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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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Die Schlußbcmerkungen, wie auch die Randnotiz in der Mitte des Schrei¬
bens, zeigen, wie überaus sorgfältig, fast ängstlich, Fichte auf seinen gesellschaft¬
lichen Ruf bedacht war. Bei ihm, der nicht blos Vorlesungen halten', sondern
auf das ganze Wesen und Leben der Studirenden einwirken und sie aus der
damals herrschenden studentischen Rohheit und Zügellosigkeit auch sittlich heben
wollte, bei ihm versteht sich von selbst, daß er nicht in leerer Eitelkeit sich sei¬
nes ungebildeten Bruders schämte, sondern höhere Rücksichten nahm.


^U^!.

Meinem Bruder Gotthelf.

> Jena, d. 4. August. 94.

Ich hätte Dir, und Deinetwegen nach Meisen schon lange geschrieben,
wenn ich Zeit gehabt hätte. Aber Du kannst mir's glauben, daß ich oft auch
zu einem Briefe die nöthige Zeit nicht habe.

Mit Anfange des Septembers dieses Jahres bist Du Kostgänger bei dem
ConRet'lor aus der Stadtschule zu Meisen, Herr N. Thieme, der in allen Sen-
ken für Dich sorgen wird. Du hast bei ihm alle Bedürfniße des Lebens, und
Unterricht in der Lateinischen, und Französischen Sprache, und in der Geschichte.
-- N, Kenzelmann wird immer Dein Freund seyn, und Dir rathen. -- Richte
Dich also ein, daß Du mit Anfange des Septembers in Meisen bist. Was
an den ConRektor zu bezahlen ist, ist schon bezahlt. -- Für Kleider, -- wobei
Dir ohne Zweifel N. Kenzelmann mit seinem Rathe an die Hand gehen wird;
meinen Wunsch weißst Du; ja nicht kostbar, und theuer, aber modisch --
und Büchern, wozu Dir nemlich der Herr C. R. Thieme rathen wird, versorge
Dich selbst aus dem Dir abgetretnen Gelde (sZuscch am Randes auch bezahlst
Du davon den Tanzmeister, den Dir Hrr. Thieme zuweisen wird.). Ich denke,
das soll langen. Wegen der Herrschaft, denke ich. halten wir es so. -- Du
bist vereis't, -- wer weiß es denn, wo Du hin verreist bist; Du bist ja bisher
immer auf dem Handel gewesen; die andern Brüder sind auch auswärts, --
wer weiß denn, wo Du bist? Nur hättest Du dann immer schweigen müßen.
Habt ihr nicht schweigen können, so ist die Sache freilich übel; und in
diesem Falle bitte ich Dich, mir sogleich zu schreiben, damit ich meine Maas¬
regeln zu nehmen wiße.

Gelingt dann Dein Vornehmen, so werde ich die Sache schon selbst abzu¬
machen wißen (sZuscch am Randes bis dahin giebst Du Dein Schuzgeld,
wie vorher). Gelingt es nicht, so kannst Du ohne Nachtheil, und Nach¬
rede in Deinen vorigen Stand zurüktreten. Gelingt es nicht, sagte ich --
denn ich muß frei mit Dir reden, mein liebster Bruder. So ein Gedanke
scheint Dir gar nicht einzufallen; ich muß demnach selbst Dich darauf auf¬
merksam machen. Du hältst den Sieg schon für errungen: aber er ist es noch
gar nicht. Wir wollen es erst versuchen; und ich habe nie Dir mehr Verspro-


Die Schlußbcmerkungen, wie auch die Randnotiz in der Mitte des Schrei¬
bens, zeigen, wie überaus sorgfältig, fast ängstlich, Fichte auf seinen gesellschaft¬
lichen Ruf bedacht war. Bei ihm, der nicht blos Vorlesungen halten', sondern
auf das ganze Wesen und Leben der Studirenden einwirken und sie aus der
damals herrschenden studentischen Rohheit und Zügellosigkeit auch sittlich heben
wollte, bei ihm versteht sich von selbst, daß er nicht in leerer Eitelkeit sich sei¬
nes ungebildeten Bruders schämte, sondern höhere Rücksichten nahm.


^U^!.

Meinem Bruder Gotthelf.

> Jena, d. 4. August. 94.

Ich hätte Dir, und Deinetwegen nach Meisen schon lange geschrieben,
wenn ich Zeit gehabt hätte. Aber Du kannst mir's glauben, daß ich oft auch
zu einem Briefe die nöthige Zeit nicht habe.

