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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band.

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Die Sprachvergleichung und die BoMiftnng.

Im Jahre 1816 erschien ein kleines Werk unter dem Titel: "ConjugationS-
system der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen,
Persischen und germanischen Sprache von Franz Bopp". Dies unscheinbare
Buch, welches noch der Einführung durch einen Mann bekannteren Namens
(Windischmann) zu bedürfen glaubte, eröffnete eine neue Epoche der Sprach¬
wissenschaft, indem es zuerst eine wissenschaftliche Vergleichung des Baues ver¬
wandter, wenn auch unter einander sehr verschiedener Sprachen gab. Wohl
hatte man längst gefühlt, daß die griechische Sprache mit der lateinischen, daß
beide mit der deutschen eine gewisse Verwandtschaft hätten, wohl hatte man
einzelne in die Augen fallende Aehnlichkeiten zwischen dem Deutschen und Per¬
sischen beachtet; aber die zerstreuten, unmethvdischen Zusammenstellungen hatten
zu keinem wissenschaftlich festen Resultate geführt, zumal da man gemeiniglich
von ganz falschen Gesichtspunkten ausging und z. B. das Lateinische nickt als
Schwester-, >sondern als Tochtersprache des Griechischen ansah. So kann es
denn nicht befremden, daß man. nach blos zufälligen Aehnlichkeiten haschend,
auch wohl einmal eine der genannten Sprachen mit ganz fremdartigen, wie
der hebräischen oder ungarischen, als eng verwandt zusammenstellte. Seit die
Eroberungen der Engländer im vorigen Jahrhundert Indien allmälig ausschlossen,
lernte man hier die alte heilige Sprache der Brahmanen, das Sanskrit, kennen,
deren durchgreifende Ähnlichkeit in ihrem ganzen Bau mir den bekannten
Sprachen, namentlich mit der griechischen, so in die Augen fiel, daß sie keinem,
der sie gründlich siudirte, entgehe" konnte, am wenigsten dem scharfsinnigen,
wissensdurstigen, für den Orient begeisterten William Jones. Aber nirgends
versuchten die englischen Kenner des Sanskrit eine wissenschaftliche Durchführung
der Vergleichung dieser Sprachen. Diese war einem Deutschen vorbehalten.

Franz Bopp. geboren im Jahre 1791 zu Mainz, hatte sich in Paris durch
eifriges Studium eine gründliche Kenntniß des Sanskrit angeeignet. Ihn
fesselte weniger der mystische Reiz der indischen Literatur, welchen die beiden
Schlegel in romantischer Schwärmerei so hoch priesen, sondern mit klarem
Blick erkannte er die außerordentliche Bedeutung der indischen Sprache für die
Wissenschaft, namentlich die eigentliche Linguistik. Ohne den Anspruch machen
zu können, die Ursprache, die Mutter der europäischen oder die vollkommenste
aller Sprachen zu sein, hat das Sanskrit doch ohne Zweifel eine Menge ur-
sprünglicher Züge aus der gemeinschaftlichen vorhistorischen Muttersprache bei¬
behalten welche in allen übrigen Schwestersprachen schon frühzeitig verwischt


Die Sprachvergleichung und die BoMiftnng.

Im Jahre 1816 erschien ein kleines Werk unter dem Titel: „ConjugationS-
system der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen,
Persischen und germanischen Sprache von Franz Bopp". Dies unscheinbare
Buch, welches noch der Einführung durch einen Mann bekannteren Namens
(Windischmann) zu bedürfen glaubte, eröffnete eine neue Epoche der Sprach¬
wissenschaft, indem es zuerst eine wissenschaftliche Vergleichung des Baues ver¬
wandter, wenn auch unter einander sehr verschiedener Sprachen gab. Wohl
hatte man längst gefühlt, daß die griechische Sprache mit der lateinischen, daß
beide mit der deutschen eine gewisse Verwandtschaft hätten, wohl hatte man
einzelne in die Augen fallende Aehnlichkeiten zwischen dem Deutschen und Per¬
sischen beachtet; aber die zerstreuten, unmethvdischen Zusammenstellungen hatten
zu keinem wissenschaftlich festen Resultate geführt, zumal da man gemeiniglich
von ganz falschen Gesichtspunkten ausging und z. B. das Lateinische nickt als
Schwester-, >sondern als Tochtersprache des Griechischen ansah. So kann es
denn nicht befremden, daß man. nach blos zufälligen Aehnlichkeiten haschend,
auch wohl einmal eine der genannten Sprachen mit ganz fremdartigen, wie
der hebräischen oder ungarischen, als eng verwandt zusammenstellte. Seit die
Eroberungen der Engländer im vorigen Jahrhundert Indien allmälig ausschlossen,
lernte man hier die alte heilige Sprache der Brahmanen, das Sanskrit, kennen,
deren durchgreifende Ähnlichkeit in ihrem ganzen Bau mir den bekannten
Sprachen, namentlich mit der griechischen, so in die Augen fiel, daß sie keinem,
der sie gründlich siudirte, entgehe» konnte, am wenigsten dem scharfsinnigen,
wissensdurstigen, für den Orient begeisterten William Jones. Aber nirgends
versuchten die englischen Kenner des Sanskrit eine wissenschaftliche Durchführung
der Vergleichung dieser Sprachen. Diese war einem Deutschen vorbehalten.

