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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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sie besiegt hatte, so wünschen auch wir lieber nicht eher etwas von den Russen
zu erfahren, als bis wir genöthigt sind sie zu bekämpfen."




Die letzte Woche in Preußen.

-Zwei hochwichtige Ereignisse nehmen zu gleicher Zeit die leidenschaftliche
Theilnahme der Preußen in Anspruch-, die Eröffnung der Kammern und die
Verwickelung in Kurhessen. Jedermann wird fühlbar, wie sehr die innern Ver¬
hältnisse des Staates durch die äußern beeinflußt werden, sowohl die Taktik der
Parteien, und ihre Stellung zum Ministerium, als die Stimmungen, welche
zwischen Volk und Krone auf und nieder schweben.

Der glänzende Sieg der Fortschrittspartei bei den Wahlen hat auch außer¬
halb Deutschlands eine mächtige Wirkung ausgeübt und die Achtung vor
Preußen in wenig Tagen höher gesteigert, als es den diplomatischen Noten
seit mehren Jahren gelungen war. So bedeutsam wirkt jede Entwicklung von
Volkskraft in einem Verfassungsstaate, so lebendig sind die Sympathien, welche
.jeder Aeußerung von Energie in Preußen zuströmen.

Wer in Deutschland irgendwie liberale Sympathien hatte, mußte zunächst
wünschen, daß alle liberalen Fra-ctionen in Preußen durch engen Anschluß an
einander die gegenwärtige Aeußerung der Volksstimmung unwiderstehlich mach¬
ten. Wenn aber dies^ wie sich leider gezeigt hat, nicht möglich war, so mußte
er wieder für das Zweckmäßigste halten, daß eine der beiden liberalen Frac-
tionen, Altliberale oder Fortschrittsmänner, ein so entschiedenes Uebergewicht
erhalte, daß die Majorität der zweiten Kammer ihr gesichert, und ihre Herr¬
schaft bei den Abstimmungen eine unbedingte sei. Denn dieselbe Partei ist in
durchaus anderer Lage, wenn die ganze volle Verantwortlichkeit eines Beschlus¬
ses auf ihr allein ruht, als wenn sie sich nur wie ein Gewicht in balanciren-
der Wagschaale betrachtet. Da nun aber ein Sieg der altliberalen Partei unter
den gegenwärtigen Umständen unmöglich war, so war es sehr wünschenswert!),
daß die Fortschrittspartei allein mehr als die Hälfte der Kammermitglieder
zähle. Gerade dieser jungen, heißblutigen, leicht aufgeregten Partei,' welche das
seltene Schicksal erlebt hat, im dritten Jahre nach ihrem Entstehen die Volks¬
stimmung fast souverain zu beherrschen, war die moralische Zucht nothwendig,


sie besiegt hatte, so wünschen auch wir lieber nicht eher etwas von den Russen
zu erfahren, als bis wir genöthigt sind sie zu bekämpfen."




Die letzte Woche in Preußen.

-Zwei hochwichtige Ereignisse nehmen zu gleicher Zeit die leidenschaftliche
Theilnahme der Preußen in Anspruch-, die Eröffnung der Kammern und die
Verwickelung in Kurhessen. Jedermann wird fühlbar, wie sehr die innern Ver¬
hältnisse des Staates durch die äußern beeinflußt werden, sowohl die Taktik der
Parteien, und ihre Stellung zum Ministerium, als die Stimmungen, welche
zwischen Volk und Krone auf und nieder schweben.

Der glänzende Sieg der Fortschrittspartei bei den Wahlen hat auch außer¬
halb Deutschlands eine mächtige Wirkung ausgeübt und die Achtung vor
Preußen in wenig Tagen höher gesteigert, als es den diplomatischen Noten
seit mehren Jahren gelungen war. So bedeutsam wirkt jede Entwicklung von
Volkskraft in einem Verfassungsstaate, so lebendig sind die Sympathien, welche
.jeder Aeußerung von Energie in Preußen zuströmen.

