Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.etwa folgendermaßen. Einiges ist seit der Wiederherstellung der Verfassung Grenzboten III. 18so. 68
etwa folgendermaßen. Einiges ist seit der Wiederherstellung der Verfassung Grenzboten III. 18so. 68
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283880"/> <p xml:id="ID_1515" prev="#ID_1514" next="#ID_1516"> etwa folgendermaßen. Einiges ist seit der Wiederherstellung der Verfassung<lb/> wieder besser geworden, auch wollen wir hier von vornherein gegen eine vielfach<lb/> außerhalb Kurhesseus anzutreffende Anschauung ankämpfen, als ob die Bevölkerung<lb/> im drückendsten Elend lebte, als ob dahin kein Geschäft zu machen sei, als ob<lb/> eine Reise in das vielfach reizende Landschaften bietende hessische Berg- und<lb/> Hügelland den Fremden sofort in die störendsten Conflicte mit einer türkischen<lb/> Polizei nach altem Stile brächte, als ob man kein freies Wort, keine unbe¬<lb/> fangene Unterhaltung sich erlauben dürfe und was dergleichen Vorstellungen<lb/> mehr sind. Es ist zwar recht schlimm mit Kurhessen bestellt, aber die Kurhessen<lb/> selbst sind mit seltnen Ausnahmen biedern Sinnes, und wer die gewöhnliche<lb/> Vorsicht des Fremden braucht, sich seinen Mann etwas genauer anzusehen, ehe<lb/> er sich tiefer mit ihm einläßt, der kann oben und unten, bis zu den Dienern<lb/> der politischen Polizei hinab ein ungenirtes Wort sprechen, ohne verrathen zu<lb/> werden; es ist eben das Bezeichnende für Kurhessen in seiner heutigen Lage,<lb/> daß die Zufriedenen dort zu den seltenen Ausnahmen gehören. Wohl hat auch<lb/> der Lebensgenuß in Kurhessen seine bescheidenen Grenzen, reich ist das Land<lb/> nicht von Natur, und reich ist es auch nicht geworden durch Beförderung von<lb/> Handel. Industrie und Gewerben von oben her; das ist ja die Klage — aber<lb/> solid ist der geschäftliche Verkehr, und frisch und froh hat sich immer wieder<lb/> der Sinn der Bergbewohner aus dem ihm gebotenen Elend jm gutem Humor<lb/> erhoben. Was seit Wiederherstellung der Verfassung wieder besser geworden,<lb/> ist hauptsächlich das wieder unter den Schutz der Verfassung und der Gerichte<lb/> gestellte Verhältniß und die Besoldung der Staatsdiener, die Besoldung der<lb/> Volksschullehrer, die staatsseitige Unterstützung der durch Gemcindeeinkommm<lb/> zu schlecht gestellten Pfarrer. Die Gemeinden sind wieder in die durch die<lb/> Gemeindeordnung von 1834 ihnen gewährleisteten Rechte eingesetzt. Im Ge¬<lb/> richtswesen ist eine zum Theil musterhafte neue Ordnung eingetreten, und die<lb/> kurhessische Justiz, bis auf die allerdings aufzunehmende Spitze, in den Stand<lb/> gesetzt, ihren alten Ruf wieder zu behaupten. Oeffentlichkeit und Mündlichkeit<lb/> ist nunmehr im bürgerlichen wie im Straf-Proceß durchgeführt, das Strafver¬<lb/> fahren vor willkürlicher Einmischung der Regierung geschützt, in der untersten<lb/> Instanz sitzen dem Richter vom Volke gewählte Schöffen zur Seite, von den<lb/> Gerichten der mittlern Instanz, den Obergerichten, ist eine genügende Zahl<lb/> vorhanden, um zum Vortheil des Recht suchenden Publikums die Processe<lb/> rascher als bisher zu erledigen, bei dem Schwurgerichtsverfahren ist die Com-<lb/> Petenz erweitert; der Competenzgenchtshof ist wieder gefallen und die Entscheidung<lb/> über ihre Competenz den Gerichten zurückgegeben. Nur, wie gesagt, die Spitze<lb/> des turhessischen Gerichtswesens, das Oberappellationsgericht harrt noch seiner<lb/> richtigen und gesetzlichen Zusammensetzung durch Wiederherstellung des durch<lb/> das provisorische Gesetz vom 29. Juni 1861 außer Wirksamkeit gesetzten Gesetzes</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III. 18so. 68</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0527]
