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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band.

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Die diesjährige berliner Kunstausstellung.
1."

Jahrzehnte altem Gebrauch gemäß ist nach zweijähriger Zwischenzeit mit
dem ersten Sonntag des September die große Kunstausstellung in Berlin wieder
in den Sälen des Akademiegebändes unter den Linden eröffnet worden. Zum
ersten Mal bei der von 1862 hatte man wieder die ehemals geltende laxere
Gewohnheit, den strengeren Usus eingeführt, der nur denjenigen Kunstwerken
Aufnahme gewährte, welche bis zu einem bestimmten Schlußtermin, dem
18. August, hergeiiefert waren. Diese Neuerung erregte damals bei den Künst¬
lern wie bei einem Theil des Publicums viel Lärm und Anfechtung. In¬
dessen hat sie sich hinreichend als praktisch und gerecht bewährt, um auch dies¬
mal und wohl für immer festgehalten zu werden. Von den damals prophezeiten
mißlichen Folgen ist keine eingetreten und die Vortheile sind evident. Vom
ersten Tage der Ausstellung an weiß das Publicum gegenwärtig, was sie ihm
bringt; die vielgeplagte, es keinem recht machende sogenannte "Hängecommission"
ist nicht ferner zu der traurigen Sisyphusarbeit verurtheilt, ihr Werk immer
wieder von Neuem zu beginnen, und die oft genug illusorische Freude der Er¬
wartung von außerordentlichen Kunstschöpfungen, welche noch erst gegen das
Ende der Ausstellungswoche eintreffen sollten, wird nicht mehr wie sonst durch
den traurigen Anblick der jeder bedeutenderen Zierde ermangelnden Säle wäh¬
rend der größeren ersten Hälfte dieser Zeit erkauft. Ein anderer sehr realer
Vortheil dieser Einrichtung ist unzweifelhaft die geringere Zahl der nun aus¬
gestellten Gegenstände; und diese Thatsache ist entschieden eher unter die er¬
freulichen als unter die beklagenswerthen zu zählen. Der Katalog hat 8S3
Nummern statt der 1600--1800 früherer Jahre und der im Ganzen so viel
angenehmere Eindruck der diesmaligen Ausstellung mag zum Theil auch darauf
begründet sein: das Zahlenverhältniß der guten Arbeiten zu den mittelmäßigen
und ganz schlechten stellt sich so weit günstiger.

Darauf aber beschränken sich die Veränderungen, welche die gegenwärtige
Ausstellung aufweist. Im Uebrigen ist alles beim Alten geblieben, auch die
empfindlichsten Mißstände, wie sie besonders und an erster Stelle das völlig
ungenügende Local mit sich bringt. Dies Akademiegebäude nimmt zwei Seiten


Grenzboten IV. 1864. 21
Die diesjährige berliner Kunstausstellung.
1."

Jahrzehnte altem Gebrauch gemäß ist nach zweijähriger Zwischenzeit mit
dem ersten Sonntag des September die große Kunstausstellung in Berlin wieder
in den Sälen des Akademiegebändes unter den Linden eröffnet worden. Zum
ersten Mal bei der von 1862 hatte man wieder die ehemals geltende laxere
Gewohnheit, den strengeren Usus eingeführt, der nur denjenigen Kunstwerken
Aufnahme gewährte, welche bis zu einem bestimmten Schlußtermin, dem
18. August, hergeiiefert waren. Diese Neuerung erregte damals bei den Künst¬
lern wie bei einem Theil des Publicums viel Lärm und Anfechtung. In¬
dessen hat sie sich hinreichend als praktisch und gerecht bewährt, um auch dies¬
mal und wohl für immer festgehalten zu werden. Von den damals prophezeiten
mißlichen Folgen ist keine eingetreten und die Vortheile sind evident. Vom
ersten Tage der Ausstellung an weiß das Publicum gegenwärtig, was sie ihm
bringt; die vielgeplagte, es keinem recht machende sogenannte „Hängecommission"
ist nicht ferner zu der traurigen Sisyphusarbeit verurtheilt, ihr Werk immer
wieder von Neuem zu beginnen, und die oft genug illusorische Freude der Er¬
wartung von außerordentlichen Kunstschöpfungen, welche noch erst gegen das
Ende der Ausstellungswoche eintreffen sollten, wird nicht mehr wie sonst durch
den traurigen Anblick der jeder bedeutenderen Zierde ermangelnden Säle wäh¬
rend der größeren ersten Hälfte dieser Zeit erkauft. Ein anderer sehr realer
Vortheil dieser Einrichtung ist unzweifelhaft die geringere Zahl der nun aus¬
gestellten Gegenstände; und diese Thatsache ist entschieden eher unter die er¬
freulichen als unter die beklagenswerthen zu zählen. Der Katalog hat 8S3
Nummern statt der 1600—1800 früherer Jahre und der im Ganzen so viel
angenehmere Eindruck der diesmaligen Ausstellung mag zum Theil auch darauf
begründet sein: das Zahlenverhältniß der guten Arbeiten zu den mittelmäßigen
und ganz schlechten stellt sich so weit günstiger.

