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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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wendig, und dieser kürzeste Tag des Jahres giebt den Städtern An¬
laß zu dem allgemein üblichen Scherze, die Sonne umdrehen zu helfen. Wer
da dem Andern begegnet, zu Hause oder auf der Strase, wird unversehens
umgedreht oder sucht den Bekannten herumzudrehen, und wenn die verschiedenen
Pickenicks dieses Tages durchgemacht sind, so wird man gegen Abend das Kunst¬
stück förmlich erlernt haben, sich ohne List und Beihilfe eines Zweiten unwill¬
kürlich um sich selber zu drehen. Dann aber verfügt sich die Männerwelt erst
in ihre Zunft- und Gaststuben, und während hier bis in die späte Nacht um
Hasen und Geflügel gespielt wird, bekämpft man die Portionen scharf gewürz¬
ten Hasen- und Gänsepfeffers mit entsprechenden Quantitäten welschen Weines.
Wenn da die alten Herren manches Nnndgcsanges ihrer Studentenzeit sich wie¬
der erinnern, so wissen sie ihn nunmehr erst mit treffenderen Humor, mit gründ¬
licheren Verständnisse vorzutrage"; sie feiern ja die Constellation. die sich heute
am Himmel vollziehen soll, den wirbelnd aufsteigenden Gang der jungen Sonne
im feurigen Tanze aller Planeten, und zum Nachbilde dieser Himmelsbewegungen
wird nun gemeinsam ein erhabener Salamander gerieben oder die Burleske
angestimmt: "Ich nehm mein Gläschen in die Hand" u. s. w. bis zu dem
Schlüsse: "was unten ist, muß oben stehn!" So findet denn die richtige Fest¬
stimmung auch ihr richtiges Volkslied auf, stellt den zerrütteten Text wieder her
und weiß dem sinnlos gewordenen seinen ursprünglichen Sinn und Zweck wieder¬
zugeben. So ergeht es dabei z. B. einem alten Winterliedc (gedruckt in Mores
Anzeiger 1836, 333), dem ohne die Schilderung unsrer Sonnewendfeier kein
Geist mehr einzuhauchen wäre; es ist gesungen von einem angeblichen Kannen¬
gießer, der sich Hans Krüh nennt, weil er alle Weihnachtskrausen leer trinkt.
Windschnell läßt er sein Drehrad umlaufen, um die malte Wintersonne im
Wirbel mit empor zu ziehen, dann setzt er sich zum Lohne seines Gelingens
weindürstend in die Badstube zu den Zechbrüdern:

Die Sonn zuckt er geschwind
Am kantengicsscrrad,
es last vmb ass der wind,
darnach schcpft er im bad.

Es wird den Werth des eben Erzählten nicht wenig unterstützen, wenn diesem
so vereinzelten Zuge aus dem Leben eines schweizerischen Prvvinztalstädtchens
ein gleicher aus dem skandinavischen Norden passend gegenübergestellt werden kann.
Rudbeck erzählt ihn in seiner Atlantica 1, Kap. 5. §. 2. Beim nordischen Jul-
trinken wurde an einer Schnur, die von der Zimmerdecke herab bis an dle
Kopfe der zu Tische Sitzenden reichte, eine Keule gebunden. So oft einer den
großen Methbecher aufs Neujahr zu leeren begann, brachte man die Keule der¬
art in Umschwung, daß sie den Gast in fortgesetzter Bewegung umkreiste. Leerte
er den Becher so langsam, daß die kreisende Keule inzwischen ermattend ihn


Grenztwten IV. 1864. 63

wendig, und dieser kürzeste Tag des Jahres giebt den Städtern An¬
laß zu dem allgemein üblichen Scherze, die Sonne umdrehen zu helfen. Wer
da dem Andern begegnet, zu Hause oder auf der Strase, wird unversehens
umgedreht oder sucht den Bekannten herumzudrehen, und wenn die verschiedenen
Pickenicks dieses Tages durchgemacht sind, so wird man gegen Abend das Kunst¬
stück förmlich erlernt haben, sich ohne List und Beihilfe eines Zweiten unwill¬
kürlich um sich selber zu drehen. Dann aber verfügt sich die Männerwelt erst
in ihre Zunft- und Gaststuben, und während hier bis in die späte Nacht um
Hasen und Geflügel gespielt wird, bekämpft man die Portionen scharf gewürz¬
ten Hasen- und Gänsepfeffers mit entsprechenden Quantitäten welschen Weines.
Wenn da die alten Herren manches Nnndgcsanges ihrer Studentenzeit sich wie¬
der erinnern, so wissen sie ihn nunmehr erst mit treffenderen Humor, mit gründ¬
licheren Verständnisse vorzutrage»; sie feiern ja die Constellation. die sich heute
am Himmel vollziehen soll, den wirbelnd aufsteigenden Gang der jungen Sonne
im feurigen Tanze aller Planeten, und zum Nachbilde dieser Himmelsbewegungen
wird nun gemeinsam ein erhabener Salamander gerieben oder die Burleske
angestimmt: „Ich nehm mein Gläschen in die Hand" u. s. w. bis zu dem
Schlüsse: „was unten ist, muß oben stehn!" So findet denn die richtige Fest¬
stimmung auch ihr richtiges Volkslied auf, stellt den zerrütteten Text wieder her
und weiß dem sinnlos gewordenen seinen ursprünglichen Sinn und Zweck wieder¬
zugeben. So ergeht es dabei z. B. einem alten Winterliedc (gedruckt in Mores
Anzeiger 1836, 333), dem ohne die Schilderung unsrer Sonnewendfeier kein
Geist mehr einzuhauchen wäre; es ist gesungen von einem angeblichen Kannen¬
gießer, der sich Hans Krüh nennt, weil er alle Weihnachtskrausen leer trinkt.
Windschnell läßt er sein Drehrad umlaufen, um die malte Wintersonne im
Wirbel mit empor zu ziehen, dann setzt er sich zum Lohne seines Gelingens
weindürstend in die Badstube zu den Zechbrüdern:

