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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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portirt werden sonnten. Im Uebrigen behandelte die Regierung diese Fremden
mit viel Rücksicht. Man gestattete nam während des Kriegs sich nach Hause
zu begeben (mit Ausnahme einiger auf den russischen Dampfern im Asowschen
und Schwarzen Meer dienenden Ingenieure) und stellte denen, welche nach¬
wiesen, daß wichtige Geschäfte sie nach England riefen, sogar Pässe zur Rück¬
kehr nach Rußland aus. "Nach? der Kriegserklärung deutete Graf Zagrewsky,
Gouverneur von Moskau, dem Pfarrer der dortigen englischen Kirche die Noth¬
wendigkeit an. in der Litanei das Gebet wegzulassen, daß Ihrer Majestät Waf¬
fen "mit dem Sieg über alle ihre Feinde begnadigt werden möchten". Der
Reverend Mr. Grey erwiederte, daß er entweder alle oder keine Gebete ablesen
müsse, und wendete sich zu gleicher Zeit an den Kaiser in Se. Petersburg, der
ihm sofort Erlaubniß ertheilte, den Gottesdienst seiner Kirche ohne Abänderung
oder Weglassung fortzusehen".

Für solche Großherzigkeit segnete der russische Gott aber auch sein Volk,
indem er im erleuchteten England wieder großherzige oder besser weitherzige
Seelen erweckte, die so wenig von dem Interesse ihres Volks erfüllt waren,
daß sie reichlich Raum für das Interesse des Czaren übrig behielten und mun¬
ter und flott in der Themse und im Clvde für Rußland Kriegsdampfer bauen
konnten, als ob die Königin Victoria und Kaiser Nikolaus die besten Freunde
gewesen wären.




Preußen und die kurhessische Frage.

Endlich, so scheint es, soll in Kurhessen dem Recht Genüge geleistet und
Ordnung geschafft werden. Ein Ultimatum ist, so lesen wir, nach Kassel abge¬
gangen, und die in den Provinzen Sachsen und Westphalen stehenden preußi¬
schen Armeecorps haben Befehl erhalten, sich marschfertig zu machen. Es war
die höchste Zeit dem raschen rücksichtslosen Handeln der kurhessischen Negierung,
dem widerwilligen Zögern der Mehrheit im Bundestag und der an Preußens
entschiedenem Willen fast verzweifelnden öffentlichen Meinung gegenüber.

Wiederholt, aber jedesmal vergebliche hat die hessische Regierung versucht,
auf Grund der octroyirten Verfassung von 1860 einen Landtag zu Stande zu
bringen, der diese Verfassung scmctioniren sollte. Das Land hat beinahe ein-


portirt werden sonnten. Im Uebrigen behandelte die Regierung diese Fremden
mit viel Rücksicht. Man gestattete nam während des Kriegs sich nach Hause
zu begeben (mit Ausnahme einiger auf den russischen Dampfern im Asowschen
und Schwarzen Meer dienenden Ingenieure) und stellte denen, welche nach¬
wiesen, daß wichtige Geschäfte sie nach England riefen, sogar Pässe zur Rück¬
kehr nach Rußland aus. „Nach? der Kriegserklärung deutete Graf Zagrewsky,
Gouverneur von Moskau, dem Pfarrer der dortigen englischen Kirche die Noth¬
wendigkeit an. in der Litanei das Gebet wegzulassen, daß Ihrer Majestät Waf¬
fen „mit dem Sieg über alle ihre Feinde begnadigt werden möchten". Der
Reverend Mr. Grey erwiederte, daß er entweder alle oder keine Gebete ablesen
müsse, und wendete sich zu gleicher Zeit an den Kaiser in Se. Petersburg, der
ihm sofort Erlaubniß ertheilte, den Gottesdienst seiner Kirche ohne Abänderung
oder Weglassung fortzusehen".

