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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Reihe der Nationen, ist allein dieses! kein Volk Kar je größer gedacht als das
unsere von der Würde des Menschen, keines die demokratische Tugend der
Menschenliebe werkthätiger geübt.

Durch eine eigene Fügung fällt mit der heutigen Feier der Beginn des
preußischen Landtags zusammen. Zur Freude Aller, zur Beschämung Vieler
unter uns haben unsre Nachbarn jüngst bei den Wahlen bewiesen, daß unter
den Deutschen noch etwas lebe von dem "Charakter des Kriegers", der sich zu
opfern weiß. Opfer hat dies Volk gebracht -- und schwerer als solche, die
sich schätzen lassen nach dem Tauscbwcrthc -- für die Erfüllung einer ernsten
Bürgerpflicht. Uns ziemt es zu bekennen, daß wir wissein diese Thaten des
Bürgersinnes sind auch für uns vollbracht worden. Hoffen wir, daß über dem
an so verheißungsvollem Tage begonnenen Landtage der Geist des Mannes
walte, dem wir den Spruch verdanken: "Charakter haben und Deutsch sein ist
ohne Zweifel gleichbedeutend."




Bilder aus der russischen Gesellschaft.
^-'^
Das politische Lustspiel. -- Opernmusik.

Der russische Kalender ist hinter dem unsern um zwölf Tage zurück. Wie
weit ist Rußland in andern Dingen hinter uns zurückgeblieben? Die Antwort
lautet: in vielen wichtigen Dingen sind wir ihm um Jahrhunderte voraus, in
andern nur um Jahrzehnte; wieder in andern höchstens um einige Jahre, wäh¬
rend einige sind, in denen es uns nie gleichkommen wird, weil der slavische
Geist eben ein andrer ist, als der germanische.

Beispiele für diese Behauptungen anzuführen wird unnöthig sein. Doch
mag eins hier Platz finden. Um einen Vergleich zwischen der russischen Polizei
und irgend einer andern aufzustellen, bei welchem beide sich fast vollkommen
gleichen, müssen wir auf die Alguazils des Gil Blas zurückgehen. Die Be¬
amten sind der Fluch Rußlands, und die schlimmsten von diesen Blutsaugern
an den Lebensadern des Volkes sind die Polizeibeamten. Nicht daß die russische
Gendarmerie die Reisenden übel behandelte, wie man gewöhnlich annimmt.
Selbst die Paßquälerei ist von den Touristen, von denen einer in den Fu߬
tapfen des andern geht, sehr übertrieben worden. Auf keinen Fall ist sie so
groß wie im kaiserlichen Frankreich, wo man fast keinen Schritt thun kann, ohne
um seine Aufenthaltskarte befragt zu werden, und wo man sich bei jedem Gast-
hofswechsel frisch einschreiben lassen muß. Ebensowenig mischt sich die russische
Polizei in der Weise des Kaisers Napoleon in häusliche Angelegenheiten. In


Reihe der Nationen, ist allein dieses! kein Volk Kar je größer gedacht als das
unsere von der Würde des Menschen, keines die demokratische Tugend der
Menschenliebe werkthätiger geübt.

Durch eine eigene Fügung fällt mit der heutigen Feier der Beginn des
preußischen Landtags zusammen. Zur Freude Aller, zur Beschämung Vieler
unter uns haben unsre Nachbarn jüngst bei den Wahlen bewiesen, daß unter
den Deutschen noch etwas lebe von dem „Charakter des Kriegers", der sich zu
opfern weiß. Opfer hat dies Volk gebracht — und schwerer als solche, die
sich schätzen lassen nach dem Tauscbwcrthc — für die Erfüllung einer ernsten
Bürgerpflicht. Uns ziemt es zu bekennen, daß wir wissein diese Thaten des
Bürgersinnes sind auch für uns vollbracht worden. Hoffen wir, daß über dem
an so verheißungsvollem Tage begonnenen Landtage der Geist des Mannes
walte, dem wir den Spruch verdanken: „Charakter haben und Deutsch sein ist
ohne Zweifel gleichbedeutend."




Bilder aus der russischen Gesellschaft.
^-'^
Das politische Lustspiel. — Opernmusik.