Die Sonn zuckt er geschwind
Am kantengicsscrrad,
es last vmb ass der wind,
darnach schcpft er im bad.

Es wird den Werth des eben Erzählten nicht wenig unterstützen, wenn diesem
so vereinzelten Zuge aus dem Leben eines schweizerischen Prvvinztalstädtchens
ein gleicher aus dem skandinavischen Norden passend gegenübergestellt werden kann.
Rudbeck erzählt ihn in seiner Atlantica 1, Kap. 5. §. 2. Beim nordischen Jul-
trinken wurde an einer Schnur, die von der Zimmerdecke herab bis an dle
Kopfe der zu Tische Sitzenden reichte, eine Keule gebunden. So oft einer den
großen Methbecher aufs Neujahr zu leeren begann, brachte man die Keule der¬
art in Umschwung, daß sie den Gast in fortgesetzter Bewegung umkreiste. Leerte
er den Becher so langsam, daß die kreisende Keule inzwischen ermattend ihn


Grenztwten IV. 1864. 63
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[0501] wendig, und dieser kürzeste Tag des Jahres giebt den Städtern An¬ laß zu dem allgemein üblichen Scherze, die Sonne umdrehen zu helfen. Wer da dem Andern begegnet, zu Hause oder auf der Strase, wird unversehens umgedreht oder sucht den Bekannten herumzudrehen, und wenn die verschiedenen Pickenicks dieses Tages durchgemacht sind, so wird man gegen Abend das Kunst¬ stück förmlich erlernt haben, sich ohne List und Beihilfe eines Zweiten unwill¬ kürlich um sich selber zu drehen. Dann aber verfügt sich die Männerwelt erst in ihre Zunft- und Gaststuben, und während hier bis in die späte Nacht um Hasen und Geflügel gespielt wird, bekämpft man die Portionen scharf gewürz¬ ten Hasen- und Gänsepfeffers mit entsprechenden Quantitäten welschen Weines. Wenn da die alten Herren manches Nnndgcsanges ihrer Studentenzeit sich wie¬ der erinnern, so wissen sie ihn nunmehr erst mit treffenderen Humor, mit gründ¬ licheren Verständnisse vorzutrage»; sie feiern ja die Constellation. die sich heute am Himmel vollziehen soll, den wirbelnd aufsteigenden Gang der jungen Sonne im feurigen Tanze aller Planeten, und zum Nachbilde dieser Himmelsbewegungen wird nun gemeinsam ein erhabener Salamander gerieben oder die Burleske angestimmt: „Ich nehm mein Gläschen in die Hand" u. s. w. bis zu dem Schlüsse: „was unten ist, muß oben stehn!" So findet denn die richtige Fest¬ stimmung auch ihr richtiges Volkslied auf, stellt den zerrütteten Text wieder her und weiß dem sinnlos gewordenen seinen ursprünglichen Sinn und Zweck wieder¬ zugeben. So ergeht es dabei z. B. einem alten Winterliedc (gedruckt in Mores Anzeiger 1836, 333), dem ohne die Schilderung unsrer Sonnewendfeier kein Geist mehr einzuhauchen wäre; es ist gesungen von einem angeblichen Kannen¬ gießer, der sich Hans Krüh nennt, weil er alle Weihnachtskrausen leer trinkt. Windschnell läßt er sein Drehrad umlaufen, um die malte Wintersonne im Wirbel mit empor zu ziehen, dann setzt er sich zum Lohne seines Gelingens weindürstend in die Badstube zu den Zechbrüdern: Die Sonn zuckt er geschwind Am kantengicsscrrad, es last vmb ass der wind, darnach schcpft er im bad. Es wird den Werth des eben Erzählten nicht wenig unterstützen, wenn diesem so vereinzelten Zuge aus dem Leben eines schweizerischen Prvvinztalstädtchens ein gleicher aus dem skandinavischen Norden passend gegenübergestellt werden kann. Rudbeck erzählt ihn in seiner Atlantica 1, Kap. 5. §. 2. Beim nordischen Jul- trinken wurde an einer Schnur, die von der Zimmerdecke herab bis an dle Kopfe der zu Tische Sitzenden reichte, eine Keule gebunden. So oft einer den großen Methbecher aufs Neujahr zu leeren begann, brachte man die Keule der¬ art in Umschwung, daß sie den Gast in fortgesetzter Bewegung umkreiste. Leerte er den Becher so langsam, daß die kreisende Keule inzwischen ermattend ihn Grenztwten IV. 1864. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/501>, abgerufen am 01.07.2024.