Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.Zur Charakteristik der innern Schweiz. Culturhistorische Bilder aus der Schweiz von E. Osenbrüggen. Leipzig, Wenige Länder Europa's umschließen in ihren Grenzen eine solche bunte Freilich ist dabei nicht ausgeschlossen, daß dem modernen Menschen manche Gvenjboteu III, 1662. 62
Zur Charakteristik der innern Schweiz. Culturhistorische Bilder aus der Schweiz von E. Osenbrüggen. Leipzig, Wenige Länder Europa's umschließen in ihren Grenzen eine solche bunte Freilich ist dabei nicht ausgeschlossen, daß dem modernen Menschen manche Gvenjboteu III, 1662. 62
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Zur Charakteristik der innern Schweiz.
Culturhistorische Bilder aus der Schweiz von E. Osenbrüggen. Leipzig,
Verlag der Noßbergschen Buchhandlung. 1863.
Wenige Länder Europa's umschließen in ihren Grenzen eine solche bunte
Fülle culturhistorischer Gegensätze als der kleine Bundesstaat der Eidgenossen.
Als Ganzes in sehr wesentlichen Stücken ein Muster für die deutschen Bestre¬
bungen in nationaler und liberaler Richtung, durch die außerordentlichen Fort¬
schritte, die sie auf volkswirthschaftlichen Gebiet seit der Umgestaltung von 1857
gemacht hat, und den festen Zusammenhalt aller ihrer Theile gegenüber den
Ansprüchen der Nachbarn ein Beweis und ein Trost für jeden Bedenklichen,
offenbart die Schweiz diese Eigenschaft nur noch mehr, wenn wir jene Gegen¬
sätze betrachten. Welch ein Unterschied zwischen dem Ton der Gesellschaft in
Basel und der in Genf, zwischen Bern und den Urcantonen, zwischen dem Zü¬
richer und dem Tessiner! Hier altdeutsche Bürgersitte, dort modernes Franzosen-
thum, hier ein Fabrikland mit allen seinen Vorzügen und Mängeln, dort ein
Hirtenvölkchen mit urthümlichen Sitten und Einrichtungen, in denen sich Men¬
schen des fünfzehnten Jahrhunderts kaum fremd fühlen würden, hier am Ruder
ein bigotter Katholicismus, dort ein liberales Regiment, das in der Handhabung
des Rechts nicht entfernt durch Glaubensunterschiede gehindert wird, und doch
das Ganze fest verbunden unter der Gesammtverfassung, vollendetes Selbstregi¬
ment in allem Besondern, Landschaftlichen neben strenger Centralisation in allem
Gemeinsamen, Vaterländischen, treffliches Gedeihen des Einen durch das Andere.
Freilich ist dabei nicht ausgeschlossen, daß dem modernen Menschen manche
der einzelnen Glieder dieses Körpers Anlaß zur Verwunderung und zum Tadel
geben, daß uns namentlich in den der allgemeinen Cultur lange verschlossen
gebliebenen Thälern der Urschwciz manches begegnet, was mehr romantisch als
human erscheint, ja daß manches nicht mit Unrecht barbarisch genannt werden
kann, was dem Volke dieser oder jener Landschaft als werthes Erbtheil der
Bäter gilt und als ganz in der Ordnung betrachtet wird. Indeß sind das nur
Ausnahmen von der Regel, auf kleine Cantone beschränkt, Kuriositäten, die den
alten Blockhütten gleichen, welche wir in amerikanischen Großstädten bisweilen
Gvenjboteu III, 1662. 62
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