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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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stand ja in gar keinem Verhältniß zu den großen nationalen Hoffnungen, die
aufgegeben werden mußten, weil Preußen seine Zollgesetzgebung nicht rückgängig
machen wollte.




Der Stand der Dinge in Kurhessen.

Wer die Lage Kurhesseus recht begreifen will, muß sich zunächst die That¬
sache vergegenwärtigen, daß die Volkszahl nach der im Februar 1864 statt¬
gehabten Zählung -- 745,063 Einwohner -- noch immer nicht wieder den
Stand vom Jahre 1849 mit 769,816 Einwohnern erreicht hat, daß in der
Periode einer mit den Anforderungen der Zeit und den Bedürfnissen des Landes
fortschreitenden Gesetzgebung und Verwaltung, wie in den Jahren 1848 und
1849, die Bevölkerung rasch bis auf den im Jahre 1849 erreichten Standpunkt
emporwuchs, dann aber von 1850 bis 1861, in der Zeit der erneuten Hassen-
Pflug-Schefferschen Verwaltung, des Verfassungsumsturzes, der provisorischen
Gesetzgebung auf 738,476 Einwohner, also um 21,000 Menschen in runder
Zahl, zurücksank. Nach Mittheilungen der (amtlichen) statistischen Commission
in Kassel sind ausgewandert 1862: 6044 Personen, 1863: 6121, 1864: 9130,
1866: 3307, 1866: 3876, 1867: 6663. 1858: 2498, 1859: 2241. 1860-
3282, 1861: 1966. 1862: 1927; also in den Jahren 1862--1862 zusammen
38,854 Personen, welche ein Vermögen von 4,539,391 Thlr. mitnahmen. Vom
Jahr 1861 bis heute hat sich der Bevvlkerungsstand erst wieder um etwa
7000 Menschen erholt. Das kennzeichnet wie nichts Anderes den Stand der
Dinge in Kurhessen.

Dieses jammervolle Ergebniß bedarf indeß weiterer Beleuchtung und Begrün¬
dung. Bekanntlich wurde durch die den Bundesbeschluß vom 24. Mai 1862
ausführende landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni desselben Jahres die
Verfassung vom 6. Januar 1831 wiederhergestellt, jedoch nur die Verfassung^
Urkunde und das Wahlgesetz und nicht der ganze von ihr erheischte Verfassungs¬
zustand des ganzen Landes in Gerichts-, Verwaltungs-, Finanzwesen und Grund¬
rechten des Volkes (Prehfreiheit, Religionsfreiheit:c.), es blieb ausdrücklich die
provisorische Gesetzgebung der Zeit des Verfassungsumsturzcs in Geltung-
Danach gestaltet sich ein jetzt zu entwerfendes staatliches Bild von Kurhessen


stand ja in gar keinem Verhältniß zu den großen nationalen Hoffnungen, die
aufgegeben werden mußten, weil Preußen seine Zollgesetzgebung nicht rückgängig
machen wollte.




Der Stand der Dinge in Kurhessen.

Wer die Lage Kurhesseus recht begreifen will, muß sich zunächst die That¬
sache vergegenwärtigen, daß die Volkszahl nach der im Februar 1864 statt¬
gehabten Zählung — 745,063 Einwohner — noch immer nicht wieder den
Stand vom Jahre 1849 mit 769,816 Einwohnern erreicht hat, daß in der
Periode einer mit den Anforderungen der Zeit und den Bedürfnissen des Landes
fortschreitenden Gesetzgebung und Verwaltung, wie in den Jahren 1848 und
1849, die Bevölkerung rasch bis auf den im Jahre 1849 erreichten Standpunkt
emporwuchs, dann aber von 1850 bis 1861, in der Zeit der erneuten Hassen-
Pflug-Schefferschen Verwaltung, des Verfassungsumsturzes, der provisorischen
Gesetzgebung auf 738,476 Einwohner, also um 21,000 Menschen in runder
Zahl, zurücksank. Nach Mittheilungen der (amtlichen) statistischen Commission
in Kassel sind ausgewandert 1862: 6044 Personen, 1863: 6121, 1864: 9130,
1866: 3307, 1866: 3876, 1867: 6663. 1858: 2498, 1859: 2241. 1860-
3282, 1861: 1966. 1862: 1927; also in den Jahren 1862—1862 zusammen
38,854 Personen, welche ein Vermögen von 4,539,391 Thlr. mitnahmen. Vom
Jahr 1861 bis heute hat sich der Bevvlkerungsstand erst wieder um etwa
7000 Menschen erholt. Das kennzeichnet wie nichts Anderes den Stand der
Dinge in Kurhessen.

