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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Weihnachten und Neujahr in der Schweiz
E, L. Rochholz. von

2. Wintcrsonncnwcudefcst am 21. December. -- Losungen in der Christnacht. --
Weihnachtsbaum und Jcrichorose. -- Stcphcmstag und Johannisweinspcnde.

Eine scherzende Antwort auf die überflüssige Anfrage, wie es geht, pflegt
zu lauten: wie mans treibt und dreht. Damit ist im letzten Grunde wahr,
fcheinlich nichts Geringeres gemeint, als der Umschwung des Sonnenrades zur
Zeit der Sonnenwende. Wenn die Sonne um Mittwinter aus ihrem tiefsten
Stande eine neue kräftige Bewegung aufwärts nehmen soll, so scheint jene Re¬
densart sinnbildlich dazu aufzufordern, das Flammenrad des Tages in seinem
frischbegonnenen Anlauf mit bergan rollen zu helfen. In unsrer Sprache selbst
liegt der Grund dieser Ausdrucksweise, denn alle drei Begriffe, die des Jahres
mit seiner doppelten oder vierfachen Umschwungszcit, der Sonne mit ihrem
Strahlenring und des Rades mit seiner geschlossenen Felge erscheinen gleich¬
mäßig als eine sich drehende Welle und Walze und heißen daher angelsächsisch
nvevl (Rad) und in friesischer und dänischer Wortform Mi. Daher bedeutet
das Wort Jul für den ganzen skandinavischen Norden die Weihnachten, weil mit
dieser das deutsche Neujahr seinen Beginn nahm, und so feiern wir selbst beide
Feste der Sonnenwenden immer noch unter dem Sinnbilde eines strohumwun-
dcnen oder iaubgeschmückten, eines brennenden oder eines grünenden Schwung¬
rades. In der Edda ist Fagra-Hoel, das schöne lichte Rad, der epische Name
der Sonne; Hol/ Kovöl! hört man die Knaben in den Straßen Londons ru¬
fen, die da um Weihnachten ihre Ginster- und Stechpalmcnkränze feil bieten.
Ja selbst wenn unsern Dorfknabcnschaften ihre Weihnachtsfreude, das Scheiben-
schlagen und Nadtreiben, polizeilich endlich ganz verleidet werden könnte, so
würde auch dann noch ein tausendfältig verbrauchtes Sinnbild unsrer Sonnen¬
wendfeier übrigbleiben, das Festbrod der Bretze, gebacken in der redenden Form
des vierspcichigen Sonnenrades. Korbweise oder an lange Tragstangen gereiht
wird sie durch die Stadtstraßen feilgeboten, mannshoch liegt sie aufgeschichtet
hinter den Glasfenstern der Bäckerladen, und in ungezählter Menge wird sie
von Neujahr an bis gegen Ostern verspeist.

Doch anstatt uns selber vorzugreifen, haben wir erst einen alterthümlichen
Fcstbrauch unsrer Landschaft zu berichten, der mit jener Eingangs erwähnten
Phrase wörtlich übereinstimmt. Je am 21. December begeht die Stadt Zo-
fingen in Privatkreisen und Gasthäusern das ihr eigenthümliche Fest, die Sunne --


Weihnachten und Neujahr in der Schweiz
E, L. Rochholz. von

2. Wintcrsonncnwcudefcst am 21. December. — Losungen in der Christnacht. —
Weihnachtsbaum und Jcrichorose. — Stcphcmstag und Johannisweinspcnde.

Eine scherzende Antwort auf die überflüssige Anfrage, wie es geht, pflegt
zu lauten: wie mans treibt und dreht. Damit ist im letzten Grunde wahr,
fcheinlich nichts Geringeres gemeint, als der Umschwung des Sonnenrades zur
Zeit der Sonnenwende. Wenn die Sonne um Mittwinter aus ihrem tiefsten
Stande eine neue kräftige Bewegung aufwärts nehmen soll, so scheint jene Re¬
densart sinnbildlich dazu aufzufordern, das Flammenrad des Tages in seinem
frischbegonnenen Anlauf mit bergan rollen zu helfen. In unsrer Sprache selbst
liegt der Grund dieser Ausdrucksweise, denn alle drei Begriffe, die des Jahres
mit seiner doppelten oder vierfachen Umschwungszcit, der Sonne mit ihrem
Strahlenring und des Rades mit seiner geschlossenen Felge erscheinen gleich¬
mäßig als eine sich drehende Welle und Walze und heißen daher angelsächsisch
nvevl (Rad) und in friesischer und dänischer Wortform Mi. Daher bedeutet
das Wort Jul für den ganzen skandinavischen Norden die Weihnachten, weil mit
dieser das deutsche Neujahr seinen Beginn nahm, und so feiern wir selbst beide
Feste der Sonnenwenden immer noch unter dem Sinnbilde eines strohumwun-
dcnen oder iaubgeschmückten, eines brennenden oder eines grünenden Schwung¬
rades. In der Edda ist Fagra-Hoel, das schöne lichte Rad, der epische Name
der Sonne; Hol/ Kovöl! hört man die Knaben in den Straßen Londons ru¬
fen, die da um Weihnachten ihre Ginster- und Stechpalmcnkränze feil bieten.
Ja selbst wenn unsern Dorfknabcnschaften ihre Weihnachtsfreude, das Scheiben-
schlagen und Nadtreiben, polizeilich endlich ganz verleidet werden könnte, so
würde auch dann noch ein tausendfältig verbrauchtes Sinnbild unsrer Sonnen¬
wendfeier übrigbleiben, das Festbrod der Bretze, gebacken in der redenden Form
des vierspcichigen Sonnenrades. Korbweise oder an lange Tragstangen gereiht
wird sie durch die Stadtstraßen feilgeboten, mannshoch liegt sie aufgeschichtet
hinter den Glasfenstern der Bäckerladen, und in ungezählter Menge wird sie
von Neujahr an bis gegen Ostern verspeist.

