Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die sich mit jedem neuen Ruck zum Bessern hin nur zu häuten scheint. Noch
artet berechtigter Nationalstolz vielfach in renommirende Selbstüberschätzung aus.
Noch werden nur zu häufig Siege gefeiert, die erst noch zu erkämpfen sind.
Noch wird vor lauter schwarz-roth-goldnem Theater-Deutschthum von der Menge
das wahre Deutschland der Zukunft verkannt. Alles das keineswegs blos
unter dem jungen Blut der Universitäten. Und doch ist der Wagen ein gutes
Ende weitergerückt.

Auch ein Vergleich des Landesvaters von 1782 mit dem heute üblichen
-- beide an sich nicht viel bedeutende Brimboria -- kann das zu Gemüth
führen. Der Landesvater norddeutscher Studenten von 1782 war der Habs¬
burger Joseph der Zweite. Ihn allein, den deutschen Kaiser, feierte das "Lied
der Lieder". Wer wird der Landesvater der deutschen Studenten im Jahr
1882 sein ?




Ein Missionär in Indien.
2.

Die Haupthindernisse der Misston in Indien. -- Kastenwesen und Kastenchristen, -- Jung.
Bengal. -- Maya.

In der kalten Zeit unternahmen unsre Freunde in Ghazipur auch Missions'
reisen nach entlegnen Orten. Da es im Innern des Landes keine Gasthäuser
giebt, so mußten sie dabei ein Zelt, Kochgeschirr, Eßwaaren, Betten und der¬
gleichen, namentlich aber auch Wasser mit sich führen, da das Trinken ver¬
schiedenen Wassers hier leicht Ausschläge erzeugt.- Reiske man zu Wasser, so
miethete man sich ein Boot, reiste man zu Lande, so ließ man seinem Wagen
noch einen Ochsenkarren mit dem Zelt, den Bettstellen und Matratzen und den
Bibel- und Tractätchenkisten nachfahren. Im letztern Falle legte man, nur am
Morgen und Abend reisend, so lange die Sonne am Himmel stand in einem
Wäldchen rastend, täglich höchstens zwei Meilen zurück. Kam man am Ziel an, so
schlugen die Diener in einem Hain an der Landstraße oder unter den Bäumen
eines freien Platzes mitten in dem betreffenden Orte selbst das Zelt auf, während
die Missionäre durch die Gassen gingen und mit den Leuten ein Gespräch an¬
zuknüpfen suchten, an den Ecken predigten oder Bücher vertheilten. "Wir


39 *

die sich mit jedem neuen Ruck zum Bessern hin nur zu häuten scheint. Noch
artet berechtigter Nationalstolz vielfach in renommirende Selbstüberschätzung aus.
Noch werden nur zu häufig Siege gefeiert, die erst noch zu erkämpfen sind.
Noch wird vor lauter schwarz-roth-goldnem Theater-Deutschthum von der Menge
das wahre Deutschland der Zukunft verkannt. Alles das keineswegs blos
unter dem jungen Blut der Universitäten. Und doch ist der Wagen ein gutes
Ende weitergerückt.

Auch ein Vergleich des Landesvaters von 1782 mit dem heute üblichen
— beide an sich nicht viel bedeutende Brimboria — kann das zu Gemüth
führen. Der Landesvater norddeutscher Studenten von 1782 war der Habs¬
burger Joseph der Zweite. Ihn allein, den deutschen Kaiser, feierte das „Lied
der Lieder". Wer wird der Landesvater der deutschen Studenten im Jahr
1882 sein ?




Ein Missionär in Indien.
2.

Die Haupthindernisse der Misston in Indien. — Kastenwesen und Kastenchristen, — Jung.
Bengal. — Maya.

In der kalten Zeit unternahmen unsre Freunde in Ghazipur auch Missions'
reisen nach entlegnen Orten. Da es im Innern des Landes keine Gasthäuser
giebt, so mußten sie dabei ein Zelt, Kochgeschirr, Eßwaaren, Betten und der¬
gleichen, namentlich aber auch Wasser mit sich führen, da das Trinken ver¬
schiedenen Wassers hier leicht Ausschläge erzeugt.- Reiske man zu Wasser, so
miethete man sich ein Boot, reiste man zu Lande, so ließ man seinem Wagen
noch einen Ochsenkarren mit dem Zelt, den Bettstellen und Matratzen und den
Bibel- und Tractätchenkisten nachfahren. Im letztern Falle legte man, nur am
Morgen und Abend reisend, so lange die Sonne am Himmel stand in einem
Wäldchen rastend, täglich höchstens zwei Meilen zurück. Kam man am Ziel an, so
schlugen die Diener in einem Hain an der Landstraße oder unter den Bäumen
eines freien Platzes mitten in dem betreffenden Orte selbst das Zelt auf, während
die Missionäre durch die Gassen gingen und mit den Leuten ein Gespräch an¬
zuknüpfen suchten, an den Ecken predigten oder Bücher vertheilten. „Wir


