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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Als ich Ihnen zuletzt schrieb, waren es noch die Nachklänge des langen Schul¬
streites, von denen ich zu bericktcn hatte, und die Besiegelung der klerikalen Nieder¬
lage durch die durchweg regierungsfreundlich ausgefallenen Wahlen zu den Kreis-
versammlungen. Seither haben wir mannigfache Erlebnisse durchgemacht, die mich
mahnen, wieder einmal in den "Grünen Blättern" Kunde von badischen Dingen
niederzulegen. Ein andrer Korrespondent d. Bl. hat, als er des verstorbenen Belgier¬
königs gedachte, auch dem Freiherr" von Rvggenbach einige warm empfundene
Worte gewidmet. Was er sagte, ist nur zu wahr. Das, was unserm badischen
Ländchen zumeist die Herzen der deutschen Patrioten gewann, der Poetische Gehalt
unserer Politik, der ideale Zug in unsern Bestrebungen ist mit Roggenbachs Abgang
von uns gewichen. Wir sind jetzt wieder in die Bahnen des landläufigen klein¬
staatlichen Wesens zurückgekehrt, und um den Wechsel so grell und empfindlich als
möglich zu machen, haben wir einmal aus unserer Kammer den politischesten Kopf,
den sie seit lange unter ihre Mitglieder zählte, scheiden sehen, und in unserm aus¬
wärtigen Ministerium hat ein badischer Beust seinen Einzug gehalten.

Die schwere Krankheit, welche Ludwig Hauffer seit beinahe Jahresfrist an Haus
und Zimmer fesselt, hat nicht nur die Universität Heidelberg ihres anregendsten
Lehrers beraubt, sie hat in noch weit höherem Grade unsre zweite Kammer ge¬
schädigt. Sie hat sie führerlos gemacht.

Nicht als ob es unter unsern Landboten an begabten, kenntnißreichen, viel¬
seitig tüchtigen Männern nun völlig fehlte. Es zählt die Kammer eine Anzahl
ausgezeichneter Juristen, einige sehr tüchtige Verwaltungsbeamte zu ihren Mitgliedern.
Die Gesetze werden mit Gründlichkeit und Scharfsinn berathen, an Anregung und
Förderung fehlt es nicht. Aber es ist seit Häussers Rücktritt kein Mann in unserm
Ständchause, der in eigentlich politischen Fragen als Führer des Hauses gelten
könnte, keiner, der so wie der glänzende Redner und berühmte Historiker namentlich
in allen Fragen der deutschen Politik die Gesammtheit der Volksvertretung mit sich
fortzureißen vermöchte. Das wäre ja schließlich kein Unglück, wenn nach wie vor
dem erprobten liberalen Ministerium eine in allen wesentlichen Punkten vertrauende
Kammer gegenüberstünde. Aber nun hat die leidige Schulfrage nicht nur die Einig¬
keit des Ministeriums, sie hat auch das feste Zusammenhalten der liberalen Partei
gesprengt. Als der Landtag im Herbst 1865 zusammentrat, that sich plötzlich mit
großer Ostentation eine "Fortschrittspartei" unter unsern Liberalen auf, die eigent¬
lich im Princip nichts Anderes anstrebt als das Ministerium und die bisherige
Kammermajorität, die aber in der Ausführung überall cousequenter, rascher, schnei¬
diger zu Werke gehen will und nun das Land der Gefahr entgegenführt, über dem


Aus

Als ich Ihnen zuletzt schrieb, waren es noch die Nachklänge des langen Schul¬
streites, von denen ich zu bericktcn hatte, und die Besiegelung der klerikalen Nieder¬
lage durch die durchweg regierungsfreundlich ausgefallenen Wahlen zu den Kreis-
versammlungen. Seither haben wir mannigfache Erlebnisse durchgemacht, die mich
mahnen, wieder einmal in den „Grünen Blättern" Kunde von badischen Dingen
niederzulegen. Ein andrer Korrespondent d. Bl. hat, als er des verstorbenen Belgier¬
königs gedachte, auch dem Freiherr« von Rvggenbach einige warm empfundene
Worte gewidmet. Was er sagte, ist nur zu wahr. Das, was unserm badischen
Ländchen zumeist die Herzen der deutschen Patrioten gewann, der Poetische Gehalt
unserer Politik, der ideale Zug in unsern Bestrebungen ist mit Roggenbachs Abgang
von uns gewichen. Wir sind jetzt wieder in die Bahnen des landläufigen klein¬
staatlichen Wesens zurückgekehrt, und um den Wechsel so grell und empfindlich als
möglich zu machen, haben wir einmal aus unserer Kammer den politischesten Kopf,
den sie seit lange unter ihre Mitglieder zählte, scheiden sehen, und in unserm aus¬
wärtigen Ministerium hat ein badischer Beust seinen Einzug gehalten.

Die schwere Krankheit, welche Ludwig Hauffer seit beinahe Jahresfrist an Haus
und Zimmer fesselt, hat nicht nur die Universität Heidelberg ihres anregendsten
Lehrers beraubt, sie hat in noch weit höherem Grade unsre zweite Kammer ge¬
schädigt. Sie hat sie führerlos gemacht.

