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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band.

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Der Krieg und seine Illustration.

Seit ihren ersten rohesten Anfängen hat die bildende Kunst so gut wie
die dichtende nächst der Versinnlichung des Göttlichen die Schilderung und Ver¬
herrlichung der Heldenthaten, des Kampfs und Siegs der Mächtigen und Krie¬
ger für ihre wesentlichste Aufgabe erkannt. Wie verschieden und mannigfach
wechselnd auch die Erscheinungsformen sein mochten, in welchen sich der gei¬
stige Lebensinhalt der Völker auf den sich folgenden Stufen ihrer Cultur¬
entwickelung ausprägte, so ist in dieser Richtung ihres künstlerischen Hanges
keine Aenderung eingetreten, seit den Tempel- und Palastbauten der alten
Aegypter und Assyrer, ihren Reliefbildern und Wandmalereien bis zu Leonardo
und Titian, und wieder seit dieser Zeit bis zur heutigen, zum Jahrhundert der
Photographie und der illustrirten Zeitungen. Verändert ist nur die Weise, in
welcher die gleiche, einem tiefen innern Bedürfniß entspringende Neigung ihren
Ausdruck sucht. Der jeder jugendlichen Kunst eigne Idealismus verläugnete
sich unter allen ihr als Aufgabe gebotenen Gegenständen am wenigsten den
Kämpfen und Schlachten gegenüber. Noch den großen Italienern des sechzehn¬
ten Jahrhunderts nach Christus kam es so wenig wie den ägyptischen Malern
des tausendsten und den griechischen des fünfhundertsten vor Christus, in den
Sinn, mit ihren derartigen Darstellungen Bilder der Wirklichkeit geben und den
realen Krieg etwa zum Zweck seiner bildlichen Schilderung als Augenzeuge stu-
diren zu wollen. Wo sie ihm und seinen großen und furchtbaren Scenen in
solcher Cigenschaft aus irgendeiner andern Nöthigung beizuwohnen veranlaßt
waren, sind ihre Interessen ganz anderer praktischer Art, sind die Ziele ihrer
Aufmerksamkeit nichts weniger als künstlerischer Natur gewesen. Leonardo war
in den Kämpfen Cesare Borgias als Ingenieur, Michelangelo bei der berühm¬
ten Vertheidigung der heimischen Republik als Oberaufseher und Leiter der
Befestigungsarbeiten und des Geschühwesens thätig, und Benvenuto ist auf den
Wällen Roms und den Zinnen der Engelsburg dem malerisch hinreißenden Schau¬
spiel der Bestürmung durch die bunten Schaaren des Cvnnetable gegenüber
einzig auf das gute Zielen mit Büchse und Karthaune gerichtet; -- was ihn
freilich nicht hindert, wenigstens schriftstellerisch das charaktervollste, farben¬
prächtigste Bild von der dabei gesehenen Wirklichkeit zu entwerfen. Die Schlacht-'
darstellung machte nicht den mindesten Anspruch darauf, als Spiegelbild der
Wirklichkeit zu gelten; so wenig, daß sogar bei derartigen Bildern aus der
kriegsbewegten Gegenwart oder ganz naher Vergangenheit dem wirklichen Co-
stüm, den Waffen, der Erscheinung der Kämpfer ein ideales, willkürlich zurecht-


Der Krieg und seine Illustration.

