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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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nicht zu rathen. Vielmehr wäre zu dessen Beseitigung mindestens eine chemische
und mikroskopische Untersuchung von competentcr und nicht interessirter
Seite allein von Nutzen.

Und nun zum Schluß. Sollen wir ihn noch unsern Tischendorf nennen?
Wir denken, vorläufig nicht. Man büßt ungern einen großen Mann ein, aber
wir sind verstimmt.

Merklich erkältet senkt unser Wohlwollen die Flügel. Mühsam fortbeschworne
Schatten kehren wieder, und von Neuem haben wir zu wehren, daß wir nicht
den zu Anfang dieses Artikels geschilderten Versuchungen unterliegen. Also
nicht mehr unser Tischendorf, unser Erasmus und Vmenes, und nicht eher
wieder, als bis die Zweifel des Englishmans und die unsern widerlegt sind, wo¬
von wir seiner Zeit -- nicht so sehr wegen des "sinaitischen Fundes", der uns
kühler läßt wie die Engländer, als im Interesse der Ehre deutscher
Wissenschaft -- bereitwillig Notiz nehmen werden.

Aber wvhlzubemerken: Causidicus hat seine Mängel, ist aber kein Simo¬
nides. Also nicht wieder das hohe Roß reite", nicht kurz abtrumpfen. Nicht
mit Worten, die mehr Selbstgefühl als Selbsterkenntniß athmen, sich um die
Sache herumschlängeln, wie bei der Rücknahme des frühern Urtheils über das
Hermas-Manuscript. Sondern glatte klare, ausführliche Gegenbeweise bringen;
denn, wie die Grenzboten damals bei Gelegenheit der Uranivs-Affaire nicht
ohne einige Wehmuth sagten:

Es gibt viel Betrug in der Welt, und auch die Besten können
i rre n!




Das srnnzösische Gelbbuch.

Der Kaiser Napoleon hat, wie in den beiden verflossenen Jahren, so auch
diesmal, der Legislative eine Auseinandersetzung über die Lage des Landes,
begleitet von diplomatischen Documenten, vorlegen lassen. Der Werth dieser
Mittheilungen ist allerdings relativ; denn mißliebige Momente sind darin mit
Stillschweigen übergangen oder mit vfsiciöser Schönfärberei behandelt. Vor
Allem muß es jedem Leser der veröffentlichten Depeschen, welche dem Publicum
sämmtlich durch die Zeitungen zugänglich gemacht sind, auffallen, daß auf
dieselben schwerlich der Grundsatz der Jury passen wird: die Wahrheit, die ganze


nicht zu rathen. Vielmehr wäre zu dessen Beseitigung mindestens eine chemische
und mikroskopische Untersuchung von competentcr und nicht interessirter
Seite allein von Nutzen.

Und nun zum Schluß. Sollen wir ihn noch unsern Tischendorf nennen?
Wir denken, vorläufig nicht. Man büßt ungern einen großen Mann ein, aber
wir sind verstimmt.

Merklich erkältet senkt unser Wohlwollen die Flügel. Mühsam fortbeschworne
Schatten kehren wieder, und von Neuem haben wir zu wehren, daß wir nicht
den zu Anfang dieses Artikels geschilderten Versuchungen unterliegen. Also
nicht mehr unser Tischendorf, unser Erasmus und Vmenes, und nicht eher
wieder, als bis die Zweifel des Englishmans und die unsern widerlegt sind, wo¬
von wir seiner Zeit — nicht so sehr wegen des „sinaitischen Fundes", der uns
kühler läßt wie die Engländer, als im Interesse der Ehre deutscher
Wissenschaft — bereitwillig Notiz nehmen werden.

Aber wvhlzubemerken: Causidicus hat seine Mängel, ist aber kein Simo¬
nides. Also nicht wieder das hohe Roß reite», nicht kurz abtrumpfen. Nicht
mit Worten, die mehr Selbstgefühl als Selbsterkenntniß athmen, sich um die
Sache herumschlängeln, wie bei der Rücknahme des frühern Urtheils über das
Hermas-Manuscript. Sondern glatte klare, ausführliche Gegenbeweise bringen;
denn, wie die Grenzboten damals bei Gelegenheit der Uranivs-Affaire nicht
ohne einige Wehmuth sagten:

Es gibt viel Betrug in der Welt, und auch die Besten können
i rre n!




Das srnnzösische Gelbbuch.

Der Kaiser Napoleon hat, wie in den beiden verflossenen Jahren, so auch
diesmal, der Legislative eine Auseinandersetzung über die Lage des Landes,
begleitet von diplomatischen Documenten, vorlegen lassen. Der Werth dieser
Mittheilungen ist allerdings relativ; denn mißliebige Momente sind darin mit
Stillschweigen übergangen oder mit vfsiciöser Schönfärberei behandelt. Vor
Allem muß es jedem Leser der veröffentlichten Depeschen, welche dem Publicum
sämmtlich durch die Zeitungen zugänglich gemacht sind, auffallen, daß auf
dieselben schwerlich der Grundsatz der Jury passen wird: die Wahrheit, die ganze


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/224>, abgerufen am 21.11.2024.