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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band.

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Briefe über Oestreich.
Oestreich und Ungarn.
" * 3.

Wenn die östreichische Regierung, um ihr Gesammtstaatsprogramm durch'
zuführen, Ungarn bewegen muß, sich in die ihm durch die Erlasse vom Octover
angewiesene staatsrechtliche Stellung zu fügen, so folgt daraus, daß wenn
Ungarn sich zu der durch jene Verordnungen ihm angemutheten Entäußerung
seiner Rechte nicht versteht und sich durch keine Executionsinaßrcgel bewegen
läßt, die Wahlen für den Reichstag zu vollziehen, die Durchführung der
Februarverfassung d. h. die Befestigung des Gescnnmtstaates eine Unmöglichkeit
ist. Da aber Oestreichs Existenz von der Durchführung des Verfassungswerkes
abhängt, so muh es suchen, auf gütlichem Wege zum Ziele zu kommen. Wir
wollen daher etwas genauer auf den am Schlüsse des vorigen Schreibens an¬
gedeuteten Compromißvcrsuch -- Festhaltung der Februarverfassung und An¬
erkennung der Integrität des ungarischen Reiches, in dem Sinne, wie die
Ungarn sie versteh" -- eingehen und vor Allem untersuchen, welche Peränderungen
in der allgemeinen Politik des Kaiserstaates eintreten müßten, wenn ein befrie¬
digendes Resultat von einem derartigen Versuche erwartet werden soll.

Die Bevölkerung Oestreichs zerfällt ihrer Nationalität nach in vier Haupt¬
massen. Deutsche. Slaven, Magyaren und Italiener. Wollte man. um die vali-
tive Bedeutung jeder einzelnen Nationalität für die Gesammtheit des Staates zu
ermessen, die Bevölkerungsziffer der einzelnen Nationalitäten der Vergleichung zu
Grunde legen, so würde man ein mangelhaftes und unrichtiges Bild der Factoren
erhalten, von deren Zusammenwirken und Abstoßen die Gestaltung der innern
Zustände Oestreichs zunächst abhängig ist. indem es in dieser Beziehung nicht
nur auf die absolute Bevölkerungszahl der einzelnen Nationen ankommt, son¬
dern auch, und zwar vorzugsweise, auf die Art ihrer Verkeilung, ob sie näm¬
lich in geschlossenen Massen zusammenwohnen, oder ob sie auf demselben Ge¬
biete unter einander gemischt zusammenleben, und welches in diesem Falle das
Mischungsverhältniß ist. Das verhältnißmäßig deutlichste Bild von der vali-
tiven Bedeutung der einzelnen Völkerschaften, so weit sich dieselbe überhaupt
durch Zahlen ausdrücken läßt, werden wir aus der Vergleichung der von den
einzelnen Kronländern in den Reichsrath zu entsendenden Anzahl von Abgeord¬
neten gewinnen, die wir daher der folgenden Betrachtung zu Grunde legen
wollen.

Alleinherrschend ist das deutsche Element, von einigen isolirten und darum


Briefe über Oestreich.
Oestreich und Ungarn.
" * 3.

Wenn die östreichische Regierung, um ihr Gesammtstaatsprogramm durch'
zuführen, Ungarn bewegen muß, sich in die ihm durch die Erlasse vom Octover
angewiesene staatsrechtliche Stellung zu fügen, so folgt daraus, daß wenn
Ungarn sich zu der durch jene Verordnungen ihm angemutheten Entäußerung
seiner Rechte nicht versteht und sich durch keine Executionsinaßrcgel bewegen
läßt, die Wahlen für den Reichstag zu vollziehen, die Durchführung der
Februarverfassung d. h. die Befestigung des Gescnnmtstaates eine Unmöglichkeit
ist. Da aber Oestreichs Existenz von der Durchführung des Verfassungswerkes
abhängt, so muh es suchen, auf gütlichem Wege zum Ziele zu kommen. Wir
wollen daher etwas genauer auf den am Schlüsse des vorigen Schreibens an¬
gedeuteten Compromißvcrsuch — Festhaltung der Februarverfassung und An¬
erkennung der Integrität des ungarischen Reiches, in dem Sinne, wie die
Ungarn sie versteh« — eingehen und vor Allem untersuchen, welche Peränderungen
in der allgemeinen Politik des Kaiserstaates eintreten müßten, wenn ein befrie¬
digendes Resultat von einem derartigen Versuche erwartet werden soll.