Für solche Großherzigkeit segnete der russische Gott aber auch sein Volk,
indem er im erleuchteten England wieder großherzige oder besser weitherzige
Seelen erweckte, die so wenig von dem Interesse ihres Volks erfüllt waren,
daß sie reichlich Raum für das Interesse des Czaren übrig behielten und mun¬
ter und flott in der Themse und im Clvde für Rußland Kriegsdampfer bauen
konnten, als ob die Königin Victoria und Kaiser Nikolaus die besten Freunde
gewesen wären.




Preußen und die kurhessische Frage.

Endlich, so scheint es, soll in Kurhessen dem Recht Genüge geleistet und
Ordnung geschafft werden. Ein Ultimatum ist, so lesen wir, nach Kassel abge¬
gangen, und die in den Provinzen Sachsen und Westphalen stehenden preußi¬
schen Armeecorps haben Befehl erhalten, sich marschfertig zu machen. Es war
die höchste Zeit dem raschen rücksichtslosen Handeln der kurhessischen Negierung,
dem widerwilligen Zögern der Mehrheit im Bundestag und der an Preußens
entschiedenem Willen fast verzweifelnden öffentlichen Meinung gegenüber.

Wiederholt, aber jedesmal vergebliche hat die hessische Regierung versucht,
auf Grund der octroyirten Verfassung von 1860 einen Landtag zu Stande zu
bringen, der diese Verfassung scmctioniren sollte. Das Land hat beinahe ein-


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[0319] portirt werden sonnten. Im Uebrigen behandelte die Regierung diese Fremden mit viel Rücksicht. Man gestattete nam während des Kriegs sich nach Hause zu begeben (mit Ausnahme einiger auf den russischen Dampfern im Asowschen und Schwarzen Meer dienenden Ingenieure) und stellte denen, welche nach¬ wiesen, daß wichtige Geschäfte sie nach England riefen, sogar Pässe zur Rück¬ kehr nach Rußland aus. „Nach? der Kriegserklärung deutete Graf Zagrewsky, Gouverneur von Moskau, dem Pfarrer der dortigen englischen Kirche die Noth¬ wendigkeit an. in der Litanei das Gebet wegzulassen, daß Ihrer Majestät Waf¬ fen „mit dem Sieg über alle ihre Feinde begnadigt werden möchten". Der Reverend Mr. Grey erwiederte, daß er entweder alle oder keine Gebete ablesen müsse, und wendete sich zu gleicher Zeit an den Kaiser in Se. Petersburg, der ihm sofort Erlaubniß ertheilte, den Gottesdienst seiner Kirche ohne Abänderung oder Weglassung fortzusehen". Für solche Großherzigkeit segnete der russische Gott aber auch sein Volk, indem er im erleuchteten England wieder großherzige oder besser weitherzige Seelen erweckte, die so wenig von dem Interesse ihres Volks erfüllt waren, daß sie reichlich Raum für das Interesse des Czaren übrig behielten und mun¬ ter und flott in der Themse und im Clvde für Rußland Kriegsdampfer bauen konnten, als ob die Königin Victoria und Kaiser Nikolaus die besten Freunde gewesen wären. Preußen und die kurhessische Frage. Endlich, so scheint es, soll in Kurhessen dem Recht Genüge geleistet und Ordnung geschafft werden. Ein Ultimatum ist, so lesen wir, nach Kassel abge¬ gangen, und die in den Provinzen Sachsen und Westphalen stehenden preußi¬ schen Armeecorps haben Befehl erhalten, sich marschfertig zu machen. Es war die höchste Zeit dem raschen rücksichtslosen Handeln der kurhessischen Negierung, dem widerwilligen Zögern der Mehrheit im Bundestag und der an Preußens entschiedenem Willen fast verzweifelnden öffentlichen Meinung gegenüber. Wiederholt, aber jedesmal vergebliche hat die hessische Regierung versucht, auf Grund der octroyirten Verfassung von 1860 einen Landtag zu Stande zu bringen, der diese Verfassung scmctioniren sollte. Das Land hat beinahe ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/319>, abgerufen am 05.01.2025.