Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.Stimmungen in Deutschland vor Gustav Adolfs Landung. Genügend bekannt ist, daß die hurter-kioppsche Clique neuerdings ver¬ Eine sehr große Zahl im k. sächsischen Archive befindlicher Briefe von "Es läßt sich ersehn, als wenn das evangelische Wesen im Reiche gar zu ') Nur bis jetzt unbekannte in diesen Briefen vorgefundene Mittheilungen sind hier
benutzt. Bereits gedruckte Quellen würden natürlich ein reiches Material für diese Be¬ trachtung liefern. Stimmungen in Deutschland vor Gustav Adolfs Landung. Genügend bekannt ist, daß die hurter-kioppsche Clique neuerdings ver¬ Eine sehr große Zahl im k. sächsischen Archive befindlicher Briefe von „Es läßt sich ersehn, als wenn das evangelische Wesen im Reiche gar zu ') Nur bis jetzt unbekannte in diesen Briefen vorgefundene Mittheilungen sind hier
benutzt. Bereits gedruckte Quellen würden natürlich ein reiches Material für diese Be¬ trachtung liefern. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0187" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282984"/> </div> <div n="1"> <head> Stimmungen in Deutschland vor Gustav Adolfs Landung.</head><lb/> <p xml:id="ID_616"> Genügend bekannt ist, daß die hurter-kioppsche Clique neuerdings ver¬<lb/> sucht hat, dem dreißigjährigen Kriege bis zum Erscheinen Gustav Adolfs in<lb/> Deutschland den Charakter eines Religionskrieges abzusprechen. Gustav Adolf<lb/> soll die Meinung, daß es ein solcher sei, künstlich erzeugt und verbreitet haben.<lb/> Weiter behaupten diese Geschichtsverfälscher, der König sei in Deutschland<lb/> nirgends ersehnt worden, nirgends populär gewesen, und die Verehrung, die<lb/> er hier genossen haben soll, sei eine schwedische Fiction. die von den pro¬<lb/> testantischen Geschichtschreibern bis zur Gegenwart festgehalten würde. Zwar<lb/> findet eine solche tendenziöse Historik schon in dem objectiven Thatbestand der<lb/> geschichtlichen Facta ihre Zurückweisung. Aber noch deutlicher tritt die Lächerlich¬<lb/> keit dieser modernen ultramontanen Kritik bei Beachtung von Privatbriefen her¬<lb/> bor, welche die Stimmung der Zeitgenossen am schärfsten und naivsten aus¬<lb/> sprechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_617"> Eine sehr große Zahl im k. sächsischen Archive befindlicher Briefe von<lb/> Agenten und Vertrauten des kurfürstlichen Hofes aus den verschiedensten deutschen<lb/> Städten aus den Jahren 1629 und 1630, die Res. durchgelesen hat, bieten<lb/> neben dem Ausdruck der Stimmungen und Ansichten der Zeit manche für die<lb/> Geschichte und Culturgeschichte jener Zeit interessante Notizen, welche mit jenen<lb/> Zeugnissen der öffentlichen Meinung zu einem Gesammtbilde vereinigt einen<lb/> Beitrag zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges liefern. —</p><lb/> <p xml:id="ID_618" next="#ID_619"> „Es läßt sich ersehn, als wenn das evangelische Wesen im Reiche gar zu<lb/> Grunde gehn wollte: der Allerhöchste verhüte es gnädiglich." Diese Aeußerung<lb/> aus Wien kann als der Ausdruck der allgemeinen Stimmung betrachtet werden,<lb/> welche 1629 und 1630 alle Briefe aus Süddeutschland, alle die entsetzlichen<lb/> Berichte über die schamlose Reaction gegen den Protestantismus durchdringt.<lb/> Von Wien aus, dem Centrum dieser Reaction, hetzten und wütheten die Jesuiten<lb/> (Jesuwider, wie sie in diesen Berichten stets genannt werden). Kinder wurden<lb/> in Wien gepeitscht, um sie zur Bekehrung zu zwingen, Männer entzogen .sich<lb/> den fanatischen Verfolgungen durch Selbstmord. Am Neujahrstage 1629 forderte<lb/> ein Jesuit in der Predigt den Kaiser zum Krieg und Blutvergießen auf, „denn<lb/> mit ketzerischen Blute werde das Fegefeuer zum guten Theile gelöscht, und des</p><lb/> <note xml:id="FID_20" place="foot"> ') Nur bis jetzt unbekannte in diesen Briefen vorgefundene Mittheilungen sind hier<lb/> benutzt. Bereits gedruckte Quellen würden natürlich ein reiches Material für diese Be¬<lb/> trachtung liefern.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0187]
Stimmungen in Deutschland vor Gustav Adolfs Landung.
Genügend bekannt ist, daß die hurter-kioppsche Clique neuerdings ver¬
sucht hat, dem dreißigjährigen Kriege bis zum Erscheinen Gustav Adolfs in
Deutschland den Charakter eines Religionskrieges abzusprechen. Gustav Adolf
soll die Meinung, daß es ein solcher sei, künstlich erzeugt und verbreitet haben.
Weiter behaupten diese Geschichtsverfälscher, der König sei in Deutschland
nirgends ersehnt worden, nirgends populär gewesen, und die Verehrung, die
er hier genossen haben soll, sei eine schwedische Fiction. die von den pro¬
testantischen Geschichtschreibern bis zur Gegenwart festgehalten würde. Zwar
findet eine solche tendenziöse Historik schon in dem objectiven Thatbestand der
geschichtlichen Facta ihre Zurückweisung. Aber noch deutlicher tritt die Lächerlich¬
keit dieser modernen ultramontanen Kritik bei Beachtung von Privatbriefen her¬
bor, welche die Stimmung der Zeitgenossen am schärfsten und naivsten aus¬
sprechen.
Eine sehr große Zahl im k. sächsischen Archive befindlicher Briefe von
Agenten und Vertrauten des kurfürstlichen Hofes aus den verschiedensten deutschen
Städten aus den Jahren 1629 und 1630, die Res. durchgelesen hat, bieten
neben dem Ausdruck der Stimmungen und Ansichten der Zeit manche für die
Geschichte und Culturgeschichte jener Zeit interessante Notizen, welche mit jenen
Zeugnissen der öffentlichen Meinung zu einem Gesammtbilde vereinigt einen
Beitrag zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges liefern. —
„Es läßt sich ersehn, als wenn das evangelische Wesen im Reiche gar zu
Grunde gehn wollte: der Allerhöchste verhüte es gnädiglich." Diese Aeußerung
aus Wien kann als der Ausdruck der allgemeinen Stimmung betrachtet werden,
welche 1629 und 1630 alle Briefe aus Süddeutschland, alle die entsetzlichen
Berichte über die schamlose Reaction gegen den Protestantismus durchdringt.
Von Wien aus, dem Centrum dieser Reaction, hetzten und wütheten die Jesuiten
(Jesuwider, wie sie in diesen Berichten stets genannt werden). Kinder wurden
in Wien gepeitscht, um sie zur Bekehrung zu zwingen, Männer entzogen .sich
den fanatischen Verfolgungen durch Selbstmord. Am Neujahrstage 1629 forderte
ein Jesuit in der Predigt den Kaiser zum Krieg und Blutvergießen auf, „denn
mit ketzerischen Blute werde das Fegefeuer zum guten Theile gelöscht, und des
') Nur bis jetzt unbekannte in diesen Briefen vorgefundene Mittheilungen sind hier
benutzt. Bereits gedruckte Quellen würden natürlich ein reiches Material für diese Be¬
trachtung liefern.
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