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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Rheinbrücke fortwälzte und den Rückzug der Theilnehmer nach Ludwigshafen
geleitete, wo sie auf bayerischem Loden die Polizei dieses Staates mit einem
Auflösungsbesehle empfing. Diese Vorgänge wurden von allen Gegnern der
badischen Regierung mit einem wahrhaft diabolischen Vergnügen aufgegriffen
und in den fabelhaftesten Entstellungen zu passenden Leitartikeln und Korre¬
spondenzen verarbeitet.

Im Lande schloß damit der Unfug dieser Versammlungen, nachdem früher
schon ein schönes Schreiben des Großherzogs an Lamey die Unzulässigkeit der
verfassungswidrigen Zumuthungen, die jene Partei an den Landesherrn ge¬
stellt, dargethan, nachdem eine Cabinetsordre den Empfang der täglich ein¬
treffenden Deputationen sistirt hatte. Die liberale Partei hat indeß auch ihrer¬
seits den Weg der Versammlungen betreten, um dem Großherzog Dank für
seine verfassungstreue Haltung, dem Ministerium Anerkennung und Vertrauen
in zahlreichen Adressen und Erklärungen auszusprechen.

Es steht zu hoffen, dahin nicht allzu ferner Zeit die klerikale Agitation
die bei der intelligenten Mehrzahl der Bevölkerung kein Gehör findet, ein Ende,
nehmen und ein Zustand der Ruhe eintreten werde, der es erleichtern wird,
auf dem weiten Felde der Praxis die wichtigsten streitigen Fragen zum Aus¬
trag zu bringen.




Die Gothik im neunzehnten Jahrhundert^).

Die rückwärtsblickende Romantik unseres Jahrhunderts, selber eine Mischung
von nüchterner Reflexion und phantastischer Willkür, hat die gothische Bauart
neu zu beleben gesucht. Nur eine unthätige, noch in abgängigen Formen
hängende Zeit konnte in mittelalterlichen Gefühlen schwelgen und Ersatz für
die Prosa einer erschlafften und leeren Gegenwart in dem Ausbau deutscher
Münster finden wollen. Es entsprach ganz dem Wesen einer solchen Periode,
daß sie sich für eine Bauart begeisterte, welche besten Falls sich nachahmen,
in keiner Weise aber fortbilden läßt. In Berlin dachte man, nachdem der kurze



") Vrgl. den Artikel "Ursprung und Schätzung des gothischen Stils" in voriger Nummer.

Rheinbrücke fortwälzte und den Rückzug der Theilnehmer nach Ludwigshafen
geleitete, wo sie auf bayerischem Loden die Polizei dieses Staates mit einem
Auflösungsbesehle empfing. Diese Vorgänge wurden von allen Gegnern der
badischen Regierung mit einem wahrhaft diabolischen Vergnügen aufgegriffen
und in den fabelhaftesten Entstellungen zu passenden Leitartikeln und Korre¬
spondenzen verarbeitet.

Im Lande schloß damit der Unfug dieser Versammlungen, nachdem früher
schon ein schönes Schreiben des Großherzogs an Lamey die Unzulässigkeit der
verfassungswidrigen Zumuthungen, die jene Partei an den Landesherrn ge¬
stellt, dargethan, nachdem eine Cabinetsordre den Empfang der täglich ein¬
treffenden Deputationen sistirt hatte. Die liberale Partei hat indeß auch ihrer¬
seits den Weg der Versammlungen betreten, um dem Großherzog Dank für
seine verfassungstreue Haltung, dem Ministerium Anerkennung und Vertrauen
in zahlreichen Adressen und Erklärungen auszusprechen.

Es steht zu hoffen, dahin nicht allzu ferner Zeit die klerikale Agitation
die bei der intelligenten Mehrzahl der Bevölkerung kein Gehör findet, ein Ende,
nehmen und ein Zustand der Ruhe eintreten werde, der es erleichtern wird,
auf dem weiten Felde der Praxis die wichtigsten streitigen Fragen zum Aus¬
trag zu bringen.




Die Gothik im neunzehnten Jahrhundert^).

Die rückwärtsblickende Romantik unseres Jahrhunderts, selber eine Mischung
von nüchterner Reflexion und phantastischer Willkür, hat die gothische Bauart
neu zu beleben gesucht. Nur eine unthätige, noch in abgängigen Formen
hängende Zeit konnte in mittelalterlichen Gefühlen schwelgen und Ersatz für
die Prosa einer erschlafften und leeren Gegenwart in dem Ausbau deutscher
Münster finden wollen. Es entsprach ganz dem Wesen einer solchen Periode,
daß sie sich für eine Bauart begeisterte, welche besten Falls sich nachahmen,
in keiner Weise aber fortbilden läßt. In Berlin dachte man, nachdem der kurze



") Vrgl. den Artikel „Ursprung und Schätzung des gothischen Stils" in voriger Nummer.
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[0518] Rheinbrücke fortwälzte und den Rückzug der Theilnehmer nach Ludwigshafen geleitete, wo sie auf bayerischem Loden die Polizei dieses Staates mit einem Auflösungsbesehle empfing. Diese Vorgänge wurden von allen Gegnern der badischen Regierung mit einem wahrhaft diabolischen Vergnügen aufgegriffen und in den fabelhaftesten Entstellungen zu passenden Leitartikeln und Korre¬ spondenzen verarbeitet. Im Lande schloß damit der Unfug dieser Versammlungen, nachdem früher schon ein schönes Schreiben des Großherzogs an Lamey die Unzulässigkeit der verfassungswidrigen Zumuthungen, die jene Partei an den Landesherrn ge¬ stellt, dargethan, nachdem eine Cabinetsordre den Empfang der täglich ein¬ treffenden Deputationen sistirt hatte. Die liberale Partei hat indeß auch ihrer¬ seits den Weg der Versammlungen betreten, um dem Großherzog Dank für seine verfassungstreue Haltung, dem Ministerium Anerkennung und Vertrauen in zahlreichen Adressen und Erklärungen auszusprechen. Es steht zu hoffen, dahin nicht allzu ferner Zeit die klerikale Agitation die bei der intelligenten Mehrzahl der Bevölkerung kein Gehör findet, ein Ende, nehmen und ein Zustand der Ruhe eintreten werde, der es erleichtern wird, auf dem weiten Felde der Praxis die wichtigsten streitigen Fragen zum Aus¬ trag zu bringen. Die Gothik im neunzehnten Jahrhundert^). Die rückwärtsblickende Romantik unseres Jahrhunderts, selber eine Mischung von nüchterner Reflexion und phantastischer Willkür, hat die gothische Bauart neu zu beleben gesucht. Nur eine unthätige, noch in abgängigen Formen hängende Zeit konnte in mittelalterlichen Gefühlen schwelgen und Ersatz für die Prosa einer erschlafften und leeren Gegenwart in dem Ausbau deutscher Münster finden wollen. Es entsprach ganz dem Wesen einer solchen Periode, daß sie sich für eine Bauart begeisterte, welche besten Falls sich nachahmen, in keiner Weise aber fortbilden läßt. In Berlin dachte man, nachdem der kurze ") Vrgl. den Artikel „Ursprung und Schätzung des gothischen Stils" in voriger Nummer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/518>, abgerufen am 26.06.2024.