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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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unbefangen und in großem Sinn beschreibt, der wird darzustellen haben, wie
gerade der edle und beispiellose Aufschwung des preußischen Volkes in den Frei¬
heitskriegen dazu beigetragen hat. die innere politische Entwickelung dieses
Staates zurückzuhalten. Wir genießen den Segen jener Jahre, die Preußen
empfinden noch jetzt die Leiden, Die gewaltige Anstrengung der Volkskraft
Katte dem neugebildeten Staat eine materielle Erschöpfung gebracht, an deren
Besserung eine ganze Generation arbeiten mußte. Die perfide Politik Metter-
nichs und Talleyrands hatte den verhaßten Staat dadurch schwach zu erhalten
gesucht, daß sie ihm ein vielzerrissenes, getheiltes Staatsgebiet zwischen festge¬
schlossenen Großmächten, aufzwang. Auch dadurch wurde Preußen die Aufgabe,
ein Militärstaat zu werden, der dennoch bei gewöhnlicher Menschenkraft seiner
Regenten, so lange das Land verarmt und nicht menschenreich war, festen An¬
schluß an eine größere Macht nicht entbehren konnte. Die unhaltbare patri¬
archalische Weise zu regieren, an welcher die preußischen Herrscher gegen die
höchsten Interessen des Staates und ihres Hauses so hartnäckig festhalten,
wurzelt in den Stimmungen der Freiheitskriege. Das uniformirte Wesen, die
Vorliebe für das Militär ist wieder zum größten Theil eine Folge derselben
Zeit, das Verhältniß zu Rußland und Frankreich beruht noch aus der Politik
der Kriegsjahre, die Begünstigung des Junkerthums hat ihren Grund in dem
Mißtrauen, welches alte Friedensgeneräle gegen die Forderungen einer neu¬
artigen Bildung des Bürgerthums hegen, dessen Interessen. Wünsche und höhere
Berechtigung sie nicht begreifen. Von den Ereignissen der großen Zeit sind die
Schatten in den Seelen der Regierenden zurückgeblieben, ihr Urtheil beschrän¬
kend, ihren Willen bestimmend. Und nicht nur in den Regierenden, auch in
einem Theil des Volkes. Das größte irdische Thun hat zur unvermeidlichen
Folge auch eine große Einseitigkeit, nicht nur die einzelnen großen Charaktere
der Weltgeschichte werden durch ihre edelsten Thaten beschränkt, auch die Völker.
Daß sich die Preußen später als andere deutsche Stämme das Verfassungsleben
eroberten, daß dort noch vieles Unhaltbare aus der Vergangenheit zurückblieb,
gerade das ist auch eine Folge der großen Jahre deutscher Geschichte.

Es soll Niemandem einfallen, dessa'.h den unendlichen Fortschritt, welchen
das Jahr 1813 für Preußen und Deutschland gebracht hat. zu verkleinern.
Wer aber die Geschicke seines Vaterlandes mit bewegter Seele übersieht, der
wird gerade in dem Schicksal Preußens Veranlassung finden, die gegenwärtige
Krisis dieses Staates mit inniger Theilnahme zu betrachten. Denn, noch ein¬
mal sei gesagt, was die Preußen jetzt zu tragen und zu bewältigen haben,
das ist ihnen zum großen Theil deshalb vom Schicksal auferlegt, weil sie vor
sunfzig Jahren mehr als jeder andere deutsche Stamm für uns durchgesetzt haben.

Dies ist eine ernste und nüchterne Betrachtung, sie darf bei einer Erinne¬
rung an die Feier der letzten Octvbertage nicht fehlen.




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unbefangen und in großem Sinn beschreibt, der wird darzustellen haben, wie
gerade der edle und beispiellose Aufschwung des preußischen Volkes in den Frei¬
heitskriegen dazu beigetragen hat. die innere politische Entwickelung dieses
Staates zurückzuhalten. Wir genießen den Segen jener Jahre, die Preußen
empfinden noch jetzt die Leiden, Die gewaltige Anstrengung der Volkskraft
Katte dem neugebildeten Staat eine materielle Erschöpfung gebracht, an deren
Besserung eine ganze Generation arbeiten mußte. Die perfide Politik Metter-
nichs und Talleyrands hatte den verhaßten Staat dadurch schwach zu erhalten
gesucht, daß sie ihm ein vielzerrissenes, getheiltes Staatsgebiet zwischen festge¬
schlossenen Großmächten, aufzwang. Auch dadurch wurde Preußen die Aufgabe,
ein Militärstaat zu werden, der dennoch bei gewöhnlicher Menschenkraft seiner
Regenten, so lange das Land verarmt und nicht menschenreich war, festen An¬
schluß an eine größere Macht nicht entbehren konnte. Die unhaltbare patri¬
archalische Weise zu regieren, an welcher die preußischen Herrscher gegen die
höchsten Interessen des Staates und ihres Hauses so hartnäckig festhalten,
wurzelt in den Stimmungen der Freiheitskriege. Das uniformirte Wesen, die
Vorliebe für das Militär ist wieder zum größten Theil eine Folge derselben
Zeit, das Verhältniß zu Rußland und Frankreich beruht noch aus der Politik
der Kriegsjahre, die Begünstigung des Junkerthums hat ihren Grund in dem
Mißtrauen, welches alte Friedensgeneräle gegen die Forderungen einer neu¬
artigen Bildung des Bürgerthums hegen, dessen Interessen. Wünsche und höhere
Berechtigung sie nicht begreifen. Von den Ereignissen der großen Zeit sind die
Schatten in den Seelen der Regierenden zurückgeblieben, ihr Urtheil beschrän¬
kend, ihren Willen bestimmend. Und nicht nur in den Regierenden, auch in
einem Theil des Volkes. Das größte irdische Thun hat zur unvermeidlichen
Folge auch eine große Einseitigkeit, nicht nur die einzelnen großen Charaktere
der Weltgeschichte werden durch ihre edelsten Thaten beschränkt, auch die Völker.
Daß sich die Preußen später als andere deutsche Stämme das Verfassungsleben
eroberten, daß dort noch vieles Unhaltbare aus der Vergangenheit zurückblieb,
gerade das ist auch eine Folge der großen Jahre deutscher Geschichte.

Es soll Niemandem einfallen, dessa'.h den unendlichen Fortschritt, welchen
das Jahr 1813 für Preußen und Deutschland gebracht hat. zu verkleinern.
Wer aber die Geschicke seines Vaterlandes mit bewegter Seele übersieht, der
wird gerade in dem Schicksal Preußens Veranlassung finden, die gegenwärtige
Krisis dieses Staates mit inniger Theilnahme zu betrachten. Denn, noch ein¬
mal sei gesagt, was die Preußen jetzt zu tragen und zu bewältigen haben,
das ist ihnen zum großen Theil deshalb vom Schicksal auferlegt, weil sie vor
sunfzig Jahren mehr als jeder andere deutsche Stamm für uns durchgesetzt haben.

Dies ist eine ernste und nüchterne Betrachtung, sie darf bei einer Erinne¬
rung an die Feier der letzten Octvbertage nicht fehlen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/195>, abgerufen am 15.01.2025.