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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Ein Damenpensionat im Staat Mississippi.
2. Wie Schule gehalten wurde.

So schleicht sich der erste October immer näher herbei. Jeder Augenblick
droht. Ladies zu bringen. Und endlich kommen sie wirklich. Zwei prächtige
Kutschen rasseln heran. Das Herz klopft mir vor banger Erwartung. Sie
steigen aus, große, stattliche Mädchen im feinsten Anputz. "Das also sind La¬
dies! -- Wie wird das werden?" Mich überlief ein kalter Schauer. Zum Glück
konnte ich mich meinen trüben Gedanken nicht lange überlassen; denn Thalberg
erschien, um mir mitzutheilen, daß die Saison mit einem Concert eröffnet wer¬
den müsse.

"Was geht das mich an?" frage ich ärgerlich.

"Sie müssen Piano spielen."

"Ich? -- Das werde ich Wohl bleiben lassen."

"Oliva und ich spielen Geige, und Sie müssen Piano dazu spielen. Es
geht durchaus nicht anders. Poindexter besteht darauf."

All mein Sträuben, meine heiligsten Betheurungen, daß ich unbedingt um¬
werfen werde, halfen nichts. Er führte mich in sein Schulstübchen, einen klei¬
nen, schmalen bretternen Käfig. Hier stand ein Piano; auch; Oliva harrte be¬
reits mit seiner schrecklichen Geige. Die Probe begann. Mir ahnte nichts
Gutes; denn der Italiener war immer um fünf und mehr Tacte voraus und
hielt überdies sein Instrument ganz dicht an mein rechtes Ohr. Sein Spiel
war ein herzzerreißendes Kreischen, dem mein Nervensystem auf die Dauer
nicht gewachsen war. Ich sprang auf und lief davon, Thalberg hinter mir
her. Ich rief ihm zu, daß mich kein Gott dazu bringen werde, mich dieser
Marter noch einmal auszusetzen. Nach langen Verhandlungen ließ ich mich je¬
doch wieder willig finden, nachdem Oliva feierlich versprochen, seine Geige drei
Ellen von meinen Ohren fern zu halten.

Am festgesetzten Abende verfügten wir drei Concertgeber uns in den gro¬
ßen Lesesaal, der mit den Schülerinnen und mit der Auslese der macvner
Gesellschaft gefüllt war. Mit welchen Gefühlen ich mich an den Flügel
setzte, will ich nicht zu schildern suchen. Ich weiß nur, daß mir die Sinne
schwinden wollten; denn Oliva war schon zu Anfang um fünf bis zehn Tacte
voraus und kam mit seinem Fiedelbogen meinem Ohr fortwährend bedenklich
näher. Ich machte heldenmäßige Anstrengungen, um mich diesem schauderhaften
Tongcwirr gegenüber zu behaupten. Da streicht der vertrackte Italiener seine
Geige mit entsetzlichem Nachdruck ganz nahe an meinem Ohr und arbeitet un¬
verdrossen bereits im nächsten Theile, und -- ich bleibe stecken. ^

"Nur nicht stocken! Nur nicht stocken!" raunt mir Thalberg zu. "Immer
weiter! Recht doree getreten! Das Volk hier versteht nichts von der Sache!"


Ein Damenpensionat im Staat Mississippi.
2. Wie Schule gehalten wurde.

So schleicht sich der erste October immer näher herbei. Jeder Augenblick
droht. Ladies zu bringen. Und endlich kommen sie wirklich. Zwei prächtige
Kutschen rasseln heran. Das Herz klopft mir vor banger Erwartung. Sie
steigen aus, große, stattliche Mädchen im feinsten Anputz. „Das also sind La¬
dies! — Wie wird das werden?" Mich überlief ein kalter Schauer. Zum Glück
konnte ich mich meinen trüben Gedanken nicht lange überlassen; denn Thalberg
erschien, um mir mitzutheilen, daß die Saison mit einem Concert eröffnet wer¬
den müsse.

„Was geht das mich an?" frage ich ärgerlich.

„Sie müssen Piano spielen."

„Ich? — Das werde ich Wohl bleiben lassen."

„Oliva und ich spielen Geige, und Sie müssen Piano dazu spielen. Es
geht durchaus nicht anders. Poindexter besteht darauf."

All mein Sträuben, meine heiligsten Betheurungen, daß ich unbedingt um¬
werfen werde, halfen nichts. Er führte mich in sein Schulstübchen, einen klei¬
nen, schmalen bretternen Käfig. Hier stand ein Piano; auch; Oliva harrte be¬
reits mit seiner schrecklichen Geige. Die Probe begann. Mir ahnte nichts
Gutes; denn der Italiener war immer um fünf und mehr Tacte voraus und
hielt überdies sein Instrument ganz dicht an mein rechtes Ohr. Sein Spiel
war ein herzzerreißendes Kreischen, dem mein Nervensystem auf die Dauer
nicht gewachsen war. Ich sprang auf und lief davon, Thalberg hinter mir
her. Ich rief ihm zu, daß mich kein Gott dazu bringen werde, mich dieser
Marter noch einmal auszusetzen. Nach langen Verhandlungen ließ ich mich je¬
doch wieder willig finden, nachdem Oliva feierlich versprochen, seine Geige drei
Ellen von meinen Ohren fern zu halten.

