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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Die Stimm MM" der preußischen Partei in Deutschland.

Verehrte Redaction!

Gestatten Sie einem alten Mitarbeiter der Grenzboten fortan zuweilen von
den Wünschen und Befürchtungen zu schreiben, welche bei den Anhängern Preu¬
ßens außerhalb der preußischen Grenzen in der gegenwärtigen kritischen Lage
des Staats laut werden. Nirgend vielleicht in Deutschland ist die Zahl treuer
Preußen so groß als in den Landschaften zwischen'" Harz und Thüringer
Wald, und nirgend empfindet der Einzelne so schmerzlich als hier, daß ihm bei
den Gefahren, welche jetzt einer gesunden Entwicklung preußischer Verhältnisse
drohen, wenig Anderes übrig bleibt, als die-Rolle eines leidenden Zuschauers.

In Ur. 14 der Grenzboten war bei einer Skizze Massua's und der Bogos-
länder gegen einen warmherzigen und patriotischen Fürsten Thüringens ein lei¬
ser Vorwurf ausgesprochen, daß er gerade jetzt Muße zu einer weiteren Reise
gefunden habe. Weshalb sollte er gerade jetzt nicht reisen? Eine Fahrt nach
dem Nil und an die Küste des Rothen Meeres ist kaum beschwerlicher und zeit¬
raubender, als im vorigen Jahrhundert eine Reise ni die Alpen der Schweiz.
Und den Berliner Ereignissen gegenüber sind unsere Fürsten, wie eifrig und
patriotisch sie empfinden mögen, fast genau so einflußlos, als jeder Privatmann.
Und wahrscheinlich fühlen sie die Unmöglichkeit zu helfen nicht weniger pein¬
lich, als wir Andern.

Unterdeß blickt man hier mit größter Spannung auf die beginnende Wahl¬
bewegung in Preußen. Es ist schon jetzt möglich, über den Ausfall der näch-
sten Wahlen eine Wahrscheinlichkeitsberechnung anzustellen. Die Warnungen
und Wahlbefchlc der neuen Minister werden allerdings eine Wirkung aus¬
üben, die Minister haben sich selbst zuzuschreiben, wenn das Resultat nicht ganz
ihren Wünschen entspricht. Ohne Zweifel werden die Junkerpartei und die
willfährigen Beamten dem Ministerium eine Anzahl Stimmen in den Landkreisen
zu werben wissen. Wer die erregte Stimmung des Landes rin den Er¬
fahrungen früherer Jahre zusammenhält, der wird schwerlich einen bedeutenden
Rechnungsfehler machen, wenn er den Gewinn des Ministeriums auf ungefähr
30 Stimmen anschlägt. Ein theuer erkaufter und unfruchtbarer Gewinn.
Denn diese dreißig Stimmen sind ungenügend, dem Ministerium eine Hilfe zu
gewähre". Aber was noch mißlicher ist, sie werden nicht der Fortschrittspartei,
sondern den Altlib'crater verloren gehen. Und diese Fraction, welche noch in
der vorletzten Session die Majorität in der Hand hielt, wird voraussichtlich zu
einer Minderzahl zusammenschmelzen, welche auch bei irgend einer glücklichen
Combination von Zufällen schwerlich im Stande wäre, weder einem Ministe-


Die Stimm MM» der preußischen Partei in Deutschland.

Verehrte Redaction!

Gestatten Sie einem alten Mitarbeiter der Grenzboten fortan zuweilen von
den Wünschen und Befürchtungen zu schreiben, welche bei den Anhängern Preu¬
ßens außerhalb der preußischen Grenzen in der gegenwärtigen kritischen Lage
des Staats laut werden. Nirgend vielleicht in Deutschland ist die Zahl treuer
Preußen so groß als in den Landschaften zwischen'« Harz und Thüringer
Wald, und nirgend empfindet der Einzelne so schmerzlich als hier, daß ihm bei
den Gefahren, welche jetzt einer gesunden Entwicklung preußischer Verhältnisse
drohen, wenig Anderes übrig bleibt, als die-Rolle eines leidenden Zuschauers.

In Ur. 14 der Grenzboten war bei einer Skizze Massua's und der Bogos-
länder gegen einen warmherzigen und patriotischen Fürsten Thüringens ein lei¬
ser Vorwurf ausgesprochen, daß er gerade jetzt Muße zu einer weiteren Reise
gefunden habe. Weshalb sollte er gerade jetzt nicht reisen? Eine Fahrt nach
dem Nil und an die Küste des Rothen Meeres ist kaum beschwerlicher und zeit¬
raubender, als im vorigen Jahrhundert eine Reise ni die Alpen der Schweiz.
Und den Berliner Ereignissen gegenüber sind unsere Fürsten, wie eifrig und
patriotisch sie empfinden mögen, fast genau so einflußlos, als jeder Privatmann.
Und wahrscheinlich fühlen sie die Unmöglichkeit zu helfen nicht weniger pein¬
lich, als wir Andern.

