegen welche der östreichische Staat zu kämpfen,
durch einen Hinweis auf die Nationalitätcntheorie abzufinden, welche angeblich
den Regulator in der modernen Staatenentwickelung bilden soll, und nach der
Stärke des Glaubens an die ausnahmslose Geltung dieses Princips pflegt
man die Auflösung der östreichischen Monarchie nur als eine Frage der Zeit
zu betrachten, oder die gegenwärtigen Krisen nur als vorübergehende Zustände


Aber sollen wir wünschen, daß das Werk gelinge, soll dies namentlich die deutsche
national-liberale Partei wünschen? das ist eine Frage, deren Beantwortung wir
uns grade jetzt nicht erspare» können. Die letztere hängt freilich innig zusammen
mit der Bestimmung der Mittel, durch die der Zusammenhalt möglich ist, der
Zwecke, deren Erfüllung dem neuen Oestreich vorgezeichnet sein wird. Eines
jedoch dürfen wir uns wohl auch ohne näheres Eingehen auf diese Fragen vor¬
halten, daß nämlich ein Zerfall Oestreichs vor einer festen Gründung des neuen
Deutschlands die jetzige Spaltung zwischen Nord und Süd verewigen würde.
Der Süden würde dann genügende Kraft selbständiger Existenz gewinnen, und
getrennt würden beide Komplexe ein eigenartiges Leben führen, ihre besten
Kräfte, geistige und materielle, in gegenseitiger Rivalität und Befehdung auf¬
zehren und dauernd von dem Ziele abirren, welches das deutsche Volk nach dem
Urtheile aller Parteien sich stecken soll. Und ebenso wenig dürfen wir uns ver¬
hehlen, daß eine Consolidirung Deutschlands, welche dieses befähigen soll, die
Deutschen Oestreichs ohne Störung in seinem Organismus aufzunehmen, lange
Jahre, vielleicht Menschenalter brauchen wird. Wir haben also hierin allein
schon hinreichenden Grund, die Erhaltung der östreichischen Monarchie wenigstens
für lange Zeit noch zu wünschen; ob für immer? das ist eine Frage, deren
Lösung von der Gestaltung der Dinge im Oriente wie in unserem Vaterlande
abhängt. Haben wir aber solchen Grund, und wäre es auch nur ein eigen¬
nütziger, den Fortbestand des Kaiscrstaats zu wünschen, so dürfen wir auch
wohl in die geistige Arbeit mit eintreten, welche dieser Fortbestand erfordern
wird. Es ist vielleicht nicht überflüssig, ein eigenes Interesse an die Spitze der
Betrachtung gestellt zu haben, es wird dadurch vielleicht die Anklage eines pha¬
risäischen Rathge'dens vermieden. Und auch der Vorwurf unerbetenen Vor¬
drängens wild wohl nicht gehört werden, wo Regierung und Völker noch so
weit entfernt scheinen von einem klar erkannten, mit fester Hand entworfenen
Programme, wo die verschiedenartigsten Einflüsse mit täglich wechselnder Aus¬
sicht auf Erfolg um die Oberhand ringen und wo eine ungeheure Katastrophe
zwingt, sich in ganz neuen Verhältnissen zurecht zu finden.

Es mag vielleicht pedantisch erscheinen, und doch ist es nothwendig, bei
einer Betrachtung der östreichischen Verhältnisse einen kurzen theoretischen Blick
auf die Umwandlung zu werfen, die seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts
in der Auffassung des Staates vor sich gegangen ist. Man pflegt sich ge¬
wöhnlich mit den Schwierigkeiten, gegen welche der östreichische Staat zu kämpfen,
durch einen Hinweis auf die Nationalitätcntheorie abzufinden, welche angeblich
den Regulator in der modernen Staatenentwickelung bilden soll, und nach der
Stärke des Glaubens an die ausnahmslose Geltung dieses Princips pflegt
man die Auflösung der östreichischen Monarchie nur als eine Frage der Zeit
zu betrachten, oder die gegenwärtigen Krisen nur als vorübergehende Zustände


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_285587/540>, abgerufen am 22.07.2024.