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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Das Hmldelsest in London.

Kein Componist hat auf die Entwicklung der Musik in England einen
so nachhaltigen Einfluß geübt als Händel. London wurde seine zweite Hei¬
math. Hiev kam all das Große und Schöne, was er in seinen Bildungs-
jahren, auf den Wanderungen durch Deutschland und Italien angebahnt hatte,
zur herrlichsten Vollendung. Für England zunächst schrieb er jene Werte, die
jetzt die ganze Welt erfreuen. Die-Erinnerung hieran war es, die im Jahre
1 857 den Anlaß gab zu einer Vorfeier für das in dem hundertjährigen Todes¬
jahre des Meisters zu feiernde erste Händelfest. Die Sacred Harmonie So¬
ciety nahm die Sache in die Hand und setzte sich mit der Direction des
Krystallpalastes in Sydenham in Verbindung; diese übernahm die pecuniäre
Verantwortlichkeit, und beides, der musikalische sowie der materielle Erfolg die¬
ses Versuchs war so glänzend, daß man ohne Bedenken an die Vorbereitungen
für das im Sommer 1859 in noch großartigerem Maßstabe beabsichtigte eigent¬
liche Fest ging.

Die Händelfeste sind übrigens nichts Neues in England. Schon 1784
wurde eine, dem Andenken des Componisten gewidmete musikalische Aufführung
in der Westminsterabtei veranstaltet, do durch Massenhaftigkeit alles übertraf,
was bis dahin geleistet war. Dr. Burney in seinem Berichte über dieses Con¬
cert erzählt uns, wie die Größe des Chores und des Orchesters zu den sonder¬
barsten Befürchtungen Anlaß gegeben, daß z. B. eine solche Masse von Sän¬
gern und Instrumentalisten nie in gleicher Stimmung und im Tal't spielen
könnten, und daß die Schallmasse eine solche sein würde, daß das ganze Pu-
blicum mit Taubheit geschlagen werden müßte, und dort waren doch nur 5N0
Mitwirkende. Es ist fast unglaublich, daß ähnliche Befürchtungen vor dem
Händelfeste 1 857 laut wurden. Da gab es Aengstliche, welche diese Riese"-
concerte nicht besuchen wollten, weil sie für den Nest ihres Lebens taub zu
werden meinten, andere glaubten gar, der Glaspalast werde einstürzen, da er
solchen Tonwellen nicht Stand halten könne u. d. in. Die ersten Proben mit
dem damals 2000 Personen zählenden Orchester brachten die Leute wieder zur
Vernunft, ja es stellte sich sogar heraus, daß für die ungeheuren Räume des


Grenzboten III. 1862. 36
Das Hmldelsest in London.

Kein Componist hat auf die Entwicklung der Musik in England einen
so nachhaltigen Einfluß geübt als Händel. London wurde seine zweite Hei¬
math. Hiev kam all das Große und Schöne, was er in seinen Bildungs-
jahren, auf den Wanderungen durch Deutschland und Italien angebahnt hatte,
zur herrlichsten Vollendung. Für England zunächst schrieb er jene Werte, die
jetzt die ganze Welt erfreuen. Die-Erinnerung hieran war es, die im Jahre
1 857 den Anlaß gab zu einer Vorfeier für das in dem hundertjährigen Todes¬
jahre des Meisters zu feiernde erste Händelfest. Die Sacred Harmonie So¬
ciety nahm die Sache in die Hand und setzte sich mit der Direction des
Krystallpalastes in Sydenham in Verbindung; diese übernahm die pecuniäre
Verantwortlichkeit, und beides, der musikalische sowie der materielle Erfolg die¬
ses Versuchs war so glänzend, daß man ohne Bedenken an die Vorbereitungen
für das im Sommer 1859 in noch großartigerem Maßstabe beabsichtigte eigent¬
liche Fest ging.