Die Bevölkerung Oestreichs zerfällt ihrer Nationalität nach in vier Haupt¬
massen. Deutsche. Slaven, Magyaren und Italiener. Wollte man. um die vali-
tive Bedeutung jeder einzelnen Nationalität für die Gesammtheit des Staates zu
ermessen, die Bevölkerungsziffer der einzelnen Nationalitäten der Vergleichung zu
Grunde legen, so würde man ein mangelhaftes und unrichtiges Bild der Factoren
erhalten, von deren Zusammenwirken und Abstoßen die Gestaltung der innern
Zustände Oestreichs zunächst abhängig ist. indem es in dieser Beziehung nicht
nur auf die absolute Bevölkerungszahl der einzelnen Nationen ankommt, son¬
dern auch, und zwar vorzugsweise, auf die Art ihrer Verkeilung, ob sie näm¬
lich in geschlossenen Massen zusammenwohnen, oder ob sie auf demselben Ge¬
biete unter einander gemischt zusammenleben, und welches in diesem Falle das
Mischungsverhältniß ist. Das verhältnißmäßig deutlichste Bild von der vali-
tiven Bedeutung der einzelnen Völkerschaften, so weit sich dieselbe überhaupt
durch Zahlen ausdrücken läßt, werden wir aus der Vergleichung der von den
einzelnen Kronländern in den Reichsrath zu entsendenden Anzahl von Abgeord¬
neten gewinnen, die wir daher der folgenden Betrachtung zu Grunde legen
wollen.

Alleinherrschend ist das deutsche Element, von einigen isolirten und darum


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[0114] Briefe über Oestreich. Oestreich und Ungarn. " * 3. Wenn die östreichische Regierung, um ihr Gesammtstaatsprogramm durch' zuführen, Ungarn bewegen muß, sich in die ihm durch die Erlasse vom Octover angewiesene staatsrechtliche Stellung zu fügen, so folgt daraus, daß wenn Ungarn sich zu der durch jene Verordnungen ihm angemutheten Entäußerung seiner Rechte nicht versteht und sich durch keine Executionsinaßrcgel bewegen läßt, die Wahlen für den Reichstag zu vollziehen, die Durchführung der Februarverfassung d. h. die Befestigung des Gescnnmtstaates eine Unmöglichkeit ist. Da aber Oestreichs Existenz von der Durchführung des Verfassungswerkes abhängt, so muh es suchen, auf gütlichem Wege zum Ziele zu kommen. Wir wollen daher etwas genauer auf den am Schlüsse des vorigen Schreibens an¬ gedeuteten Compromißvcrsuch — Festhaltung der Februarverfassung und An¬ erkennung der Integrität des ungarischen Reiches, in dem Sinne, wie die Ungarn sie versteh« — eingehen und vor Allem untersuchen, welche Peränderungen in der allgemeinen Politik des Kaiserstaates eintreten müßten, wenn ein befrie¬ digendes Resultat von einem derartigen Versuche erwartet werden soll. Die Bevölkerung Oestreichs zerfällt ihrer Nationalität nach in vier Haupt¬ massen. Deutsche. Slaven, Magyaren und Italiener. Wollte man. um die vali- tive Bedeutung jeder einzelnen Nationalität für die Gesammtheit des Staates zu ermessen, die Bevölkerungsziffer der einzelnen Nationalitäten der Vergleichung zu Grunde legen, so würde man ein mangelhaftes und unrichtiges Bild der Factoren erhalten, von deren Zusammenwirken und Abstoßen die Gestaltung der innern Zustände Oestreichs zunächst abhängig ist. indem es in dieser Beziehung nicht nur auf die absolute Bevölkerungszahl der einzelnen Nationen ankommt, son¬ dern auch, und zwar vorzugsweise, auf die Art ihrer Verkeilung, ob sie näm¬ lich in geschlossenen Massen zusammenwohnen, oder ob sie auf demselben Ge¬ biete unter einander gemischt zusammenleben, und welches in diesem Falle das Mischungsverhältniß ist. Das verhältnißmäßig deutlichste Bild von der vali- tiven Bedeutung der einzelnen Völkerschaften, so weit sich dieselbe überhaupt durch Zahlen ausdrücken läßt, werden wir aus der Vergleichung der von den einzelnen Kronländern in den Reichsrath zu entsendenden Anzahl von Abgeord¬ neten gewinnen, die wir daher der folgenden Betrachtung zu Grunde legen wollen. Alleinherrschend ist das deutsche Element, von einigen isolirten und darum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115927/114>, abgerufen am 15.01.2025.