Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einzuführen. Jeder Tag, ein dem man aus Scheu vor den Großmächten und
aus Trotz gegen die Mittelstaaten und die verhaßten liberalen Volkswünsche,
diesem Naheliegenden entgegenarbeitet, verschlechtert die politische Stellung
Preußens! Die Händel mit den Bundescommissaren, die Animosität gegen die
Politik der Mittelstaaten, der beschränkte Parteihaß gegen die nationale Fraction
im Volke werden von den auswärtigen Mächten schadenfroh taxirt und alle
diese Steine werden im Ausland gegen Preußen in-die Wagschale geworfen
werden. Durch den Standpunkt, den man in Berlin bis jetzt festgehalten hat,
vermag man die Großmächte Europas weder zu versöhnen noch zu täuschen,
im Gegentheil die Halbheit des geschehenen Schrittes wird als Schwäche und
Unsicherheit aufgefaßt, und sie reizt mehr zu Einsprüchen und zum Widerstreben,
als eine offene und entschlossene Politik thun würde.

Es ist für den preußischen Patrioten eine düstere Aussicht, daß die nächste
Zukunft des Vaterlandes von ganz unberechenbaren und fast zufälligen Stim¬
mungen abhängen soll.

Und wir haben bis jetzt aus der Eroberung Schleswigs nur ein erfreuliches
Resultat gewonnen, daß in den Herzogthümern selbst durch Truppenzüge und
Civilcommissare das deutsche Element wieder auflebt, daß der Wille des Landes
vor ganz Europa sich immer lauter und energischer documentirt, daß die Ver¬
bindung mit Dänemark zu erneuern, selbst in Form einer Personalunion, durch
unwiderrufliche Thatsachen immer schwieriger wird. Es giebt einen logischen
Zwang der Verhältnisse, dem sich zuletzt kein Einzelner, kein Staat und keine
Partei entziehen kann. Und die fortwirkende Kraft dieses stillen Vernünftigen
ist die einzige Hoffnung, welche wir gegenwärtig haben.




Vermischte Literatur.
Zur Tonkunst. Abhandlungen von Ernst Otto Lindner; Berlin, I. Gutten-
tag 1864.

Die zweite Hälfte des Buches enthält eine Abhandlung über "künstlerische
Weltanschauung", deren philosophischer Standpunkt in folgenden Worten der
Vorrede bestimmt wird: "Nun ist aber, meiner Ansicht nach, über die idealistische
Anschauungsweise kaum noch ein ernsthafter Streit möglich. Kant hat in dieser
Beziehung einen zwar noch sehr schmalen, aber festen Grund gelegt. In ihm wur¬
zelt zugleich die Auffassung des Wesens der Welt als Wille, welche Schopenhauer


einzuführen. Jeder Tag, ein dem man aus Scheu vor den Großmächten und
aus Trotz gegen die Mittelstaaten und die verhaßten liberalen Volkswünsche,
diesem Naheliegenden entgegenarbeitet, verschlechtert die politische Stellung
Preußens! Die Händel mit den Bundescommissaren, die Animosität gegen die
Politik der Mittelstaaten, der beschränkte Parteihaß gegen die nationale Fraction
im Volke werden von den auswärtigen Mächten schadenfroh taxirt und alle
diese Steine werden im Ausland gegen Preußen in-die Wagschale geworfen
werden. Durch den Standpunkt, den man in Berlin bis jetzt festgehalten hat,
vermag man die Großmächte Europas weder zu versöhnen noch zu täuschen,
im Gegentheil die Halbheit des geschehenen Schrittes wird als Schwäche und
Unsicherheit aufgefaßt, und sie reizt mehr zu Einsprüchen und zum Widerstreben,
als eine offene und entschlossene Politik thun würde.

Es ist für den preußischen Patrioten eine düstere Aussicht, daß die nächste
Zukunft des Vaterlandes von ganz unberechenbaren und fast zufälligen Stim¬
mungen abhängen soll.

Und wir haben bis jetzt aus der Eroberung Schleswigs nur ein erfreuliches
Resultat gewonnen, daß in den Herzogthümern selbst durch Truppenzüge und
Civilcommissare das deutsche Element wieder auflebt, daß der Wille des Landes
vor ganz Europa sich immer lauter und energischer documentirt, daß die Ver¬
bindung mit Dänemark zu erneuern, selbst in Form einer Personalunion, durch
unwiderrufliche Thatsachen immer schwieriger wird. Es giebt einen logischen
Zwang der Verhältnisse, dem sich zuletzt kein Einzelner, kein Staat und keine
Partei entziehen kann. Und die fortwirkende Kraft dieses stillen Vernünftigen
ist die einzige Hoffnung, welche wir gegenwärtig haben.




Vermischte Literatur.
Zur Tonkunst. Abhandlungen von Ernst Otto Lindner; Berlin, I. Gutten-
tag 1864.

