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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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genossen auf, wenn sie sich zu einer Beisteuer oder zu Veranstaltung von Samm¬
lungen für den Verein entschließen, vor Allem der Posener Protestanten zu ge¬
denken, welche Pioniere nicht blos unsres Bekenntnisses, sondern auch unsrer
Nationalität und in dieser Eigenschaft doppelt gefährdet und durch das, was
sie erreichen, doppelt nützlich sind. Jede tuer neubegründete protestan¬
tische Gemeindest ein Riß in das Netz der katholisch-polnischen
Verschwörung, welche, wie die letzten Wahlen gezeigt haben, durch
den Beichtstuhl selbst die deutschen Katholiken der Provinz ihren
Zwecken zu dienen nöthigt.

In dieser Richtung ist noch außerordentlich viel zu thun. Der Nothstand,
der hier herrscht, läßt sich daraus einigermaßen ermessen, daß von den 150 Ge¬
meinden dieser Diaspora, welche etwa eine halbe Million Evangelische umfaßt,
in den letzten zehn Jahren nur etwa 30 durch das Zusammenwirken der preu¬
ßischen Kirchenbchörden und des Gustav-Adolf-Vereins mit einem regelmäßigen
Gottesdienst versehen wurden. Das Verhältniß der protestantischen Kirchen,
Pfarreien und Schulen gegenüber den katholischen ist durchweg ein ungünstiges,
und häufig sind die Gemeinden über einen Raum von K bis 10 Quadratmeilen
verstreut.

Einige Beispiele werden hinreichen, zu zeigen, wie diese Gemeinden gestellt
sind. Einer großen Anzahl fehlen Kirche und Pfarrer. So in Dußnik und
Kiszkowo, in Milkvwo, Pogorzella, Strzyzow und Svbotka, in welcher letzteren
Gemeinde 591 Evangelische wohnen. In der Gegend von Pekosc bei Mogilnv.
dem bekannten Wallfahrtsort, wohnen in 24 Dörfern 700 zerstreute Protestanten,
die, um einem Gottesdienst ihres Bekenntnisses beizuwohnen, drei Stunden weit
wandern müssen. In dem Städtchen Zcrkow und 33 benachbarten Dörfern sind
circa 300 Protestanten angesiedelt, die der drei Meilen entfernten Pfarrei Iaro-
cyn zugetheilt sind. Die seit einigen Jahren eingerichteten Filialgottesdienste
haben die früher sehr zahlreichen Uebertritte zum Katholicismus wesentlich ver¬
mindert, aber die Gemeinde ist in Gefahr, das Miethlvcal, das ihr als Bet¬
saal und Schule dient, zu verlieren, und ein anderes ist in dem kleinen bigott-
katholischen Orte nicht zu haben.

Die 1857 gegründete Pfarrei Louisenfelde an der polnischen Grenze zählt
in 27 Ortschaften Ill3 Protestanten neben 2132 Katholiken. Die Gemeinde
besteht großentheils aus armen Tagelöhnern und Dienstleuten, und selbst die
Bauern, die zu ihr gehören, befinden sich des schlechten Bodens wegen in drü¬
ckenden Verhältnissen. Trotz ihrer großen Armuth hat die Gemeinde redlich für
Kirche und Schule gesorgt, die Summe, die sie für dieselben jährlich aufzubringen
hat. beträgt mehr als die gesammte Classensteuer. Dennoch ist sie in jenen
Anstalten nur kärglich ausgestattet. Betsaal und Schuld sind in einem elenden
Bretterhaus vereinigt, dessen Holzwerk morsch und wurmstichig und dessen ein-


genossen auf, wenn sie sich zu einer Beisteuer oder zu Veranstaltung von Samm¬
lungen für den Verein entschließen, vor Allem der Posener Protestanten zu ge¬
denken, welche Pioniere nicht blos unsres Bekenntnisses, sondern auch unsrer
Nationalität und in dieser Eigenschaft doppelt gefährdet und durch das, was
sie erreichen, doppelt nützlich sind. Jede tuer neubegründete protestan¬
tische Gemeindest ein Riß in das Netz der katholisch-polnischen
Verschwörung, welche, wie die letzten Wahlen gezeigt haben, durch
den Beichtstuhl selbst die deutschen Katholiken der Provinz ihren
Zwecken zu dienen nöthigt.

In dieser Richtung ist noch außerordentlich viel zu thun. Der Nothstand,
der hier herrscht, läßt sich daraus einigermaßen ermessen, daß von den 150 Ge¬
meinden dieser Diaspora, welche etwa eine halbe Million Evangelische umfaßt,
in den letzten zehn Jahren nur etwa 30 durch das Zusammenwirken der preu¬
ßischen Kirchenbchörden und des Gustav-Adolf-Vereins mit einem regelmäßigen
Gottesdienst versehen wurden. Das Verhältniß der protestantischen Kirchen,
Pfarreien und Schulen gegenüber den katholischen ist durchweg ein ungünstiges,
und häufig sind die Gemeinden über einen Raum von K bis 10 Quadratmeilen
verstreut.

