Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ziger Schmuck ein kleines zinnernes Crucifix ist. Selbst Taufstein und Tauf¬
becken fehlen.

Nicht besser stand es vor drei Jahren mit der großen in 59 Dörfern 5414
Evangelische neben 1450 Katholiken zählenden Gemeinde Rojewo-Kaczkowerdorf.
Aber die Mittheilungen über die traurige Lage dieser Gemeinde, die 1858 der
Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins zu Leipzig gemacht wurden, dran¬
gen weiter und wiederholten sich bei einer Ortsversammlung zu Eibau in Preu¬
ßen. Ergriffen hiervon brachte ein altes Mütterchen nach dem Gottesdienst 2
Groschen in die Sakristei "für die Kirche in Rojewo". Das hörte eine arme
Wittwe, eine Waschfrau; sie sammelte im Kreise ihrer Bekannten und brachte
3 Thaler 7^ Silbergroschen zusammen. Nach einiger Zeit schrieb der Pastor
aus Rojewo: "Das Wittwenscherflein hat Wunder gewirkt. Es hat uns 100
Thaler aus Kiel von einem Ungenannten und 600 Thaler aus Berlin eben-
salls von einem Ungenannten gebracht". Am 12. Oktober 1860 konnte der
Grundstein zu einer staatlichen Kirche gelegt werden, die jetzt ihrer Vollendung
entgegengeht.

Mögen Andere hingehen und nach Kräften desgleichen thun. Wir wieder¬
holen, daß Posen der Hilfe vor Allem bedarf, und daß die helfende Hand,
die hier dem Protestantismus dargereicht wird, zugleich im schönsten Sinn pa¬
triotische Zwecke fördert.




Deutsche Geschichte von Souchliy.

Geschichte der deutschen Monarchie von ihrer Erhebung bis zu ihrem Verfall. Von
or. E F. Souchay, 4 Bände. Frankfurt a. M. I. D. Saucrländcr.
1861--1862.

Seltner als in England und Frankreich sind in dem modernen Deutsch¬
land die Männer, welche, ohne Historiker von Fach zu sein, ein großes und
langathmiges Geschichtswerk mit Erfolg unternommen haben. Ohne Zweifel hat
die Darstellung unserer Vergangenheit darunter gelitten. Wir begreifen jetzt sehr
wohl, daß einer guten Geschichtserzählung zwar das selbständige Forschen
in den Quellen die Grundlage ist, daß aber der Geschichtsschreiber niemals in
der Lage sein wird, das Gefundene würdig zu verwerthen, wenn ihm einige
Eigenschaften des fertigen Mannes) Kenntniß der Menschen, der Geschäfte, des


ziger Schmuck ein kleines zinnernes Crucifix ist. Selbst Taufstein und Tauf¬
becken fehlen.

Nicht besser stand es vor drei Jahren mit der großen in 59 Dörfern 5414
Evangelische neben 1450 Katholiken zählenden Gemeinde Rojewo-Kaczkowerdorf.
Aber die Mittheilungen über die traurige Lage dieser Gemeinde, die 1858 der
Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins zu Leipzig gemacht wurden, dran¬
gen weiter und wiederholten sich bei einer Ortsversammlung zu Eibau in Preu¬
ßen. Ergriffen hiervon brachte ein altes Mütterchen nach dem Gottesdienst 2
Groschen in die Sakristei „für die Kirche in Rojewo". Das hörte eine arme
Wittwe, eine Waschfrau; sie sammelte im Kreise ihrer Bekannten und brachte
3 Thaler 7^ Silbergroschen zusammen. Nach einiger Zeit schrieb der Pastor
aus Rojewo: „Das Wittwenscherflein hat Wunder gewirkt. Es hat uns 100
Thaler aus Kiel von einem Ungenannten und 600 Thaler aus Berlin eben-
salls von einem Ungenannten gebracht". Am 12. Oktober 1860 konnte der
Grundstein zu einer staatlichen Kirche gelegt werden, die jetzt ihrer Vollendung
entgegengeht.

Mögen Andere hingehen und nach Kräften desgleichen thun. Wir wieder¬
holen, daß Posen der Hilfe vor Allem bedarf, und daß die helfende Hand,
die hier dem Protestantismus dargereicht wird, zugleich im schönsten Sinn pa¬
triotische Zwecke fördert.




Deutsche Geschichte von Souchliy.

Geschichte der deutschen Monarchie von ihrer Erhebung bis zu ihrem Verfall. Von
or. E F. Souchay, 4 Bände. Frankfurt a. M. I. D. Saucrländcr.
1861—1862.