Wer in Deutschland irgendwie liberale Sympathien hatte, mußte zunächst
wünschen, daß alle liberalen Fra-ctionen in Preußen durch engen Anschluß an
einander die gegenwärtige Aeußerung der Volksstimmung unwiderstehlich mach¬
ten. Wenn aber dies^ wie sich leider gezeigt hat, nicht möglich war, so mußte
er wieder für das Zweckmäßigste halten, daß eine der beiden liberalen Frac-
tionen, Altliberale oder Fortschrittsmänner, ein so entschiedenes Uebergewicht
erhalte, daß die Majorität der zweiten Kammer ihr gesichert, und ihre Herr¬
schaft bei den Abstimmungen eine unbedingte sei. Denn dieselbe Partei ist in
durchaus anderer Lage, wenn die ganze volle Verantwortlichkeit eines Beschlus¬
ses auf ihr allein ruht, als wenn sie sich nur wie ein Gewicht in balanciren-
der Wagschaale betrachtet. Da nun aber ein Sieg der altliberalen Partei unter
den gegenwärtigen Umständen unmöglich war, so war es sehr wünschenswert!),
daß die Fortschrittspartei allein mehr als die Hälfte der Kammermitglieder
zähle. Gerade dieser jungen, heißblutigen, leicht aufgeregten Partei,' welche das
seltene Schicksal erlebt hat, im dritten Jahre nach ihrem Entstehen die Volks¬
stimmung fast souverain zu beherrschen, war die moralische Zucht nothwendig,


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[0358] sie besiegt hatte, so wünschen auch wir lieber nicht eher etwas von den Russen zu erfahren, als bis wir genöthigt sind sie zu bekämpfen." Die letzte Woche in Preußen. -Zwei hochwichtige Ereignisse nehmen zu gleicher Zeit die leidenschaftliche Theilnahme der Preußen in Anspruch-, die Eröffnung der Kammern und die Verwickelung in Kurhessen. Jedermann wird fühlbar, wie sehr die innern Ver¬ hältnisse des Staates durch die äußern beeinflußt werden, sowohl die Taktik der Parteien, und ihre Stellung zum Ministerium, als die Stimmungen, welche zwischen Volk und Krone auf und nieder schweben. Der glänzende Sieg der Fortschrittspartei bei den Wahlen hat auch außer¬ halb Deutschlands eine mächtige Wirkung ausgeübt und die Achtung vor Preußen in wenig Tagen höher gesteigert, als es den diplomatischen Noten seit mehren Jahren gelungen war. So bedeutsam wirkt jede Entwicklung von Volkskraft in einem Verfassungsstaate, so lebendig sind die Sympathien, welche .jeder Aeußerung von Energie in Preußen zuströmen. Wer in Deutschland irgendwie liberale Sympathien hatte, mußte zunächst wünschen, daß alle liberalen Fra-ctionen in Preußen durch engen Anschluß an einander die gegenwärtige Aeußerung der Volksstimmung unwiderstehlich mach¬ ten. Wenn aber dies^ wie sich leider gezeigt hat, nicht möglich war, so mußte er wieder für das Zweckmäßigste halten, daß eine der beiden liberalen Frac- tionen, Altliberale oder Fortschrittsmänner, ein so entschiedenes Uebergewicht erhalte, daß die Majorität der zweiten Kammer ihr gesichert, und ihre Herr¬ schaft bei den Abstimmungen eine unbedingte sei. Denn dieselbe Partei ist in durchaus anderer Lage, wenn die ganze volle Verantwortlichkeit eines Beschlus¬ ses auf ihr allein ruht, als wenn sie sich nur wie ein Gewicht in balanciren- der Wagschaale betrachtet. Da nun aber ein Sieg der altliberalen Partei unter den gegenwärtigen Umständen unmöglich war, so war es sehr wünschenswert!), daß die Fortschrittspartei allein mehr als die Hälfte der Kammermitglieder zähle. Gerade dieser jungen, heißblutigen, leicht aufgeregten Partei,' welche das seltene Schicksal erlebt hat, im dritten Jahre nach ihrem Entstehen die Volks¬ stimmung fast souverain zu beherrschen, war die moralische Zucht nothwendig,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/358>, abgerufen am 05.01.2025.