Franz Bopp. geboren im Jahre 1791 zu Mainz, hatte sich in Paris durch
eifriges Studium eine gründliche Kenntniß des Sanskrit angeeignet. Ihn
fesselte weniger der mystische Reiz der indischen Literatur, welchen die beiden
Schlegel in romantischer Schwärmerei so hoch priesen, sondern mit klarem
Blick erkannte er die außerordentliche Bedeutung der indischen Sprache für die
Wissenschaft, namentlich die eigentliche Linguistik. Ohne den Anspruch machen
zu können, die Ursprache, die Mutter der europäischen oder die vollkommenste
aller Sprachen zu sein, hat das Sanskrit doch ohne Zweifel eine Menge ur-
sprünglicher Züge aus der gemeinschaftlichen vorhistorischen Muttersprache bei¬
behalten welche in allen übrigen Schwestersprachen schon frühzeitig verwischt


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[0104] Die Sprachvergleichung und die BoMiftnng. Im Jahre 1816 erschien ein kleines Werk unter dem Titel: „ConjugationS- system der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, Persischen und germanischen Sprache von Franz Bopp". Dies unscheinbare Buch, welches noch der Einführung durch einen Mann bekannteren Namens (Windischmann) zu bedürfen glaubte, eröffnete eine neue Epoche der Sprach¬ wissenschaft, indem es zuerst eine wissenschaftliche Vergleichung des Baues ver¬ wandter, wenn auch unter einander sehr verschiedener Sprachen gab. Wohl hatte man längst gefühlt, daß die griechische Sprache mit der lateinischen, daß beide mit der deutschen eine gewisse Verwandtschaft hätten, wohl hatte man einzelne in die Augen fallende Aehnlichkeiten zwischen dem Deutschen und Per¬ sischen beachtet; aber die zerstreuten, unmethvdischen Zusammenstellungen hatten zu keinem wissenschaftlich festen Resultate geführt, zumal da man gemeiniglich von ganz falschen Gesichtspunkten ausging und z. B. das Lateinische nickt als Schwester-, >sondern als Tochtersprache des Griechischen ansah. So kann es denn nicht befremden, daß man. nach blos zufälligen Aehnlichkeiten haschend, auch wohl einmal eine der genannten Sprachen mit ganz fremdartigen, wie der hebräischen oder ungarischen, als eng verwandt zusammenstellte. Seit die Eroberungen der Engländer im vorigen Jahrhundert Indien allmälig ausschlossen, lernte man hier die alte heilige Sprache der Brahmanen, das Sanskrit, kennen, deren durchgreifende Ähnlichkeit in ihrem ganzen Bau mir den bekannten Sprachen, namentlich mit der griechischen, so in die Augen fiel, daß sie keinem, der sie gründlich siudirte, entgehe» konnte, am wenigsten dem scharfsinnigen, wissensdurstigen, für den Orient begeisterten William Jones. Aber nirgends versuchten die englischen Kenner des Sanskrit eine wissenschaftliche Durchführung der Vergleichung dieser Sprachen. Diese war einem Deutschen vorbehalten. Franz Bopp. geboren im Jahre 1791 zu Mainz, hatte sich in Paris durch eifriges Studium eine gründliche Kenntniß des Sanskrit angeeignet. Ihn fesselte weniger der mystische Reiz der indischen Literatur, welchen die beiden Schlegel in romantischer Schwärmerei so hoch priesen, sondern mit klarem Blick erkannte er die außerordentliche Bedeutung der indischen Sprache für die Wissenschaft, namentlich die eigentliche Linguistik. Ohne den Anspruch machen zu können, die Ursprache, die Mutter der europäischen oder die vollkommenste aller Sprachen zu sein, hat das Sanskrit doch ohne Zweifel eine Menge ur- sprünglicher Züge aus der gemeinschaftlichen vorhistorischen Muttersprache bei¬ behalten welche in allen übrigen Schwestersprachen schon frühzeitig verwischt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_284469/104>, abgerufen am 21.12.2024.