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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Rückblicke ans die östreichische Politik.

Im vorigen Jahrgange dieser Blatter baden wir in einer Reihe von Auf¬
sätzen die Schwierigkeiten zu schildern versucht, mit denen die östreichische
Monarchie nach allen Seiten hin zu kämpfen hat. Ais charakteristisches Merk¬
mal der östreichischen Politik bezeichneten wir eine unruhige vielseitige Geschäf¬
tigkeit, welche in einem auffallenden Gegensatze steht zu der Unfruchtbarkeit
ihrer Bemühungen, zu der Unbeweglichkeit aller Verhältnisse, die jedem Anstoß,
jedem Anregungsmittel Trotz bietet. Dieser Gegensatz zwischen Wollen und
Können, zwischen Entwerfen und Vollbringen dauert, von der Betheiligung
an der Lösung der Schleswig-HMeimschen Frage abgesehen, bis auf den heutigen
Tag fort, ja man darf wohl behaupten, daß der Druck der Lage immer pein¬
licher geworden ist, und noch fortwährend Peinlicher werden wird, je näher die
Nothwendigkeit an Oestreich herantritt, in einem bestimmten concreten Falle einen
bestimmten Entschluß zu fassen. Denn Oestreich steht bis jetzt in allen seinen
auswärtigen, zum Theil auch in seinen innern Beziehungen, durchaus auf dem
Standpunkt des xvWumuL, einem Standpunkt also, der mit einer wirklich,
nicht blos scheinbar thätigen Politik unvereinbar ist, da sich schwerlich eine
Combination ersinnen läßt, in der Oestreich ein actives Auftreten nach einer
Richtung hin mit dem starren Festhalten seiner Ansprüche und Rechte nach
allen andern Seiten wird vereinigen können.

Zu den bedenklichen Symptomen der Situation gehörte, daß Oestreich
durchaus den Zusammenhang mit der europäischen Politik verloren hatte, ein
Verhältniß, das für den an allen Punkten von offener oder versteckter Feind¬
schaft, von lebhaften Rivalitäten, selbst im Innern von der Unzufriedenheit
widerstrebender Nationalitäten bedrohten Staat durchaus unerträglich war. Es
hat denn auch nicht an Versuchen gefehlt, Verbindungen anzuknüpfen und auf
einem Punkte eine Entscheidung anzubahnen. Aber sie sind mißglückt. Die
Stellung, die Oestreich zu der polnischen Frage einnahm, war in sich so wider¬
spruchsvoll, daß sie weder die Lage der östreichischen Provinzen verbessern, noch
auch ein intimes Verhältniß mit den Westmächten herbeiführen konnte. Daß
nun aber gar der in dem ersten Stadium der polnischen Frage erworbene flüch-


Grcnzbute" IV. 18U4. gg
Rückblicke ans die östreichische Politik.

Im vorigen Jahrgange dieser Blatter baden wir in einer Reihe von Auf¬
sätzen die Schwierigkeiten zu schildern versucht, mit denen die östreichische
Monarchie nach allen Seiten hin zu kämpfen hat. Ais charakteristisches Merk¬
mal der östreichischen Politik bezeichneten wir eine unruhige vielseitige Geschäf¬
tigkeit, welche in einem auffallenden Gegensatze steht zu der Unfruchtbarkeit
ihrer Bemühungen, zu der Unbeweglichkeit aller Verhältnisse, die jedem Anstoß,
jedem Anregungsmittel Trotz bietet. Dieser Gegensatz zwischen Wollen und
Können, zwischen Entwerfen und Vollbringen dauert, von der Betheiligung
an der Lösung der Schleswig-HMeimschen Frage abgesehen, bis auf den heutigen
Tag fort, ja man darf wohl behaupten, daß der Druck der Lage immer pein¬
licher geworden ist, und noch fortwährend Peinlicher werden wird, je näher die
Nothwendigkeit an Oestreich herantritt, in einem bestimmten concreten Falle einen
bestimmten Entschluß zu fassen. Denn Oestreich steht bis jetzt in allen seinen
auswärtigen, zum Theil auch in seinen innern Beziehungen, durchaus auf dem
Standpunkt des xvWumuL, einem Standpunkt also, der mit einer wirklich,
nicht blos scheinbar thätigen Politik unvereinbar ist, da sich schwerlich eine
Combination ersinnen läßt, in der Oestreich ein actives Auftreten nach einer
Richtung hin mit dem starren Festhalten seiner Ansprüche und Rechte nach
allen andern Seiten wird vereinigen können.