Die zweite Hälfte des Buches enthält eine Abhandlung über „künstlerische
Weltanschauung", deren philosophischer Standpunkt in folgenden Worten der
Vorrede bestimmt wird: „Nun ist aber, meiner Ansicht nach, über die idealistische
Anschauungsweise kaum noch ein ernsthafter Streit möglich. Kant hat in dieser
Beziehung einen zwar noch sehr schmalen, aber festen Grund gelegt. In ihm wur¬
zelt zugleich die Auffassung des Wesens der Welt als Wille, welche Schopenhauer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0370" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/116836"/>
          <p xml:id="ID_1116" prev="#ID_1115"> einzuführen. Jeder Tag, ein dem man aus Scheu vor den Großmächten und<lb/>
aus Trotz gegen die Mittelstaaten und die verhaßten liberalen Volkswünsche,<lb/>
diesem Naheliegenden entgegenarbeitet, verschlechtert die politische Stellung<lb/>
Preußens! Die Händel mit den Bundescommissaren, die Animosität gegen die<lb/>
Politik der Mittelstaaten, der beschränkte Parteihaß gegen die nationale Fraction<lb/>
im Volke werden von den auswärtigen Mächten schadenfroh taxirt und alle<lb/>
diese Steine werden im Ausland gegen Preußen in-die Wagschale geworfen<lb/>
werden. Durch den Standpunkt, den man in Berlin bis jetzt festgehalten hat,<lb/>
vermag man die Großmächte Europas weder zu versöhnen noch zu täuschen,<lb/>
im Gegentheil die Halbheit des geschehenen Schrittes wird als Schwäche und<lb/>
Unsicherheit aufgefaßt, und sie reizt mehr zu Einsprüchen und zum Widerstreben,<lb/>
als eine offene und entschlossene Politik thun würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1117"> Es ist für den preußischen Patrioten eine düstere Aussicht, daß die nächste<lb/>
Zukunft des Vaterlandes von ganz unberechenbaren und fast zufälligen Stim¬<lb/>
mungen abhängen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1118"> Und wir haben bis jetzt aus der Eroberung Schleswigs nur ein erfreuliches<lb/>
Resultat gewonnen, daß in den Herzogthümern selbst durch Truppenzüge und<lb/>
Civilcommissare das deutsche Element wieder auflebt, daß der Wille des Landes<lb/>
vor ganz Europa sich immer lauter und energischer documentirt, daß die Ver¬<lb/>
bindung mit Dänemark zu erneuern, selbst in Form einer Personalunion, durch<lb/>
unwiderrufliche Thatsachen immer schwieriger wird. Es giebt einen logischen<lb/>
Zwang der Verhältnisse, dem sich zuletzt kein Einzelner, kein Staat und keine<lb/>
Partei entziehen kann. Und die fortwirkende Kraft dieses stillen Vernünftigen<lb/>
ist die einzige Hoffnung, welche wir gegenwärtig haben.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Vermischte Literatur.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Zur Tonkunst. Abhandlungen von Ernst Otto Lindner; Berlin, I. Gutten-<lb/>
tag 1864.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1119" next="#ID_1120"> Die zweite Hälfte des Buches enthält eine Abhandlung über &#x201E;künstlerische<lb/>
Weltanschauung", deren philosophischer Standpunkt in folgenden Worten der<lb/>
Vorrede bestimmt wird: &#x201E;Nun ist aber, meiner Ansicht nach, über die idealistische<lb/>
Anschauungsweise kaum noch ein ernsthafter Streit möglich. Kant hat in dieser<lb/>
Beziehung einen zwar noch sehr schmalen, aber festen Grund gelegt. In ihm wur¬<lb/>
zelt zugleich die Auffassung des Wesens der Welt als Wille, welche Schopenhauer</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0370] einzuführen. Jeder Tag, ein dem man aus Scheu vor den Großmächten und aus Trotz gegen die Mittelstaaten und die verhaßten liberalen Volkswünsche, diesem Naheliegenden entgegenarbeitet, verschlechtert die politische Stellung Preußens! Die Händel mit den Bundescommissaren, die Animosität gegen die Politik der Mittelstaaten, der beschränkte Parteihaß gegen die nationale Fraction im Volke werden von den auswärtigen Mächten schadenfroh taxirt und alle diese Steine werden im Ausland gegen Preußen in-die Wagschale geworfen werden. Durch den Standpunkt, den man in Berlin bis jetzt festgehalten hat, vermag man die Großmächte Europas weder zu versöhnen noch zu täuschen, im Gegentheil die Halbheit des geschehenen Schrittes wird als Schwäche und Unsicherheit aufgefaßt, und sie reizt mehr zu Einsprüchen und zum Widerstreben, als eine offene und entschlossene Politik thun würde. Es ist für den preußischen Patrioten eine düstere Aussicht, daß die nächste Zukunft des Vaterlandes von ganz unberechenbaren und fast zufälligen Stim¬ mungen abhängen soll. Und wir haben bis jetzt aus der Eroberung Schleswigs nur ein erfreuliches Resultat gewonnen, daß in den Herzogthümern selbst durch Truppenzüge und Civilcommissare das deutsche Element wieder auflebt, daß der Wille des Landes vor ganz Europa sich immer lauter und energischer documentirt, daß die Ver¬ bindung mit Dänemark zu erneuern, selbst in Form einer Personalunion, durch unwiderrufliche Thatsachen immer schwieriger wird. Es giebt einen logischen Zwang der Verhältnisse, dem sich zuletzt kein Einzelner, kein Staat und keine Partei entziehen kann. Und die fortwirkende Kraft dieses stillen Vernünftigen ist die einzige Hoffnung, welche wir gegenwärtig haben. Vermischte Literatur. Zur Tonkunst. Abhandlungen von Ernst Otto Lindner; Berlin, I. Gutten- tag 1864. Die zweite Hälfte des Buches enthält eine Abhandlung über „künstlerische Weltanschauung", deren philosophischer Standpunkt in folgenden Worten der Vorrede bestimmt wird: „Nun ist aber, meiner Ansicht nach, über die idealistische Anschauungsweise kaum noch ein ernsthafter Streit möglich. Kant hat in dieser Beziehung einen zwar noch sehr schmalen, aber festen Grund gelegt. In ihm wur¬ zelt zugleich die Auffassung des Wesens der Welt als Wille, welche Schopenhauer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/370
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/370>, abgerufen am 27.06.2024.