Einige Beispiele werden hinreichen, zu zeigen, wie diese Gemeinden gestellt
sind. Einer großen Anzahl fehlen Kirche und Pfarrer. So in Dußnik und
Kiszkowo, in Milkvwo, Pogorzella, Strzyzow und Svbotka, in welcher letzteren
Gemeinde 591 Evangelische wohnen. In der Gegend von Pekosc bei Mogilnv.
dem bekannten Wallfahrtsort, wohnen in 24 Dörfern 700 zerstreute Protestanten,
die, um einem Gottesdienst ihres Bekenntnisses beizuwohnen, drei Stunden weit
wandern müssen. In dem Städtchen Zcrkow und 33 benachbarten Dörfern sind
circa 300 Protestanten angesiedelt, die der drei Meilen entfernten Pfarrei Iaro-
cyn zugetheilt sind. Die seit einigen Jahren eingerichteten Filialgottesdienste
haben die früher sehr zahlreichen Uebertritte zum Katholicismus wesentlich ver¬
mindert, aber die Gemeinde ist in Gefahr, das Miethlvcal, das ihr als Bet¬
saal und Schule dient, zu verlieren, und ein anderes ist in dem kleinen bigott-
katholischen Orte nicht zu haben.

Die 1857 gegründete Pfarrei Louisenfelde an der polnischen Grenze zählt
in 27 Ortschaften Ill3 Protestanten neben 2132 Katholiken. Die Gemeinde
besteht großentheils aus armen Tagelöhnern und Dienstleuten, und selbst die
Bauern, die zu ihr gehören, befinden sich des schlechten Bodens wegen in drü¬
ckenden Verhältnissen. Trotz ihrer großen Armuth hat die Gemeinde redlich für
Kirche und Schule gesorgt, die Summe, die sie für dieselben jährlich aufzubringen
hat. beträgt mehr als die gesammte Classensteuer. Dennoch ist sie in jenen
Anstalten nur kärglich ausgestattet. Betsaal und Schuld sind in einem elenden
Bretterhaus vereinigt, dessen Holzwerk morsch und wurmstichig und dessen ein-


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[0062] genossen auf, wenn sie sich zu einer Beisteuer oder zu Veranstaltung von Samm¬ lungen für den Verein entschließen, vor Allem der Posener Protestanten zu ge¬ denken, welche Pioniere nicht blos unsres Bekenntnisses, sondern auch unsrer Nationalität und in dieser Eigenschaft doppelt gefährdet und durch das, was sie erreichen, doppelt nützlich sind. Jede tuer neubegründete protestan¬ tische Gemeindest ein Riß in das Netz der katholisch-polnischen Verschwörung, welche, wie die letzten Wahlen gezeigt haben, durch den Beichtstuhl selbst die deutschen Katholiken der Provinz ihren Zwecken zu dienen nöthigt. In dieser Richtung ist noch außerordentlich viel zu thun. Der Nothstand, der hier herrscht, läßt sich daraus einigermaßen ermessen, daß von den 150 Ge¬ meinden dieser Diaspora, welche etwa eine halbe Million Evangelische umfaßt, in den letzten zehn Jahren nur etwa 30 durch das Zusammenwirken der preu¬ ßischen Kirchenbchörden und des Gustav-Adolf-Vereins mit einem regelmäßigen Gottesdienst versehen wurden. Das Verhältniß der protestantischen Kirchen, Pfarreien und Schulen gegenüber den katholischen ist durchweg ein ungünstiges, und häufig sind die Gemeinden über einen Raum von K bis 10 Quadratmeilen verstreut. Einige Beispiele werden hinreichen, zu zeigen, wie diese Gemeinden gestellt sind. Einer großen Anzahl fehlen Kirche und Pfarrer. So in Dußnik und Kiszkowo, in Milkvwo, Pogorzella, Strzyzow und Svbotka, in welcher letzteren Gemeinde 591 Evangelische wohnen. In der Gegend von Pekosc bei Mogilnv. dem bekannten Wallfahrtsort, wohnen in 24 Dörfern 700 zerstreute Protestanten, die, um einem Gottesdienst ihres Bekenntnisses beizuwohnen, drei Stunden weit wandern müssen. In dem Städtchen Zcrkow und 33 benachbarten Dörfern sind circa 300 Protestanten angesiedelt, die der drei Meilen entfernten Pfarrei Iaro- cyn zugetheilt sind. Die seit einigen Jahren eingerichteten Filialgottesdienste haben die früher sehr zahlreichen Uebertritte zum Katholicismus wesentlich ver¬ mindert, aber die Gemeinde ist in Gefahr, das Miethlvcal, das ihr als Bet¬ saal und Schule dient, zu verlieren, und ein anderes ist in dem kleinen bigott- katholischen Orte nicht zu haben. Die 1857 gegründete Pfarrei Louisenfelde an der polnischen Grenze zählt in 27 Ortschaften Ill3 Protestanten neben 2132 Katholiken. Die Gemeinde besteht großentheils aus armen Tagelöhnern und Dienstleuten, und selbst die Bauern, die zu ihr gehören, befinden sich des schlechten Bodens wegen in drü¬ ckenden Verhältnissen. Trotz ihrer großen Armuth hat die Gemeinde redlich für Kirche und Schule gesorgt, die Summe, die sie für dieselben jährlich aufzubringen hat. beträgt mehr als die gesammte Classensteuer. Dennoch ist sie in jenen Anstalten nur kärglich ausgestattet. Betsaal und Schuld sind in einem elenden Bretterhaus vereinigt, dessen Holzwerk morsch und wurmstichig und dessen ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/62>, abgerufen am 05.02.2025.