Seltner als in England und Frankreich sind in dem modernen Deutsch¬
land die Männer, welche, ohne Historiker von Fach zu sein, ein großes und
langathmiges Geschichtswerk mit Erfolg unternommen haben. Ohne Zweifel hat
die Darstellung unserer Vergangenheit darunter gelitten. Wir begreifen jetzt sehr
wohl, daß einer guten Geschichtserzählung zwar das selbständige Forschen
in den Quellen die Grundlage ist, daß aber der Geschichtsschreiber niemals in
der Lage sein wird, das Gefundene würdig zu verwerthen, wenn ihm einige
Eigenschaften des fertigen Mannes) Kenntniß der Menschen, der Geschäfte, des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0063" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114377"/>
            <p xml:id="ID_207" prev="#ID_206"> ziger Schmuck ein kleines zinnernes Crucifix ist. Selbst Taufstein und Tauf¬<lb/>
becken fehlen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_208"> Nicht besser stand es vor drei Jahren mit der großen in 59 Dörfern 5414<lb/>
Evangelische neben 1450 Katholiken zählenden Gemeinde Rojewo-Kaczkowerdorf.<lb/>
Aber die Mittheilungen über die traurige Lage dieser Gemeinde, die 1858 der<lb/>
Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins zu Leipzig gemacht wurden, dran¬<lb/>
gen weiter und wiederholten sich bei einer Ortsversammlung zu Eibau in Preu¬<lb/>
ßen. Ergriffen hiervon brachte ein altes Mütterchen nach dem Gottesdienst 2<lb/>
Groschen in die Sakristei &#x201E;für die Kirche in Rojewo". Das hörte eine arme<lb/>
Wittwe, eine Waschfrau; sie sammelte im Kreise ihrer Bekannten und brachte<lb/>
3 Thaler 7^ Silbergroschen zusammen. Nach einiger Zeit schrieb der Pastor<lb/>
aus Rojewo: &#x201E;Das Wittwenscherflein hat Wunder gewirkt. Es hat uns 100<lb/>
Thaler aus Kiel von einem Ungenannten und 600 Thaler aus Berlin eben-<lb/>
salls von einem Ungenannten gebracht". Am 12. Oktober 1860 konnte der<lb/>
Grundstein zu einer staatlichen Kirche gelegt werden, die jetzt ihrer Vollendung<lb/>
entgegengeht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_209"> Mögen Andere hingehen und nach Kräften desgleichen thun. Wir wieder¬<lb/>
holen, daß Posen der Hilfe vor Allem bedarf, und daß die helfende Hand,<lb/>
die hier dem Protestantismus dargereicht wird, zugleich im schönsten Sinn pa¬<lb/>
triotische Zwecke fördert.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutsche Geschichte von Souchliy.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_210"> Geschichte der deutschen Monarchie von ihrer Erhebung bis zu ihrem Verfall. Von<lb/>
or. E F. Souchay, 4 Bände. Frankfurt a. M. I. D. Saucrländcr.<lb/>
1861&#x2014;1862.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_211" next="#ID_212"> Seltner als in England und Frankreich sind in dem modernen Deutsch¬<lb/>
land die Männer, welche, ohne Historiker von Fach zu sein, ein großes und<lb/>
langathmiges Geschichtswerk mit Erfolg unternommen haben. Ohne Zweifel hat<lb/>
die Darstellung unserer Vergangenheit darunter gelitten. Wir begreifen jetzt sehr<lb/>
wohl, daß einer guten Geschichtserzählung zwar das selbständige Forschen<lb/>
in den Quellen die Grundlage ist, daß aber der Geschichtsschreiber niemals in<lb/>
der Lage sein wird, das Gefundene würdig zu verwerthen, wenn ihm einige<lb/>
Eigenschaften des fertigen Mannes) Kenntniß der Menschen, der Geschäfte, des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0063] ziger Schmuck ein kleines zinnernes Crucifix ist. Selbst Taufstein und Tauf¬ becken fehlen. Nicht besser stand es vor drei Jahren mit der großen in 59 Dörfern 5414 Evangelische neben 1450 Katholiken zählenden Gemeinde Rojewo-Kaczkowerdorf. Aber die Mittheilungen über die traurige Lage dieser Gemeinde, die 1858 der Hauptversammlung des Gustav-Adolf-Vereins zu Leipzig gemacht wurden, dran¬ gen weiter und wiederholten sich bei einer Ortsversammlung zu Eibau in Preu¬ ßen. Ergriffen hiervon brachte ein altes Mütterchen nach dem Gottesdienst 2 Groschen in die Sakristei „für die Kirche in Rojewo". Das hörte eine arme Wittwe, eine Waschfrau; sie sammelte im Kreise ihrer Bekannten und brachte 3 Thaler 7^ Silbergroschen zusammen. Nach einiger Zeit schrieb der Pastor aus Rojewo: „Das Wittwenscherflein hat Wunder gewirkt. Es hat uns 100 Thaler aus Kiel von einem Ungenannten und 600 Thaler aus Berlin eben- salls von einem Ungenannten gebracht". Am 12. Oktober 1860 konnte der Grundstein zu einer staatlichen Kirche gelegt werden, die jetzt ihrer Vollendung entgegengeht. Mögen Andere hingehen und nach Kräften desgleichen thun. Wir wieder¬ holen, daß Posen der Hilfe vor Allem bedarf, und daß die helfende Hand, die hier dem Protestantismus dargereicht wird, zugleich im schönsten Sinn pa¬ triotische Zwecke fördert. Deutsche Geschichte von Souchliy. Geschichte der deutschen Monarchie von ihrer Erhebung bis zu ihrem Verfall. Von or. E F. Souchay, 4 Bände. Frankfurt a. M. I. D. Saucrländcr. 1861—1862. Seltner als in England und Frankreich sind in dem modernen Deutsch¬ land die Männer, welche, ohne Historiker von Fach zu sein, ein großes und langathmiges Geschichtswerk mit Erfolg unternommen haben. Ohne Zweifel hat die Darstellung unserer Vergangenheit darunter gelitten. Wir begreifen jetzt sehr wohl, daß einer guten Geschichtserzählung zwar das selbständige Forschen in den Quellen die Grundlage ist, daß aber der Geschichtsschreiber niemals in der Lage sein wird, das Gefundene würdig zu verwerthen, wenn ihm einige Eigenschaften des fertigen Mannes) Kenntniß der Menschen, der Geschäfte, des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/63
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/63>, abgerufen am 05.02.2025.