Unterdeß blickt man hier mit größter Spannung auf die beginnende Wahl¬
bewegung in Preußen. Es ist schon jetzt möglich, über den Ausfall der näch-
sten Wahlen eine Wahrscheinlichkeitsberechnung anzustellen. Die Warnungen
und Wahlbefchlc der neuen Minister werden allerdings eine Wirkung aus¬
üben, die Minister haben sich selbst zuzuschreiben, wenn das Resultat nicht ganz
ihren Wünschen entspricht. Ohne Zweifel werden die Junkerpartei und die
willfährigen Beamten dem Ministerium eine Anzahl Stimmen in den Landkreisen
zu werben wissen. Wer die erregte Stimmung des Landes rin den Er¬
fahrungen früherer Jahre zusammenhält, der wird schwerlich einen bedeutenden
Rechnungsfehler machen, wenn er den Gewinn des Ministeriums auf ungefähr
30 Stimmen anschlägt. Ein theuer erkaufter und unfruchtbarer Gewinn.
Denn diese dreißig Stimmen sind ungenügend, dem Ministerium eine Hilfe zu
gewähre«. Aber was noch mißlicher ist, sie werden nicht der Fortschrittspartei,
sondern den Altlib'crater verloren gehen. Und diese Fraction, welche noch in
der vorletzten Session die Majorität in der Hand hielt, wird voraussichtlich zu
einer Minderzahl zusammenschmelzen, welche auch bei irgend einer glücklichen
Combination von Zufällen schwerlich im Stande wäre, weder einem Ministe-


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[0124] Die Stimm MM» der preußischen Partei in Deutschland. Verehrte Redaction! Gestatten Sie einem alten Mitarbeiter der Grenzboten fortan zuweilen von den Wünschen und Befürchtungen zu schreiben, welche bei den Anhängern Preu¬ ßens außerhalb der preußischen Grenzen in der gegenwärtigen kritischen Lage des Staats laut werden. Nirgend vielleicht in Deutschland ist die Zahl treuer Preußen so groß als in den Landschaften zwischen'« Harz und Thüringer Wald, und nirgend empfindet der Einzelne so schmerzlich als hier, daß ihm bei den Gefahren, welche jetzt einer gesunden Entwicklung preußischer Verhältnisse drohen, wenig Anderes übrig bleibt, als die-Rolle eines leidenden Zuschauers. In Ur. 14 der Grenzboten war bei einer Skizze Massua's und der Bogos- länder gegen einen warmherzigen und patriotischen Fürsten Thüringens ein lei¬ ser Vorwurf ausgesprochen, daß er gerade jetzt Muße zu einer weiteren Reise gefunden habe. Weshalb sollte er gerade jetzt nicht reisen? Eine Fahrt nach dem Nil und an die Küste des Rothen Meeres ist kaum beschwerlicher und zeit¬ raubender, als im vorigen Jahrhundert eine Reise ni die Alpen der Schweiz. Und den Berliner Ereignissen gegenüber sind unsere Fürsten, wie eifrig und patriotisch sie empfinden mögen, fast genau so einflußlos, als jeder Privatmann. Und wahrscheinlich fühlen sie die Unmöglichkeit zu helfen nicht weniger pein¬ lich, als wir Andern. Unterdeß blickt man hier mit größter Spannung auf die beginnende Wahl¬ bewegung in Preußen. Es ist schon jetzt möglich, über den Ausfall der näch- sten Wahlen eine Wahrscheinlichkeitsberechnung anzustellen. Die Warnungen und Wahlbefchlc der neuen Minister werden allerdings eine Wirkung aus¬ üben, die Minister haben sich selbst zuzuschreiben, wenn das Resultat nicht ganz ihren Wünschen entspricht. Ohne Zweifel werden die Junkerpartei und die willfährigen Beamten dem Ministerium eine Anzahl Stimmen in den Landkreisen zu werben wissen. Wer die erregte Stimmung des Landes rin den Er¬ fahrungen früherer Jahre zusammenhält, der wird schwerlich einen bedeutenden Rechnungsfehler machen, wenn er den Gewinn des Ministeriums auf ungefähr 30 Stimmen anschlägt. Ein theuer erkaufter und unfruchtbarer Gewinn. Denn diese dreißig Stimmen sind ungenügend, dem Ministerium eine Hilfe zu gewähre«. Aber was noch mißlicher ist, sie werden nicht der Fortschrittspartei, sondern den Altlib'crater verloren gehen. Und diese Fraction, welche noch in der vorletzten Session die Majorität in der Hand hielt, wird voraussichtlich zu einer Minderzahl zusammenschmelzen, welche auch bei irgend einer glücklichen Combination von Zufällen schwerlich im Stande wäre, weder einem Ministe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/124>, abgerufen am 05.01.2025.