Mit Anfange des Septembers dieses Jahres bist Du Kostgänger bei dem
ConRet'lor aus der Stadtschule zu Meisen, Herr N. Thieme, der in allen Sen-
ken für Dich sorgen wird. Du hast bei ihm alle Bedürfniße des Lebens, und
Unterricht in der Lateinischen, und Französischen Sprache, und in der Geschichte.
— N, Kenzelmann wird immer Dein Freund seyn, und Dir rathen. — Richte
Dich also ein, daß Du mit Anfange des Septembers in Meisen bist. Was
an den ConRektor zu bezahlen ist, ist schon bezahlt. — Für Kleider, — wobei
Dir ohne Zweifel N. Kenzelmann mit seinem Rathe an die Hand gehen wird;
meinen Wunsch weißst Du; ja nicht kostbar, und theuer, aber modisch —
und Büchern, wozu Dir nemlich der Herr C. R. Thieme rathen wird, versorge
Dich selbst aus dem Dir abgetretnen Gelde (sZuscch am Randes auch bezahlst
Du davon den Tanzmeister, den Dir Hrr. Thieme zuweisen wird.). Ich denke,
das soll langen. Wegen der Herrschaft, denke ich. halten wir es so. — Du
bist vereis't, — wer weiß es denn, wo Du hin verreist bist; Du bist ja bisher
immer auf dem Handel gewesen; die andern Brüder sind auch auswärts, —
wer weiß denn, wo Du bist? Nur hättest Du dann immer schweigen müßen.
Habt ihr nicht schweigen können, so ist die Sache freilich übel; und in
diesem Falle bitte ich Dich, mir sogleich zu schreiben, damit ich meine Maas¬
regeln zu nehmen wiße.

Gelingt dann Dein Vornehmen, so werde ich die Sache schon selbst abzu¬
machen wißen (sZuscch am Randes bis dahin giebst Du Dein Schuzgeld,
wie vorher). Gelingt es nicht, so kannst Du ohne Nachtheil, und Nach¬
rede in Deinen vorigen Stand zurüktreten. Gelingt es nicht, sagte ich —
denn ich muß frei mit Dir reden, mein liebster Bruder. So ein Gedanke
scheint Dir gar nicht einzufallen; ich muß demnach selbst Dich darauf auf¬
merksam machen. Du hältst den Sieg schon für errungen: aber er ist es noch
gar nicht. Wir wollen es erst versuchen; und ich habe nie Dir mehr Verspro-


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[0134] Die Schlußbcmerkungen, wie auch die Randnotiz in der Mitte des Schrei¬ bens, zeigen, wie überaus sorgfältig, fast ängstlich, Fichte auf seinen gesellschaft¬ lichen Ruf bedacht war. Bei ihm, der nicht blos Vorlesungen halten', sondern auf das ganze Wesen und Leben der Studirenden einwirken und sie aus der damals herrschenden studentischen Rohheit und Zügellosigkeit auch sittlich heben wollte, bei ihm versteht sich von selbst, daß er nicht in leerer Eitelkeit sich sei¬ nes ungebildeten Bruders schämte, sondern höhere Rücksichten nahm. ^U^!. Meinem Bruder Gotthelf. > Jena, d. 4. August. 94. Ich hätte Dir, und Deinetwegen nach Meisen schon lange geschrieben, wenn ich Zeit gehabt hätte. Aber Du kannst mir's glauben, daß ich oft auch zu einem Briefe die nöthige Zeit nicht habe. Mit Anfange des Septembers dieses Jahres bist Du Kostgänger bei dem ConRet'lor aus der Stadtschule zu Meisen, Herr N. Thieme, der in allen Sen- ken für Dich sorgen wird. Du hast bei ihm alle Bedürfniße des Lebens, und Unterricht in der Lateinischen, und Französischen Sprache, und in der Geschichte. — N, Kenzelmann wird immer Dein Freund seyn, und Dir rathen. — Richte Dich also ein, daß Du mit Anfange des Septembers in Meisen bist. Was an den ConRektor zu bezahlen ist, ist schon bezahlt. — Für Kleider, — wobei Dir ohne Zweifel N. Kenzelmann mit seinem Rathe an die Hand gehen wird; meinen Wunsch weißst Du; ja nicht kostbar, und theuer, aber modisch — und Büchern, wozu Dir nemlich der Herr C. R. Thieme rathen wird, versorge Dich selbst aus dem Dir abgetretnen Gelde (sZuscch am Randes auch bezahlst Du davon den Tanzmeister, den Dir Hrr. Thieme zuweisen wird.). Ich denke, das soll langen. Wegen der Herrschaft, denke ich. halten wir es so. — Du bist vereis't, — wer weiß es denn, wo Du hin verreist bist; Du bist ja bisher immer auf dem Handel gewesen; die andern Brüder sind auch auswärts, — wer weiß denn, wo Du bist? Nur hättest Du dann immer schweigen müßen. Habt ihr nicht schweigen können, so ist die Sache freilich übel; und in diesem Falle bitte ich Dich, mir sogleich zu schreiben, damit ich meine Maas¬ regeln zu nehmen wiße. Gelingt dann Dein Vornehmen, so werde ich die Sache schon selbst abzu¬ machen wißen (sZuscch am Randes bis dahin giebst Du Dein Schuzgeld, wie vorher). Gelingt es nicht, so kannst Du ohne Nachtheil, und Nach¬ rede in Deinen vorigen Stand zurüktreten. Gelingt es nicht, sagte ich — denn ich muß frei mit Dir reden, mein liebster Bruder. So ein Gedanke scheint Dir gar nicht einzufallen; ich muß demnach selbst Dich darauf auf¬ merksam machen. Du hältst den Sieg schon für errungen: aber er ist es noch gar nicht. Wir wollen es erst versuchen; und ich habe nie Dir mehr Verspro-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/134>, abgerufen am 24.08.2024.