Seit ihren ersten rohesten Anfängen hat die bildende Kunst so gut wie
die dichtende nächst der Versinnlichung des Göttlichen die Schilderung und Ver¬
herrlichung der Heldenthaten, des Kampfs und Siegs der Mächtigen und Krie¬
ger für ihre wesentlichste Aufgabe erkannt. Wie verschieden und mannigfach
wechselnd auch die Erscheinungsformen sein mochten, in welchen sich der gei¬
stige Lebensinhalt der Völker auf den sich folgenden Stufen ihrer Cultur¬
entwickelung ausprägte, so ist in dieser Richtung ihres künstlerischen Hanges
keine Aenderung eingetreten, seit den Tempel- und Palastbauten der alten
Aegypter und Assyrer, ihren Reliefbildern und Wandmalereien bis zu Leonardo
und Titian, und wieder seit dieser Zeit bis zur heutigen, zum Jahrhundert der
Photographie und der illustrirten Zeitungen. Verändert ist nur die Weise, in
welcher die gleiche, einem tiefen innern Bedürfniß entspringende Neigung ihren
Ausdruck sucht. Der jeder jugendlichen Kunst eigne Idealismus verläugnete
sich unter allen ihr als Aufgabe gebotenen Gegenständen am wenigsten den
Kämpfen und Schlachten gegenüber. Noch den großen Italienern des sechzehn¬
ten Jahrhunderts nach Christus kam es so wenig wie den ägyptischen Malern
des tausendsten und den griechischen des fünfhundertsten vor Christus, in den
Sinn, mit ihren derartigen Darstellungen Bilder der Wirklichkeit geben und den
realen Krieg etwa zum Zweck seiner bildlichen Schilderung als Augenzeuge stu-
diren zu wollen. Wo sie ihm und seinen großen und furchtbaren Scenen in
solcher Cigenschaft aus irgendeiner andern Nöthigung beizuwohnen veranlaßt
waren, sind ihre Interessen ganz anderer praktischer Art, sind die Ziele ihrer
Aufmerksamkeit nichts weniger als künstlerischer Natur gewesen. Leonardo war
in den Kämpfen Cesare Borgias als Ingenieur, Michelangelo bei der berühm¬
ten Vertheidigung der heimischen Republik als Oberaufseher und Leiter der
Befestigungsarbeiten und des Geschühwesens thätig, und Benvenuto ist auf den
Wällen Roms und den Zinnen der Engelsburg dem malerisch hinreißenden Schau¬
spiel der Bestürmung durch die bunten Schaaren des Cvnnetable gegenüber
einzig auf das gute Zielen mit Büchse und Karthaune gerichtet; — was ihn
freilich nicht hindert, wenigstens schriftstellerisch das charaktervollste, farben¬
prächtigste Bild von der dabei gesehenen Wirklichkeit zu entwerfen. Die Schlacht-'
darstellung machte nicht den mindesten Anspruch darauf, als Spiegelbild der
Wirklichkeit zu gelten; so wenig, daß sogar bei derartigen Bildern aus der
kriegsbewegten Gegenwart oder ganz naher Vergangenheit dem wirklichen Co-
stüm, den Waffen, der Erscheinung der Kämpfer ein ideales, willkürlich zurecht-


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[0495] Der Krieg und seine Illustration. Seit ihren ersten rohesten Anfängen hat die bildende Kunst so gut wie die dichtende nächst der Versinnlichung des Göttlichen die Schilderung und Ver¬ herrlichung der Heldenthaten, des Kampfs und Siegs der Mächtigen und Krie¬ ger für ihre wesentlichste Aufgabe erkannt. Wie verschieden und mannigfach wechselnd auch die Erscheinungsformen sein mochten, in welchen sich der gei¬ stige Lebensinhalt der Völker auf den sich folgenden Stufen ihrer Cultur¬ entwickelung ausprägte, so ist in dieser Richtung ihres künstlerischen Hanges keine Aenderung eingetreten, seit den Tempel- und Palastbauten der alten Aegypter und Assyrer, ihren Reliefbildern und Wandmalereien bis zu Leonardo und Titian, und wieder seit dieser Zeit bis zur heutigen, zum Jahrhundert der Photographie und der illustrirten Zeitungen. Verändert ist nur die Weise, in welcher die gleiche, einem tiefen innern Bedürfniß entspringende Neigung ihren Ausdruck sucht. Der jeder jugendlichen Kunst eigne Idealismus verläugnete sich unter allen ihr als Aufgabe gebotenen Gegenständen am wenigsten den Kämpfen und Schlachten gegenüber. Noch den großen Italienern des sechzehn¬ ten Jahrhunderts nach Christus kam es so wenig wie den ägyptischen Malern des tausendsten und den griechischen des fünfhundertsten vor Christus, in den Sinn, mit ihren derartigen Darstellungen Bilder der Wirklichkeit geben und den realen Krieg etwa zum Zweck seiner bildlichen Schilderung als Augenzeuge stu- diren zu wollen. Wo sie ihm und seinen großen und furchtbaren Scenen in solcher Cigenschaft aus irgendeiner andern Nöthigung beizuwohnen veranlaßt waren, sind ihre Interessen ganz anderer praktischer Art, sind die Ziele ihrer Aufmerksamkeit nichts weniger als künstlerischer Natur gewesen. Leonardo war in den Kämpfen Cesare Borgias als Ingenieur, Michelangelo bei der berühm¬ ten Vertheidigung der heimischen Republik als Oberaufseher und Leiter der Befestigungsarbeiten und des Geschühwesens thätig, und Benvenuto ist auf den Wällen Roms und den Zinnen der Engelsburg dem malerisch hinreißenden Schau¬ spiel der Bestürmung durch die bunten Schaaren des Cvnnetable gegenüber einzig auf das gute Zielen mit Büchse und Karthaune gerichtet; — was ihn freilich nicht hindert, wenigstens schriftstellerisch das charaktervollste, farben¬ prächtigste Bild von der dabei gesehenen Wirklichkeit zu entwerfen. Die Schlacht-' darstellung machte nicht den mindesten Anspruch darauf, als Spiegelbild der Wirklichkeit zu gelten; so wenig, daß sogar bei derartigen Bildern aus der kriegsbewegten Gegenwart oder ganz naher Vergangenheit dem wirklichen Co- stüm, den Waffen, der Erscheinung der Kämpfer ein ideales, willkürlich zurecht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_188560/495>, abgerufen am 22.07.2024.