etwa folgendermaßen. Einiges ist seit der Wiederherstellung der Verfassung
wieder besser geworden, auch wollen wir hier von vornherein gegen eine vielfach
außerhalb Kurhesseus anzutreffende Anschauung ankämpfen, als ob die Bevölkerung
im drückendsten Elend lebte, als ob dahin kein Geschäft zu machen sei, als ob
eine Reise in das vielfach reizende Landschaften bietende hessische Berg- und
Hügelland den Fremden sofort in die störendsten Conflicte mit einer türkischen
Polizei nach altem Stile brächte, als ob man kein freies Wort, keine unbe¬
fangene Unterhaltung sich erlauben dürfe und was dergleichen Vorstellungen
mehr sind. Es ist zwar recht schlimm mit Kurhessen bestellt, aber die Kurhessen
selbst sind mit seltnen Ausnahmen biedern Sinnes, und wer die gewöhnliche
Vorsicht des Fremden braucht, sich seinen Mann etwas genauer anzusehen, ehe
er sich tiefer mit ihm einläßt, der kann oben und unten, bis zu den Dienern
der politischen Polizei hinab ein ungenirtes Wort sprechen, ohne verrathen zu
werden; es ist eben das Bezeichnende für Kurhessen in seiner heutigen Lage,
daß die Zufriedenen dort zu den seltenen Ausnahmen gehören. Wohl hat auch
der Lebensgenuß in Kurhessen seine bescheidenen Grenzen, reich ist das Land
nicht von Natur, und reich ist es auch nicht geworden durch Beförderung von
Handel. Industrie und Gewerben von oben her; das ist ja die Klage — aber
solid ist der geschäftliche Verkehr, und frisch und froh hat sich immer wieder
der Sinn der Bergbewohner aus dem ihm gebotenen Elend jm gutem Humor
erhoben. Was seit Wiederherstellung der Verfassung wieder besser geworden,
ist hauptsächlich das wieder unter den Schutz der Verfassung und der Gerichte
gestellte Verhältniß und die Besoldung der Staatsdiener, die Besoldung der
Volksschullehrer, die staatsseitige Unterstützung der durch Gemcindeeinkommm
zu schlecht gestellten Pfarrer. Die Gemeinden sind wieder in die durch die
Gemeindeordnung von 1834 ihnen gewährleisteten Rechte eingesetzt. Im Ge¬
richtswesen ist eine zum Theil musterhafte neue Ordnung eingetreten, und die
kurhessische Justiz, bis auf die allerdings aufzunehmende Spitze, in den Stand
gesetzt, ihren alten Ruf wieder zu behaupten. Oeffentlichkeit und Mündlichkeit
ist nunmehr im bürgerlichen wie im Straf-Proceß durchgeführt, das Strafver¬
fahren vor willkürlicher Einmischung der Regierung geschützt, in der untersten
Instanz sitzen dem Richter vom Volke gewählte Schöffen zur Seite, von den
Gerichten der mittlern Instanz, den Obergerichten, ist eine genügende Zahl
vorhanden, um zum Vortheil des Recht suchenden Publikums die Processe
rascher als bisher zu erledigen, bei dem Schwurgerichtsverfahren ist die Com-
Petenz erweitert; der Competenzgenchtshof ist wieder gefallen und die Entscheidung
über ihre Competenz den Gerichten zurückgegeben. Nur, wie gesagt, die Spitze
des turhessischen Gerichtswesens, das Oberappellationsgericht harrt noch seiner
richtigen und gesetzlichen Zusammensetzung durch Wiederherstellung des durch
das provisorische Gesetz vom 29. Juni 1861 außer Wirksamkeit gesetzten Gesetzes
Grenzboten III. 18so. 68
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