Nicht als ob es unter unsern Landboten an begabten, kenntnißreichen, viel¬
seitig tüchtigen Männern nun völlig fehlte. Es zählt die Kammer eine Anzahl
ausgezeichneter Juristen, einige sehr tüchtige Verwaltungsbeamte zu ihren Mitgliedern.
Die Gesetze werden mit Gründlichkeit und Scharfsinn berathen, an Anregung und
Förderung fehlt es nicht. Aber es ist seit Häussers Rücktritt kein Mann in unserm
Ständchause, der in eigentlich politischen Fragen als Führer des Hauses gelten
könnte, keiner, der so wie der glänzende Redner und berühmte Historiker namentlich
in allen Fragen der deutschen Politik die Gesammtheit der Volksvertretung mit sich
fortzureißen vermöchte. Das wäre ja schließlich kein Unglück, wenn nach wie vor
dem erprobten liberalen Ministerium eine in allen wesentlichen Punkten vertrauende
Kammer gegenüberstünde. Aber nun hat die leidige Schulfrage nicht nur die Einig¬
keit des Ministeriums, sie hat auch das feste Zusammenhalten der liberalen Partei
gesprengt. Als der Landtag im Herbst 1865 zusammentrat, that sich plötzlich mit
großer Ostentation eine „Fortschrittspartei" unter unsern Liberalen auf, die eigent¬
lich im Princip nichts Anderes anstrebt als das Ministerium und die bisherige
Kammermajorität, die aber in der Ausführung überall cousequenter, rascher, schnei¬
diger zu Werke gehen will und nun das Land der Gefahr entgegenführt, über dem


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[0504] Aus Als ich Ihnen zuletzt schrieb, waren es noch die Nachklänge des langen Schul¬ streites, von denen ich zu bericktcn hatte, und die Besiegelung der klerikalen Nieder¬ lage durch die durchweg regierungsfreundlich ausgefallenen Wahlen zu den Kreis- versammlungen. Seither haben wir mannigfache Erlebnisse durchgemacht, die mich mahnen, wieder einmal in den „Grünen Blättern" Kunde von badischen Dingen niederzulegen. Ein andrer Korrespondent d. Bl. hat, als er des verstorbenen Belgier¬ königs gedachte, auch dem Freiherr« von Rvggenbach einige warm empfundene Worte gewidmet. Was er sagte, ist nur zu wahr. Das, was unserm badischen Ländchen zumeist die Herzen der deutschen Patrioten gewann, der Poetische Gehalt unserer Politik, der ideale Zug in unsern Bestrebungen ist mit Roggenbachs Abgang von uns gewichen. Wir sind jetzt wieder in die Bahnen des landläufigen klein¬ staatlichen Wesens zurückgekehrt, und um den Wechsel so grell und empfindlich als möglich zu machen, haben wir einmal aus unserer Kammer den politischesten Kopf, den sie seit lange unter ihre Mitglieder zählte, scheiden sehen, und in unserm aus¬ wärtigen Ministerium hat ein badischer Beust seinen Einzug gehalten. Die schwere Krankheit, welche Ludwig Hauffer seit beinahe Jahresfrist an Haus und Zimmer fesselt, hat nicht nur die Universität Heidelberg ihres anregendsten Lehrers beraubt, sie hat in noch weit höherem Grade unsre zweite Kammer ge¬ schädigt. Sie hat sie führerlos gemacht. Nicht als ob es unter unsern Landboten an begabten, kenntnißreichen, viel¬ seitig tüchtigen Männern nun völlig fehlte. Es zählt die Kammer eine Anzahl ausgezeichneter Juristen, einige sehr tüchtige Verwaltungsbeamte zu ihren Mitgliedern. Die Gesetze werden mit Gründlichkeit und Scharfsinn berathen, an Anregung und Förderung fehlt es nicht. Aber es ist seit Häussers Rücktritt kein Mann in unserm Ständchause, der in eigentlich politischen Fragen als Führer des Hauses gelten könnte, keiner, der so wie der glänzende Redner und berühmte Historiker namentlich in allen Fragen der deutschen Politik die Gesammtheit der Volksvertretung mit sich fortzureißen vermöchte. Das wäre ja schließlich kein Unglück, wenn nach wie vor dem erprobten liberalen Ministerium eine in allen wesentlichen Punkten vertrauende Kammer gegenüberstünde. Aber nun hat die leidige Schulfrage nicht nur die Einig¬ keit des Ministeriums, sie hat auch das feste Zusammenhalten der liberalen Partei gesprengt. Als der Landtag im Herbst 1865 zusammentrat, that sich plötzlich mit großer Ostentation eine „Fortschrittspartei" unter unsern Liberalen auf, die eigent¬ lich im Princip nichts Anderes anstrebt als das Ministerium und die bisherige Kammermajorität, die aber in der Ausführung überall cousequenter, rascher, schnei¬ diger zu Werke gehen will und nun das Land der Gefahr entgegenführt, über dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/504>, abgerufen am 21.12.2024.