39 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/284797"/>
          <p xml:id="ID_1073" prev="#ID_1072"> die sich mit jedem neuen Ruck zum Bessern hin nur zu häuten scheint. Noch<lb/>
artet berechtigter Nationalstolz vielfach in renommirende Selbstüberschätzung aus.<lb/>
Noch werden nur zu häufig Siege gefeiert, die erst noch zu erkämpfen sind.<lb/>
Noch wird vor lauter schwarz-roth-goldnem Theater-Deutschthum von der Menge<lb/>
das wahre Deutschland der Zukunft verkannt. Alles das keineswegs blos<lb/>
unter dem jungen Blut der Universitäten. Und doch ist der Wagen ein gutes<lb/>
Ende weitergerückt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1074"> Auch ein Vergleich des Landesvaters von 1782 mit dem heute üblichen<lb/>
&#x2014; beide an sich nicht viel bedeutende Brimboria &#x2014; kann das zu Gemüth<lb/>
führen. Der Landesvater norddeutscher Studenten von 1782 war der Habs¬<lb/>
burger Joseph der Zweite. Ihn allein, den deutschen Kaiser, feierte das &#x201E;Lied<lb/>
der Lieder". Wer wird der Landesvater der deutschen Studenten im Jahr<lb/>
1882 sein ?</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ein Missionär in Indien.<lb/>
2. </head><lb/>
          <note type="argument"> Die Haupthindernisse der Misston in Indien. &#x2014; Kastenwesen und Kastenchristen, &#x2014; Jung.<lb/>
Bengal. &#x2014; Maya.</note><lb/>
          <p xml:id="ID_1075" next="#ID_1076"> In der kalten Zeit unternahmen unsre Freunde in Ghazipur auch Missions'<lb/>
reisen nach entlegnen Orten. Da es im Innern des Landes keine Gasthäuser<lb/>
giebt, so mußten sie dabei ein Zelt, Kochgeschirr, Eßwaaren, Betten und der¬<lb/>
gleichen, namentlich aber auch Wasser mit sich führen, da das Trinken ver¬<lb/>
schiedenen Wassers hier leicht Ausschläge erzeugt.- Reiske man zu Wasser, so<lb/>
miethete man sich ein Boot, reiste man zu Lande, so ließ man seinem Wagen<lb/>
noch einen Ochsenkarren mit dem Zelt, den Bettstellen und Matratzen und den<lb/>
Bibel- und Tractätchenkisten nachfahren. Im letztern Falle legte man, nur am<lb/>
Morgen und Abend reisend, so lange die Sonne am Himmel stand in einem<lb/>
Wäldchen rastend, täglich höchstens zwei Meilen zurück. Kam man am Ziel an, so<lb/>
schlugen die Diener in einem Hain an der Landstraße oder unter den Bäumen<lb/>
eines freien Platzes mitten in dem betreffenden Orte selbst das Zelt auf, während<lb/>
die Missionäre durch die Gassen gingen und mit den Leuten ein Gespräch an¬<lb/>
zuknüpfen suchten, an den Ecken predigten oder Bücher vertheilten. &#x201E;Wir</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 39 *</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0327] die sich mit jedem neuen Ruck zum Bessern hin nur zu häuten scheint. Noch artet berechtigter Nationalstolz vielfach in renommirende Selbstüberschätzung aus. Noch werden nur zu häufig Siege gefeiert, die erst noch zu erkämpfen sind. Noch wird vor lauter schwarz-roth-goldnem Theater-Deutschthum von der Menge das wahre Deutschland der Zukunft verkannt. Alles das keineswegs blos unter dem jungen Blut der Universitäten. Und doch ist der Wagen ein gutes Ende weitergerückt. Auch ein Vergleich des Landesvaters von 1782 mit dem heute üblichen — beide an sich nicht viel bedeutende Brimboria — kann das zu Gemüth führen. Der Landesvater norddeutscher Studenten von 1782 war der Habs¬ burger Joseph der Zweite. Ihn allein, den deutschen Kaiser, feierte das „Lied der Lieder". Wer wird der Landesvater der deutschen Studenten im Jahr 1882 sein ? Ein Missionär in Indien. 2. Die Haupthindernisse der Misston in Indien. — Kastenwesen und Kastenchristen, — Jung. Bengal. — Maya. In der kalten Zeit unternahmen unsre Freunde in Ghazipur auch Missions' reisen nach entlegnen Orten. Da es im Innern des Landes keine Gasthäuser giebt, so mußten sie dabei ein Zelt, Kochgeschirr, Eßwaaren, Betten und der¬ gleichen, namentlich aber auch Wasser mit sich führen, da das Trinken ver¬ schiedenen Wassers hier leicht Ausschläge erzeugt.- Reiske man zu Wasser, so miethete man sich ein Boot, reiste man zu Lande, so ließ man seinem Wagen noch einen Ochsenkarren mit dem Zelt, den Bettstellen und Matratzen und den Bibel- und Tractätchenkisten nachfahren. Im letztern Falle legte man, nur am Morgen und Abend reisend, so lange die Sonne am Himmel stand in einem Wäldchen rastend, täglich höchstens zwei Meilen zurück. Kam man am Ziel an, so schlugen die Diener in einem Hain an der Landstraße oder unter den Bäumen eines freien Platzes mitten in dem betreffenden Orte selbst das Zelt auf, während die Missionäre durch die Gassen gingen und mit den Leuten ein Gespräch an¬ zuknüpfen suchten, an den Ecken predigten oder Bücher vertheilten. „Wir 39 *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/327
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/327>, abgerufen am 30.12.2024.