Doch anstatt uns selber vorzugreifen, haben wir erst einen alterthümlichen
Fcstbrauch unsrer Landschaft zu berichten, der mit jener Eingangs erwähnten
Phrase wörtlich übereinstimmt. Je am 21. December begeht die Stadt Zo-
fingen in Privatkreisen und Gasthäusern das ihr eigenthümliche Fest, die Sunne --


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[0500] Weihnachten und Neujahr in der Schweiz E, L. Rochholz. von 2. Wintcrsonncnwcudefcst am 21. December. — Losungen in der Christnacht. — Weihnachtsbaum und Jcrichorose. — Stcphcmstag und Johannisweinspcnde. Eine scherzende Antwort auf die überflüssige Anfrage, wie es geht, pflegt zu lauten: wie mans treibt und dreht. Damit ist im letzten Grunde wahr, fcheinlich nichts Geringeres gemeint, als der Umschwung des Sonnenrades zur Zeit der Sonnenwende. Wenn die Sonne um Mittwinter aus ihrem tiefsten Stande eine neue kräftige Bewegung aufwärts nehmen soll, so scheint jene Re¬ densart sinnbildlich dazu aufzufordern, das Flammenrad des Tages in seinem frischbegonnenen Anlauf mit bergan rollen zu helfen. In unsrer Sprache selbst liegt der Grund dieser Ausdrucksweise, denn alle drei Begriffe, die des Jahres mit seiner doppelten oder vierfachen Umschwungszcit, der Sonne mit ihrem Strahlenring und des Rades mit seiner geschlossenen Felge erscheinen gleich¬ mäßig als eine sich drehende Welle und Walze und heißen daher angelsächsisch nvevl (Rad) und in friesischer und dänischer Wortform Mi. Daher bedeutet das Wort Jul für den ganzen skandinavischen Norden die Weihnachten, weil mit dieser das deutsche Neujahr seinen Beginn nahm, und so feiern wir selbst beide Feste der Sonnenwenden immer noch unter dem Sinnbilde eines strohumwun- dcnen oder iaubgeschmückten, eines brennenden oder eines grünenden Schwung¬ rades. In der Edda ist Fagra-Hoel, das schöne lichte Rad, der epische Name der Sonne; Hol/ Kovöl! hört man die Knaben in den Straßen Londons ru¬ fen, die da um Weihnachten ihre Ginster- und Stechpalmcnkränze feil bieten. Ja selbst wenn unsern Dorfknabcnschaften ihre Weihnachtsfreude, das Scheiben- schlagen und Nadtreiben, polizeilich endlich ganz verleidet werden könnte, so würde auch dann noch ein tausendfältig verbrauchtes Sinnbild unsrer Sonnen¬ wendfeier übrigbleiben, das Festbrod der Bretze, gebacken in der redenden Form des vierspcichigen Sonnenrades. Korbweise oder an lange Tragstangen gereiht wird sie durch die Stadtstraßen feilgeboten, mannshoch liegt sie aufgeschichtet hinter den Glasfenstern der Bäckerladen, und in ungezählter Menge wird sie von Neujahr an bis gegen Ostern verspeist. Doch anstatt uns selber vorzugreifen, haben wir erst einen alterthümlichen Fcstbrauch unsrer Landschaft zu berichten, der mit jener Eingangs erwähnten Phrase wörtlich übereinstimmt. Je am 21. December begeht die Stadt Zo- fingen in Privatkreisen und Gasthäusern das ihr eigenthümliche Fest, die Sunne --

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/500>, abgerufen am 29.06.2024.