Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Zeit, in welcher der Verfasser jenes Briefes regierte, liegt hinter
uns und das jüngere Geschlecht erlauchter Herrn fühlt bereits den Segen. wei>
chen eine höhere Entwickelung der Volkskraft und eine gesetzliche Beschränkung
persönlicher Willkür vor allem dem Fürsten selbst zutheilt. Aber noch ist den
Fürsten und den Völkern heilsam, wenn sie in einem solchen unbefangenen
Selbstbekenntniß aus früherer Zeit erkennen, was möglich war, bevor die
Völker um ihre Verfassung kämpften, und was noch heut möglich ist,
wo nicht daS Urtheil der Zeitgenossen laut über die Höchsten der Erde er"
schallt, und wo nicht das Volk selbst zur Mitwacht für seine Sitte und sein
Recht sich erhebt.




Geschichte der Revolutionszeit.
V H. von Sybel. on

Die dritte Auflage des berühmten Werkes liegt zur Hälfte vollendet vor
uns. Als das Buch zuerst erschien, wurde es zwar von der Kritik mit hoher
Achtung begrüßt, aber einige Zeit verging, bevor das Publikum erkannte, wel¬
chen Schatz es daran besaß. Das ist seitdem gut gemacht worden. Der Deut¬
sche ist sich jetzt des Werthes wohl bewußt, den diese Arbeit nicht nur für quel¬
lenmäßige Kenntniß neuerer Geschichte, auch für das politische Urtheil unsrer
Nation hat. Aus gründlicher archivaler Forschung hervorgegangen, von einem
Gelehrten, dessen kritische Methode als von den besten anerkannt ist. bot das Wer!
auch in Stil und Darstellung dem Leser viel wohlthuende Schönheit. Aber als
sein größter Vorzug gilt dem Deutschen doch der deutsche Sinn, in dem eS
geschrieben wurde, eine GeslNNUNg, die auf jedem Blatt der düstern Geschichte
den Lesenden freut und erhebt.

Wenn ein Geschichtswerk im deutschen Sinne versaßt ist. kann sich ihm
nicht mit demselben Recht ein anderes Werk, das im französischen Sinn oder
im englischen geschrieben ist, gegenüberstellen? Und ist solches Prädicat nicht
ein zweifelhaftes Lob für die wahrhafte Gründlichkeit eines Gelehrten? Nun,
wir Deutsche dürfen uns wohl rühmen, daß wir nicht, was unserer Eitelkeit


Grenzboten I. 18KK. 10

Die Zeit, in welcher der Verfasser jenes Briefes regierte, liegt hinter
uns und das jüngere Geschlecht erlauchter Herrn fühlt bereits den Segen. wei>
chen eine höhere Entwickelung der Volkskraft und eine gesetzliche Beschränkung
persönlicher Willkür vor allem dem Fürsten selbst zutheilt. Aber noch ist den
Fürsten und den Völkern heilsam, wenn sie in einem solchen unbefangenen
Selbstbekenntniß aus früherer Zeit erkennen, was möglich war, bevor die
Völker um ihre Verfassung kämpften, und was noch heut möglich ist,
wo nicht daS Urtheil der Zeitgenossen laut über die Höchsten der Erde er«
schallt, und wo nicht das Volk selbst zur Mitwacht für seine Sitte und sein
Recht sich erhebt.




Geschichte der Revolutionszeit.
V H. von Sybel. on

Die dritte Auflage des berühmten Werkes liegt zur Hälfte vollendet vor
uns. Als das Buch zuerst erschien, wurde es zwar von der Kritik mit hoher
Achtung begrüßt, aber einige Zeit verging, bevor das Publikum erkannte, wel¬
chen Schatz es daran besaß. Das ist seitdem gut gemacht worden. Der Deut¬
sche ist sich jetzt des Werthes wohl bewußt, den diese Arbeit nicht nur für quel¬
lenmäßige Kenntniß neuerer Geschichte, auch für das politische Urtheil unsrer
Nation hat. Aus gründlicher archivaler Forschung hervorgegangen, von einem
Gelehrten, dessen kritische Methode als von den besten anerkannt ist. bot das Wer!
auch in Stil und Darstellung dem Leser viel wohlthuende Schönheit. Aber als
sein größter Vorzug gilt dem Deutschen doch der deutsche Sinn, in dem eS
geschrieben wurde, eine GeslNNUNg, die auf jedem Blatt der düstern Geschichte
den Lesenden freut und erhebt.