Der russische Kalender ist hinter dem unsern um zwölf Tage zurück. Wie
weit ist Rußland in andern Dingen hinter uns zurückgeblieben? Die Antwort
lautet: in vielen wichtigen Dingen sind wir ihm um Jahrhunderte voraus, in
andern nur um Jahrzehnte; wieder in andern höchstens um einige Jahre, wäh¬
rend einige sind, in denen es uns nie gleichkommen wird, weil der slavische
Geist eben ein andrer ist, als der germanische.

Beispiele für diese Behauptungen anzuführen wird unnöthig sein. Doch
mag eins hier Platz finden. Um einen Vergleich zwischen der russischen Polizei
und irgend einer andern aufzustellen, bei welchem beide sich fast vollkommen
gleichen, müssen wir auf die Alguazils des Gil Blas zurückgehen. Die Be¬
amten sind der Fluch Rußlands, und die schlimmsten von diesen Blutsaugern
an den Lebensadern des Volkes sind die Polizeibeamten. Nicht daß die russische
Gendarmerie die Reisenden übel behandelte, wie man gewöhnlich annimmt.
Selbst die Paßquälerei ist von den Touristen, von denen einer in den Fu߬
tapfen des andern geht, sehr übertrieben worden. Auf keinen Fall ist sie so
groß wie im kaiserlichen Frankreich, wo man fast keinen Schritt thun kann, ohne
um seine Aufenthaltskarte befragt zu werden, und wo man sich bei jedem Gast-
hofswechsel frisch einschreiben lassen muß. Ebensowenig mischt sich die russische
Polizei in der Weise des Kaisers Napoleon in häusliche Angelegenheiten. In


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[0397] Reihe der Nationen, ist allein dieses! kein Volk Kar je größer gedacht als das unsere von der Würde des Menschen, keines die demokratische Tugend der Menschenliebe werkthätiger geübt. Durch eine eigene Fügung fällt mit der heutigen Feier der Beginn des preußischen Landtags zusammen. Zur Freude Aller, zur Beschämung Vieler unter uns haben unsre Nachbarn jüngst bei den Wahlen bewiesen, daß unter den Deutschen noch etwas lebe von dem „Charakter des Kriegers", der sich zu opfern weiß. Opfer hat dies Volk gebracht — und schwerer als solche, die sich schätzen lassen nach dem Tauscbwcrthc — für die Erfüllung einer ernsten Bürgerpflicht. Uns ziemt es zu bekennen, daß wir wissein diese Thaten des Bürgersinnes sind auch für uns vollbracht worden. Hoffen wir, daß über dem an so verheißungsvollem Tage begonnenen Landtage der Geist des Mannes walte, dem wir den Spruch verdanken: „Charakter haben und Deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend." Bilder aus der russischen Gesellschaft. ^-'^ Das politische Lustspiel. — Opernmusik. Der russische Kalender ist hinter dem unsern um zwölf Tage zurück. Wie weit ist Rußland in andern Dingen hinter uns zurückgeblieben? Die Antwort lautet: in vielen wichtigen Dingen sind wir ihm um Jahrhunderte voraus, in andern nur um Jahrzehnte; wieder in andern höchstens um einige Jahre, wäh¬ rend einige sind, in denen es uns nie gleichkommen wird, weil der slavische Geist eben ein andrer ist, als der germanische. Beispiele für diese Behauptungen anzuführen wird unnöthig sein. Doch mag eins hier Platz finden. Um einen Vergleich zwischen der russischen Polizei und irgend einer andern aufzustellen, bei welchem beide sich fast vollkommen gleichen, müssen wir auf die Alguazils des Gil Blas zurückgehen. Die Be¬ amten sind der Fluch Rußlands, und die schlimmsten von diesen Blutsaugern an den Lebensadern des Volkes sind die Polizeibeamten. Nicht daß die russische Gendarmerie die Reisenden übel behandelte, wie man gewöhnlich annimmt. Selbst die Paßquälerei ist von den Touristen, von denen einer in den Fu߬ tapfen des andern geht, sehr übertrieben worden. Auf keinen Fall ist sie so groß wie im kaiserlichen Frankreich, wo man fast keinen Schritt thun kann, ohne um seine Aufenthaltskarte befragt zu werden, und wo man sich bei jedem Gast- hofswechsel frisch einschreiben lassen muß. Ebensowenig mischt sich die russische Polizei in der Weise des Kaisers Napoleon in häusliche Angelegenheiten. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/397>, abgerufen am 05.01.2025.