Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.Nach Dio starben an dieser Seuche, in welcher man neuerdings die Pocken er¬ "So zahlreiche, mannigfache und furchtbare Uebel", schließt unser Verfasser Zur Erinnerung um Fichte. Vortrag gehalten zu Leipzig am 19. Mai von Heinrich von Treitschke. In rascher Folge haben sich in den jüngsten Jahren die Feste gedrängt, Nach Dio starben an dieser Seuche, in welcher man neuerdings die Pocken er¬ „So zahlreiche, mannigfache und furchtbare Uebel", schließt unser Verfasser Zur Erinnerung um Fichte. Vortrag gehalten zu Leipzig am 19. Mai von Heinrich von Treitschke. In rascher Folge haben sich in den jüngsten Jahren die Feste gedrängt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114160"/> <p xml:id="ID_1223" prev="#ID_1222"> Nach Dio starben an dieser Seuche, in welcher man neuerdings die Pocken er¬<lb/> kennen will, in Rom an einem einzigen Tage oft zweitausend Menschen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1224"> „So zahlreiche, mannigfache und furchtbare Uebel", schließt unser Verfasser<lb/> sein Kapitel, „erinnerten auch in dem goldnen Rom immer von Neuem an das<lb/> Wort Varro's: das Land ist göttlichen Ursprungs, die Städte von Menschen¬<lb/> hand gebaut."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Zur Erinnerung um Fichte.<lb/> Vortrag gehalten zu Leipzig am 19. Mai von Heinrich von Treitschke.</head><lb/> <p xml:id="ID_1225" next="#ID_1226"> In rascher Folge haben sich in den jüngsten Jahren die Feste gedrängt,<lb/> welche das Andenken der großen Männer unsres Volkes feierten. Aber laut<lb/> und schneidend klingen in den Jubel der Menge die fragenden Stimmen der<lb/> Mahnung und des Spottes: ob wir denn gar nicht müde werden uns behaglich<lb/> die Hände zu wärmen an dem Feuer vergangener Größe? ob uns denn gar zu<lb/> wohl sei in dem Bewußtsein einer epigonenhaften Zeit? ob wir denn ganz ver¬<lb/> gessen, daß alle Straßen und Plätze von Athen prunkvoll geschmückt waren<lb/> mit den Standbildern seiner großen Männer zur Zeit, da Griechenland des<lb/> Eroberers Beute ward? —Nicht ein Wort mag ich erwidern auf den Vorwurf,<lb/> daß wir in einem Zeitalter der Epigonen lebten. Denn mit solchem Willen<lb/> soll eine jede Zeit sich rüsten, als ob sie die erste sei, als ob das Höchste und<lb/> Herrlichste gerade ihr zu erreichen bestimmt sei; und ruhig mögen wir einem<lb/> späteren Jahrhundert überlassen zu entscheiden, ob unser Streben ein ursprüng¬<lb/> liches gewesen — wie ich denn sicher hoffe, es werde unsern Tagen dies Lob<lb/> dereinst nicht fehlen. Aber wohl gebührt, sich eine Antwort aus den anderen<lb/> Vorwurf der Selbstbespiegelung. Nein, nicht die Eitelkeit, nicht einmal jene<lb/> ehrenwerthe Pietät, die andere Völker treibt ihre großen Todten zu ehren —^<lb/> ein tieferes Bedürfniß der Seelen ist es, was gerade jetzt gerade unser Volk be¬<lb/> wegt seiner Helden zu gedenken mit einer Innigkeit, die von den Fremden<lb/> vielleicht nur der Italiener versteht. Auf uns lastet das Verhängniß, daß wir<lb/> staatlosen Deutschen die Idee des Vaterlandes nicht mit Händen greifen an</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0380]
Nach Dio starben an dieser Seuche, in welcher man neuerdings die Pocken er¬
kennen will, in Rom an einem einzigen Tage oft zweitausend Menschen.
„So zahlreiche, mannigfache und furchtbare Uebel", schließt unser Verfasser
sein Kapitel, „erinnerten auch in dem goldnen Rom immer von Neuem an das
Wort Varro's: das Land ist göttlichen Ursprungs, die Städte von Menschen¬
hand gebaut."
Zur Erinnerung um Fichte.
Vortrag gehalten zu Leipzig am 19. Mai von Heinrich von Treitschke.
In rascher Folge haben sich in den jüngsten Jahren die Feste gedrängt,
welche das Andenken der großen Männer unsres Volkes feierten. Aber laut
und schneidend klingen in den Jubel der Menge die fragenden Stimmen der
Mahnung und des Spottes: ob wir denn gar nicht müde werden uns behaglich
die Hände zu wärmen an dem Feuer vergangener Größe? ob uns denn gar zu
wohl sei in dem Bewußtsein einer epigonenhaften Zeit? ob wir denn ganz ver¬
gessen, daß alle Straßen und Plätze von Athen prunkvoll geschmückt waren
mit den Standbildern seiner großen Männer zur Zeit, da Griechenland des
Eroberers Beute ward? —Nicht ein Wort mag ich erwidern auf den Vorwurf,
daß wir in einem Zeitalter der Epigonen lebten. Denn mit solchem Willen
soll eine jede Zeit sich rüsten, als ob sie die erste sei, als ob das Höchste und
Herrlichste gerade ihr zu erreichen bestimmt sei; und ruhig mögen wir einem
späteren Jahrhundert überlassen zu entscheiden, ob unser Streben ein ursprüng¬
liches gewesen — wie ich denn sicher hoffe, es werde unsern Tagen dies Lob
dereinst nicht fehlen. Aber wohl gebührt, sich eine Antwort aus den anderen
Vorwurf der Selbstbespiegelung. Nein, nicht die Eitelkeit, nicht einmal jene
ehrenwerthe Pietät, die andere Völker treibt ihre großen Todten zu ehren —^
ein tieferes Bedürfniß der Seelen ist es, was gerade jetzt gerade unser Volk be¬
wegt seiner Helden zu gedenken mit einer Innigkeit, die von den Fremden
vielleicht nur der Italiener versteht. Auf uns lastet das Verhängniß, daß wir
staatlosen Deutschen die Idee des Vaterlandes nicht mit Händen greifen an
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