Wenn ein Geschichtswerk im deutschen Sinne versaßt ist. kann sich ihm
nicht mit demselben Recht ein anderes Werk, das im französischen Sinn oder
im englischen geschrieben ist, gegenüberstellen? Und ist solches Prädicat nicht
ein zweifelhaftes Lob für die wahrhafte Gründlichkeit eines Gelehrten? Nun,
wir Deutsche dürfen uns wohl rühmen, daß wir nicht, was unserer Eitelkeit


Grenzboten I. 18KK. 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284551"/>
          <p xml:id="ID_233"> Die Zeit, in welcher der Verfasser jenes Briefes regierte, liegt hinter<lb/>
uns und das jüngere Geschlecht erlauchter Herrn fühlt bereits den Segen. wei&gt;<lb/>
chen eine höhere Entwickelung der Volkskraft und eine gesetzliche Beschränkung<lb/>
persönlicher Willkür vor allem dem Fürsten selbst zutheilt. Aber noch ist den<lb/>
Fürsten und den Völkern heilsam, wenn sie in einem solchen unbefangenen<lb/>
Selbstbekenntniß aus früherer Zeit erkennen, was möglich war, bevor die<lb/>
Völker um ihre Verfassung kämpften, und was noch heut möglich ist,<lb/>
wo nicht daS Urtheil der Zeitgenossen laut über die Höchsten der Erde er«<lb/>
schallt, und wo nicht das Volk selbst zur Mitwacht für seine Sitte und sein<lb/>
Recht sich erhebt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Geschichte der Revolutionszeit.<lb/>
V<note type="byline"> H. von Sybel.</note> on </head><lb/>
          <p xml:id="ID_234"> Die dritte Auflage des berühmten Werkes liegt zur Hälfte vollendet vor<lb/>
uns. Als das Buch zuerst erschien, wurde es zwar von der Kritik mit hoher<lb/>
Achtung begrüßt, aber einige Zeit verging, bevor das Publikum erkannte, wel¬<lb/>
chen Schatz es daran besaß. Das ist seitdem gut gemacht worden. Der Deut¬<lb/>
sche ist sich jetzt des Werthes wohl bewußt, den diese Arbeit nicht nur für quel¬<lb/>
lenmäßige Kenntniß neuerer Geschichte, auch für das politische Urtheil unsrer<lb/>
Nation hat. Aus gründlicher archivaler Forschung hervorgegangen, von einem<lb/>
Gelehrten, dessen kritische Methode als von den besten anerkannt ist. bot das Wer!<lb/>
auch in Stil und Darstellung dem Leser viel wohlthuende Schönheit. Aber als<lb/>
sein größter Vorzug gilt dem Deutschen doch der deutsche Sinn, in dem eS<lb/>
geschrieben wurde, eine GeslNNUNg, die auf jedem Blatt der düstern Geschichte<lb/>
den Lesenden freut und erhebt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_235" next="#ID_236"> Wenn ein Geschichtswerk im deutschen Sinne versaßt ist. kann sich ihm<lb/>
nicht mit demselben Recht ein anderes Werk, das im französischen Sinn oder<lb/>
im englischen geschrieben ist, gegenüberstellen? Und ist solches Prädicat nicht<lb/>
ein zweifelhaftes Lob für die wahrhafte Gründlichkeit eines Gelehrten? Nun,<lb/>
wir Deutsche dürfen uns wohl rühmen, daß wir nicht, was unserer Eitelkeit</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 18KK. 10</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0081] Die Zeit, in welcher der Verfasser jenes Briefes regierte, liegt hinter uns und das jüngere Geschlecht erlauchter Herrn fühlt bereits den Segen. wei> chen eine höhere Entwickelung der Volkskraft und eine gesetzliche Beschränkung persönlicher Willkür vor allem dem Fürsten selbst zutheilt. Aber noch ist den Fürsten und den Völkern heilsam, wenn sie in einem solchen unbefangenen Selbstbekenntniß aus früherer Zeit erkennen, was möglich war, bevor die Völker um ihre Verfassung kämpften, und was noch heut möglich ist, wo nicht daS Urtheil der Zeitgenossen laut über die Höchsten der Erde er« schallt, und wo nicht das Volk selbst zur Mitwacht für seine Sitte und sein Recht sich erhebt. Geschichte der Revolutionszeit. V H. von Sybel. on Die dritte Auflage des berühmten Werkes liegt zur Hälfte vollendet vor uns. Als das Buch zuerst erschien, wurde es zwar von der Kritik mit hoher Achtung begrüßt, aber einige Zeit verging, bevor das Publikum erkannte, wel¬ chen Schatz es daran besaß. Das ist seitdem gut gemacht worden. Der Deut¬ sche ist sich jetzt des Werthes wohl bewußt, den diese Arbeit nicht nur für quel¬ lenmäßige Kenntniß neuerer Geschichte, auch für das politische Urtheil unsrer Nation hat. Aus gründlicher archivaler Forschung hervorgegangen, von einem Gelehrten, dessen kritische Methode als von den besten anerkannt ist. bot das Wer! auch in Stil und Darstellung dem Leser viel wohlthuende Schönheit. Aber als sein größter Vorzug gilt dem Deutschen doch der deutsche Sinn, in dem eS geschrieben wurde, eine GeslNNUNg, die auf jedem Blatt der düstern Geschichte den Lesenden freut und erhebt. Wenn ein Geschichtswerk im deutschen Sinne versaßt ist. kann sich ihm nicht mit demselben Recht ein anderes Werk, das im französischen Sinn oder im englischen geschrieben ist, gegenüberstellen? Und ist solches Prädicat nicht ein zweifelhaftes Lob für die wahrhafte Gründlichkeit eines Gelehrten? Nun, wir Deutsche dürfen uns wohl rühmen, daß wir nicht, was unserer Eitelkeit Grenzboten I. 18KK. 10

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/81
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/81>, abgerufen am 21.12.2024.