Die Händelfeste sind übrigens nichts Neues in England. Schon 1784
wurde eine, dem Andenken des Componisten gewidmete musikalische Aufführung
in der Westminsterabtei veranstaltet, do durch Massenhaftigkeit alles übertraf,
was bis dahin geleistet war. Dr. Burney in seinem Berichte über dieses Con¬
cert erzählt uns, wie die Größe des Chores und des Orchesters zu den sonder¬
barsten Befürchtungen Anlaß gegeben, daß z. B. eine solche Masse von Sän¬
gern und Instrumentalisten nie in gleicher Stimmung und im Tal't spielen
könnten, und daß die Schallmasse eine solche sein würde, daß das ganze Pu-
blicum mit Taubheit geschlagen werden müßte, und dort waren doch nur 5N0
Mitwirkende. Es ist fast unglaublich, daß ähnliche Befürchtungen vor dem
Händelfeste 1 857 laut wurden. Da gab es Aengstliche, welche diese Riese»-
concerte nicht besuchen wollten, weil sie für den Nest ihres Lebens taub zu
werden meinten, andere glaubten gar, der Glaspalast werde einstürzen, da er
solchen Tonwellen nicht Stand halten könne u. d. in. Die ersten Proben mit
dem damals 2000 Personen zählenden Orchester brachten die Leute wieder zur
Vernunft, ja es stellte sich sogar heraus, daß für die ungeheuren Räume des


Grenzboten III. 1862. 36
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[0289] Das Hmldelsest in London. Kein Componist hat auf die Entwicklung der Musik in England einen so nachhaltigen Einfluß geübt als Händel. London wurde seine zweite Hei¬ math. Hiev kam all das Große und Schöne, was er in seinen Bildungs- jahren, auf den Wanderungen durch Deutschland und Italien angebahnt hatte, zur herrlichsten Vollendung. Für England zunächst schrieb er jene Werte, die jetzt die ganze Welt erfreuen. Die-Erinnerung hieran war es, die im Jahre 1 857 den Anlaß gab zu einer Vorfeier für das in dem hundertjährigen Todes¬ jahre des Meisters zu feiernde erste Händelfest. Die Sacred Harmonie So¬ ciety nahm die Sache in die Hand und setzte sich mit der Direction des Krystallpalastes in Sydenham in Verbindung; diese übernahm die pecuniäre Verantwortlichkeit, und beides, der musikalische sowie der materielle Erfolg die¬ ses Versuchs war so glänzend, daß man ohne Bedenken an die Vorbereitungen für das im Sommer 1859 in noch großartigerem Maßstabe beabsichtigte eigent¬ liche Fest ging. Die Händelfeste sind übrigens nichts Neues in England. Schon 1784 wurde eine, dem Andenken des Componisten gewidmete musikalische Aufführung in der Westminsterabtei veranstaltet, do durch Massenhaftigkeit alles übertraf, was bis dahin geleistet war. Dr. Burney in seinem Berichte über dieses Con¬ cert erzählt uns, wie die Größe des Chores und des Orchesters zu den sonder¬ barsten Befürchtungen Anlaß gegeben, daß z. B. eine solche Masse von Sän¬ gern und Instrumentalisten nie in gleicher Stimmung und im Tal't spielen könnten, und daß die Schallmasse eine solche sein würde, daß das ganze Pu- blicum mit Taubheit geschlagen werden müßte, und dort waren doch nur 5N0 Mitwirkende. Es ist fast unglaublich, daß ähnliche Befürchtungen vor dem Händelfeste 1 857 laut wurden. Da gab es Aengstliche, welche diese Riese»- concerte nicht besuchen wollten, weil sie für den Nest ihres Lebens taub zu werden meinten, andere glaubten gar, der Glaspalast werde einstürzen, da er solchen Tonwellen nicht Stand halten könne u. d. in. Die ersten Proben mit dem damals 2000 Personen zählenden Orchester brachten die Leute wieder zur Vernunft, ja es stellte sich sogar heraus, daß für die ungeheuren Räume des Grenzboten III. 1862. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/289>, abgerufen am 05.02.2025.