Dieses jammervolle Ergebniß bedarf indeß weiterer Beleuchtung und Begrün¬
dung. Bekanntlich wurde durch die den Bundesbeschluß vom 24. Mai 1862
ausführende landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni desselben Jahres die
Verfassung vom 6. Januar 1831 wiederhergestellt, jedoch nur die Verfassung^
Urkunde und das Wahlgesetz und nicht der ganze von ihr erheischte Verfassungs¬
zustand des ganzen Landes in Gerichts-, Verwaltungs-, Finanzwesen und Grund¬
rechten des Volkes (Prehfreiheit, Religionsfreiheit:c.), es blieb ausdrücklich die
provisorische Gesetzgebung der Zeit des Verfassungsumsturzcs in Geltung-
Danach gestaltet sich ein jetzt zu entwerfendes staatliches Bild von Kurhessen


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[0526] stand ja in gar keinem Verhältniß zu den großen nationalen Hoffnungen, die aufgegeben werden mußten, weil Preußen seine Zollgesetzgebung nicht rückgängig machen wollte. Der Stand der Dinge in Kurhessen. Wer die Lage Kurhesseus recht begreifen will, muß sich zunächst die That¬ sache vergegenwärtigen, daß die Volkszahl nach der im Februar 1864 statt¬ gehabten Zählung — 745,063 Einwohner — noch immer nicht wieder den Stand vom Jahre 1849 mit 769,816 Einwohnern erreicht hat, daß in der Periode einer mit den Anforderungen der Zeit und den Bedürfnissen des Landes fortschreitenden Gesetzgebung und Verwaltung, wie in den Jahren 1848 und 1849, die Bevölkerung rasch bis auf den im Jahre 1849 erreichten Standpunkt emporwuchs, dann aber von 1850 bis 1861, in der Zeit der erneuten Hassen- Pflug-Schefferschen Verwaltung, des Verfassungsumsturzes, der provisorischen Gesetzgebung auf 738,476 Einwohner, also um 21,000 Menschen in runder Zahl, zurücksank. Nach Mittheilungen der (amtlichen) statistischen Commission in Kassel sind ausgewandert 1862: 6044 Personen, 1863: 6121, 1864: 9130, 1866: 3307, 1866: 3876, 1867: 6663. 1858: 2498, 1859: 2241. 1860- 3282, 1861: 1966. 1862: 1927; also in den Jahren 1862—1862 zusammen 38,854 Personen, welche ein Vermögen von 4,539,391 Thlr. mitnahmen. Vom Jahr 1861 bis heute hat sich der Bevvlkerungsstand erst wieder um etwa 7000 Menschen erholt. Das kennzeichnet wie nichts Anderes den Stand der Dinge in Kurhessen. Dieses jammervolle Ergebniß bedarf indeß weiterer Beleuchtung und Begrün¬ dung. Bekanntlich wurde durch die den Bundesbeschluß vom 24. Mai 1862 ausführende landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni desselben Jahres die Verfassung vom 6. Januar 1831 wiederhergestellt, jedoch nur die Verfassung^ Urkunde und das Wahlgesetz und nicht der ganze von ihr erheischte Verfassungs¬ zustand des ganzen Landes in Gerichts-, Verwaltungs-, Finanzwesen und Grund¬ rechten des Volkes (Prehfreiheit, Religionsfreiheit:c.), es blieb ausdrücklich die provisorische Gesetzgebung der Zeit des Verfassungsumsturzcs in Geltung- Danach gestaltet sich ein jetzt zu entwerfendes staatliches Bild von Kurhessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/526>, abgerufen am 15.01.2025.