Am festgesetzten Abende verfügten wir drei Concertgeber uns in den gro¬
ßen Lesesaal, der mit den Schülerinnen und mit der Auslese der macvner
Gesellschaft gefüllt war. Mit welchen Gefühlen ich mich an den Flügel
setzte, will ich nicht zu schildern suchen. Ich weiß nur, daß mir die Sinne
schwinden wollten; denn Oliva war schon zu Anfang um fünf bis zehn Tacte
voraus und kam mit seinem Fiedelbogen meinem Ohr fortwährend bedenklich
näher. Ich machte heldenmäßige Anstrengungen, um mich diesem schauderhaften
Tongcwirr gegenüber zu behaupten. Da streicht der vertrackte Italiener seine
Geige mit entsetzlichem Nachdruck ganz nahe an meinem Ohr und arbeitet un¬
verdrossen bereits im nächsten Theile, und — ich bleibe stecken. ^

„Nur nicht stocken! Nur nicht stocken!" raunt mir Thalberg zu. „Immer
weiter! Recht doree getreten! Das Volk hier versteht nichts von der Sache!"


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[0196] Ein Damenpensionat im Staat Mississippi. 2. Wie Schule gehalten wurde. So schleicht sich der erste October immer näher herbei. Jeder Augenblick droht. Ladies zu bringen. Und endlich kommen sie wirklich. Zwei prächtige Kutschen rasseln heran. Das Herz klopft mir vor banger Erwartung. Sie steigen aus, große, stattliche Mädchen im feinsten Anputz. „Das also sind La¬ dies! — Wie wird das werden?" Mich überlief ein kalter Schauer. Zum Glück konnte ich mich meinen trüben Gedanken nicht lange überlassen; denn Thalberg erschien, um mir mitzutheilen, daß die Saison mit einem Concert eröffnet wer¬ den müsse. „Was geht das mich an?" frage ich ärgerlich. „Sie müssen Piano spielen." „Ich? — Das werde ich Wohl bleiben lassen." „Oliva und ich spielen Geige, und Sie müssen Piano dazu spielen. Es geht durchaus nicht anders. Poindexter besteht darauf." All mein Sträuben, meine heiligsten Betheurungen, daß ich unbedingt um¬ werfen werde, halfen nichts. Er führte mich in sein Schulstübchen, einen klei¬ nen, schmalen bretternen Käfig. Hier stand ein Piano; auch; Oliva harrte be¬ reits mit seiner schrecklichen Geige. Die Probe begann. Mir ahnte nichts Gutes; denn der Italiener war immer um fünf und mehr Tacte voraus und hielt überdies sein Instrument ganz dicht an mein rechtes Ohr. Sein Spiel war ein herzzerreißendes Kreischen, dem mein Nervensystem auf die Dauer nicht gewachsen war. Ich sprang auf und lief davon, Thalberg hinter mir her. Ich rief ihm zu, daß mich kein Gott dazu bringen werde, mich dieser Marter noch einmal auszusetzen. Nach langen Verhandlungen ließ ich mich je¬ doch wieder willig finden, nachdem Oliva feierlich versprochen, seine Geige drei Ellen von meinen Ohren fern zu halten. Am festgesetzten Abende verfügten wir drei Concertgeber uns in den gro¬ ßen Lesesaal, der mit den Schülerinnen und mit der Auslese der macvner Gesellschaft gefüllt war. Mit welchen Gefühlen ich mich an den Flügel setzte, will ich nicht zu schildern suchen. Ich weiß nur, daß mir die Sinne schwinden wollten; denn Oliva war schon zu Anfang um fünf bis zehn Tacte voraus und kam mit seinem Fiedelbogen meinem Ohr fortwährend bedenklich näher. Ich machte heldenmäßige Anstrengungen, um mich diesem schauderhaften Tongcwirr gegenüber zu behaupten. Da streicht der vertrackte Italiener seine Geige mit entsetzlichem Nachdruck ganz nahe an meinem Ohr und arbeitet un¬ verdrossen bereits im nächsten Theile, und — ich bleibe stecken. ^ „Nur nicht stocken! Nur nicht stocken!" raunt mir Thalberg zu. „Immer weiter! Recht doree getreten! Das Volk hier versteht nichts von der Sache!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/196>, abgerufen am 15.01.2025.