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Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band.

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ihn zu einer der interessantesten Figuren des Ständesaals. Ich hörte, daß
er das einzige Mitglied der Prälatenbank sei, dessen Name bei den Abstimmungen
zuweilen in den Reihen der Opposition betroffen wird.

Den Beschluß machte Ludwig Seeger, der, seitdem sein jüngerer Bruder
Adolf aus Gesundheitsrücksichten sich einige Zurückhaltung auferlegen muß,
häufiger genannt wird, und dessen volkstümliche, mit treffenden Einfällen und
Ausfällen gewürzte Beredsamkeit ganz dazu angethan ist, eine ermüdende
Debatte noch einmal zu beleben und unter einem bedeutenden Eindruck zu Ende
zu führen. Es ist der bekannte Dichter und Uebersetzer, dessen humoristische,
sarkastische Ader im Verdacht steht, den "Eulenspiegel", Schwabens Kladdera¬
datsch, zu inspiriren. Aus seiner Rede heben wir nur den einen Gedanken
heraus, daß es voreilig sei, die Mittel- und Kleinstaaten als eine selbständige
Macht den Großstaaten entgegenstellen zu wollen, weil man dabei einen Fac-
tor übersehe: das preußische Volk. Dieser eine Gedanke war es werth, daß
noch ein Redner gehört wurde, von der launigen Zurechtweisung abgesehen,
welche er dem Herrn Lichtenstein zu Theil werden ließ. Aber nun war doch
die.Geduld und die Redelust der Kammer erschöpft. Die Abstimmung erfolgte.
Die Commissionsanträge wurden, wie zu erwarten war, einstimmig angenommen.
Gegen den weiteren Antrag, die Mittel zur eventuellen Mobilisirung der wür-
tembergischen Armee anzubieten, stimmte nur ein Mitglied der Unterhaut,
Graf v. Bissingen, der ehemalige k. k. Statthalter von Venetien.

Wir eilten ins Freie. Als wir wieder um die Ecke in die Hauptstraße
einbogen, schallten uns aus einem Cafe die Klänge des Schleswig-Holsteinlieds
entgegen. Die Menge fiel brausend ein.

"Es ist noch nicht so lange her," bemerkte mein Begleiter, "so war es
der Radetzkymarsch. der jubelnd von der Menge begehrt wurde. Heute würde
er ausgepfiffen. Kein Kapellmeister dürfte mehr wagen, denselben auf sein
Programm zu setzen, lelnxorg, niuwnwr."




Mrömische Kinderschulen.

In einem frühern Artikel hat d. Bl. über den höhern Unterricht bei den
Alten berichtet. Die folgenden Mittheilungen, den soeben erschienenen "Rö¬
mischen Privatalterthümern" I. Marquardts im Auszug entnommen"'),
mögen das dort gegebne Bild der römischen Schule durch einige Blicke auf den
elementaren und den mittleren Unterricht in der republikanischen und der kaiser¬
lichen Zeit vervollständigen.

In der alten einfachen Zeit erhielt das Kind des Römers seine Ausbildung



") Leipzig, Verlag von S. Hirzel, 1864, allen Freunden der Alterthumskunde mit seiner
reichen Sammlung von Beispielen und Belegstellen lebhast zu empfehlen.

ihn zu einer der interessantesten Figuren des Ständesaals. Ich hörte, daß
er das einzige Mitglied der Prälatenbank sei, dessen Name bei den Abstimmungen
zuweilen in den Reihen der Opposition betroffen wird.

Den Beschluß machte Ludwig Seeger, der, seitdem sein jüngerer Bruder
Adolf aus Gesundheitsrücksichten sich einige Zurückhaltung auferlegen muß,
häufiger genannt wird, und dessen volkstümliche, mit treffenden Einfällen und
Ausfällen gewürzte Beredsamkeit ganz dazu angethan ist, eine ermüdende
Debatte noch einmal zu beleben und unter einem bedeutenden Eindruck zu Ende
zu führen. Es ist der bekannte Dichter und Uebersetzer, dessen humoristische,
sarkastische Ader im Verdacht steht, den „Eulenspiegel", Schwabens Kladdera¬
datsch, zu inspiriren. Aus seiner Rede heben wir nur den einen Gedanken
heraus, daß es voreilig sei, die Mittel- und Kleinstaaten als eine selbständige
Macht den Großstaaten entgegenstellen zu wollen, weil man dabei einen Fac-
tor übersehe: das preußische Volk. Dieser eine Gedanke war es werth, daß
noch ein Redner gehört wurde, von der launigen Zurechtweisung abgesehen,
welche er dem Herrn Lichtenstein zu Theil werden ließ. Aber nun war doch
die.Geduld und die Redelust der Kammer erschöpft. Die Abstimmung erfolgte.
Die Commissionsanträge wurden, wie zu erwarten war, einstimmig angenommen.
Gegen den weiteren Antrag, die Mittel zur eventuellen Mobilisirung der wür-
tembergischen Armee anzubieten, stimmte nur ein Mitglied der Unterhaut,
Graf v. Bissingen, der ehemalige k. k. Statthalter von Venetien.

Wir eilten ins Freie. Als wir wieder um die Ecke in die Hauptstraße
einbogen, schallten uns aus einem Cafe die Klänge des Schleswig-Holsteinlieds
entgegen. Die Menge fiel brausend ein.

„Es ist noch nicht so lange her," bemerkte mein Begleiter, „so war es
der Radetzkymarsch. der jubelnd von der Menge begehrt wurde. Heute würde
er ausgepfiffen. Kein Kapellmeister dürfte mehr wagen, denselben auf sein
Programm zu setzen, lelnxorg, niuwnwr."




Mrömische Kinderschulen.

In einem frühern Artikel hat d. Bl. über den höhern Unterricht bei den
Alten berichtet. Die folgenden Mittheilungen, den soeben erschienenen „Rö¬
mischen Privatalterthümern" I. Marquardts im Auszug entnommen"'),
mögen das dort gegebne Bild der römischen Schule durch einige Blicke auf den
elementaren und den mittleren Unterricht in der republikanischen und der kaiser¬
lichen Zeit vervollständigen.

In der alten einfachen Zeit erhielt das Kind des Römers seine Ausbildung



") Leipzig, Verlag von S. Hirzel, 1864, allen Freunden der Alterthumskunde mit seiner
reichen Sammlung von Beispielen und Belegstellen lebhast zu empfehlen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 23, 1864, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341799_116464/158>, abgerufen am 24.07.2024.