Zu den bedenklichen Symptomen der Situation gehörte, daß Oestreich
durchaus den Zusammenhang mit der europäischen Politik verloren hatte, ein
Verhältniß, das für den an allen Punkten von offener oder versteckter Feind¬
schaft, von lebhaften Rivalitäten, selbst im Innern von der Unzufriedenheit
widerstrebender Nationalitäten bedrohten Staat durchaus unerträglich war. Es
hat denn auch nicht an Versuchen gefehlt, Verbindungen anzuknüpfen und auf
einem Punkte eine Entscheidung anzubahnen. Aber sie sind mißglückt. Die
Stellung, die Oestreich zu der polnischen Frage einnahm, war in sich so wider¬
spruchsvoll, daß sie weder die Lage der östreichischen Provinzen verbessern, noch
auch ein intimes Verhältniß mit den Westmächten herbeiführen konnte. Daß
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[0445] Rückblicke ans die östreichische Politik. Im vorigen Jahrgange dieser Blatter baden wir in einer Reihe von Auf¬ sätzen die Schwierigkeiten zu schildern versucht, mit denen die östreichische Monarchie nach allen Seiten hin zu kämpfen hat. Ais charakteristisches Merk¬ mal der östreichischen Politik bezeichneten wir eine unruhige vielseitige Geschäf¬ tigkeit, welche in einem auffallenden Gegensatze steht zu der Unfruchtbarkeit ihrer Bemühungen, zu der Unbeweglichkeit aller Verhältnisse, die jedem Anstoß, jedem Anregungsmittel Trotz bietet. Dieser Gegensatz zwischen Wollen und Können, zwischen Entwerfen und Vollbringen dauert, von der Betheiligung an der Lösung der Schleswig-HMeimschen Frage abgesehen, bis auf den heutigen Tag fort, ja man darf wohl behaupten, daß der Druck der Lage immer pein¬ licher geworden ist, und noch fortwährend Peinlicher werden wird, je näher die Nothwendigkeit an Oestreich herantritt, in einem bestimmten concreten Falle einen bestimmten Entschluß zu fassen. Denn Oestreich steht bis jetzt in allen seinen auswärtigen, zum Theil auch in seinen innern Beziehungen, durchaus auf dem Standpunkt des xvWumuL, einem Standpunkt also, der mit einer wirklich, nicht blos scheinbar thätigen Politik unvereinbar ist, da sich schwerlich eine Combination ersinnen läßt, in der Oestreich ein actives Auftreten nach einer Richtung hin mit dem starren Festhalten seiner Ansprüche und Rechte nach allen andern Seiten wird vereinigen können. Zu den bedenklichen Symptomen der Situation gehörte, daß Oestreich durchaus den Zusammenhang mit der europäischen Politik verloren hatte, ein Verhältniß, das für den an allen Punkten von offener oder versteckter Feind¬ schaft, von lebhaften Rivalitäten, selbst im Innern von der Unzufriedenheit widerstrebender Nationalitäten bedrohten Staat durchaus unerträglich war. Es hat denn auch nicht an Versuchen gefehlt, Verbindungen anzuknüpfen und auf einem Punkte eine Entscheidung anzubahnen. Aber sie sind mißglückt. Die Stellung, die Oestreich zu der polnischen Frage einnahm, war in sich so wider¬ spruchsvoll, daß sie weder die Lage der östreichischen Provinzen verbessern, noch auch ein intimes Verhältniß mit den Westmächten herbeiführen konnte. Daß nun aber gar der in dem ersten Stadium der polnischen Frage erworbene flüch- Grcnzbute» IV. 18U4. gg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/445>, abgerufen am 29.06.2024.