Darauf aber beschränken sich die Veränderungen, welche die gegenwärtige
Ausstellung aufweist. Im Uebrigen ist alles beim Alten geblieben, auch die
empfindlichsten Mißstände, wie sie besonders und an erster Stelle das völlig
ungenügende Local mit sich bringt. Dies Akademiegebäude nimmt zwei Seiten


Grenzboten IV. 1864. 21
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[0165] Die diesjährige berliner Kunstausstellung. 1." Jahrzehnte altem Gebrauch gemäß ist nach zweijähriger Zwischenzeit mit dem ersten Sonntag des September die große Kunstausstellung in Berlin wieder in den Sälen des Akademiegebändes unter den Linden eröffnet worden. Zum ersten Mal bei der von 1862 hatte man wieder die ehemals geltende laxere Gewohnheit, den strengeren Usus eingeführt, der nur denjenigen Kunstwerken Aufnahme gewährte, welche bis zu einem bestimmten Schlußtermin, dem 18. August, hergeiiefert waren. Diese Neuerung erregte damals bei den Künst¬ lern wie bei einem Theil des Publicums viel Lärm und Anfechtung. In¬ dessen hat sie sich hinreichend als praktisch und gerecht bewährt, um auch dies¬ mal und wohl für immer festgehalten zu werden. Von den damals prophezeiten mißlichen Folgen ist keine eingetreten und die Vortheile sind evident. Vom ersten Tage der Ausstellung an weiß das Publicum gegenwärtig, was sie ihm bringt; die vielgeplagte, es keinem recht machende sogenannte „Hängecommission" ist nicht ferner zu der traurigen Sisyphusarbeit verurtheilt, ihr Werk immer wieder von Neuem zu beginnen, und die oft genug illusorische Freude der Er¬ wartung von außerordentlichen Kunstschöpfungen, welche noch erst gegen das Ende der Ausstellungswoche eintreffen sollten, wird nicht mehr wie sonst durch den traurigen Anblick der jeder bedeutenderen Zierde ermangelnden Säle wäh¬ rend der größeren ersten Hälfte dieser Zeit erkauft. Ein anderer sehr realer Vortheil dieser Einrichtung ist unzweifelhaft die geringere Zahl der nun aus¬ gestellten Gegenstände; und diese Thatsache ist entschieden eher unter die er¬ freulichen als unter die beklagenswerthen zu zählen. Der Katalog hat 8S3 Nummern statt der 1600—1800 früherer Jahre und der im Ganzen so viel angenehmere Eindruck der diesmaligen Ausstellung mag zum Theil auch darauf begründet sein: das Zahlenverhältniß der guten Arbeiten zu den mittelmäßigen und ganz schlechten stellt sich so weit günstiger. Darauf aber beschränken sich die Veränderungen, welche die gegenwärtige Ausstellung aufweist. Im Uebrigen ist alles beim Alten geblieben, auch die empfindlichsten Mißstände, wie sie besonders und an erster Stelle das völlig ungenügende Local mit sich bringt. Dies Akademiegebäude nimmt zwei Seiten Grenzboten IV. 1864. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_360480/165>, abgerufen am 28.09.2024.