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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Böhmische Weihnachtsbriiuche.

Wir haben in diesen Blättern wiederholt schon die deutsche Weihnachtswelt
mit ihren seltsamen Gestalten und Gebräuchen, ihrer eignen Stimmung, ihren
zu Heiligen oder Possenreißern gewordenen Göttern.und ihrem ganzen wun¬
derlichen Spuk und Zauber zu schildern versucht. Wenn wir dem im Nach¬
stehenden ähnliche Bilder aus Böhmen folgen lassen, so veranlaßt uns dazu
zunächst der Umstand, daß sich hier die beiden Arten, auf welche das Fest be¬
gangen wird, die christliche, welche die Krippe des Christuskindes, und die
aus dem Heidenthum stammende, welche den lichterbesteckten Tannenbaum
zum Mittelpunkt hat, neben einander erhalten haben und sich hier und da
mit einander mischen.

Das Material liefert uns der "Festkalender aus Böhmen" des Freiherrn
von Reinsberg-Düringsfeld*). in welchem die, welche Ausführlicheres wün¬
schen, eine Fülle von Detail zusammengetragen finden.

Wie im Norden und Westen Deutschlands gehen auch hier dem Weih¬
nachtstage gewisse Vorboten und Herolde voraus, vorzüglich, um die Kinder
zu schrecken oder zu beschenken. Wie dort der Pelzmärten, ^der Ruhklas. der
Ruprecht und der Schimmelreiter in den Dörfern spuken, Erinnerungen an
den Umzug des alten Wuotan, so hier mehr solche possenhafte oder schauer¬
liche Gestalten, welche an die Göttin Perckta erinnern. Während unter den
Deutschböhmen noch wie im Meißnischen der "Knecht Ruprecht" in seiner
Eigenschaft eines Dieners des heiligen Christ in der Woche vor dem Feste
umherwandert, sich in den Familien nach dem Betragen der Kinder erkun¬
digt, sie beten läßt, die guten mit Aepfeln und Nüssen beschenkt, die unar¬
tigen mit der Ruthe bedroht, vertritt dessen Stelle in der Gegend von Ncu-
huus die "Lucka", d. h. Lucia, ein Bursch in Frauentracht und mit einem
aus Spähnen und Tüchern gebildeten langschnäbeliger Vogclkopf, der wie
jener an die guten Kinder Obst austheilt, die bösen aber mit seinem Schna¬
bel hackt, und von dem sogar, wie von der thüringischen Perchta, das Ge¬
rücht geht, daß er unfolgsamen Buben und Mädchen den Bauch aufschneide
und statt der Eingeweide Stroh und Steine hineinstopfe. Bezeichnend ist,
daß die Legende den Namen der heiligen Lucia von lux ableitet, womit die
Bedeutung des Namens Perchta zusammenfällt.

Neben diesen Umzügen verdunkelten Heidenthums gehen in der Reichen-



-) Prag, Verlag von I. L. Kober. 1861. Die Schlußiiefcrung ist soeben erschienen.
Böhmische Weihnachtsbriiuche.

Wir haben in diesen Blättern wiederholt schon die deutsche Weihnachtswelt
mit ihren seltsamen Gestalten und Gebräuchen, ihrer eignen Stimmung, ihren
zu Heiligen oder Possenreißern gewordenen Göttern.und ihrem ganzen wun¬
derlichen Spuk und Zauber zu schildern versucht. Wenn wir dem im Nach¬
stehenden ähnliche Bilder aus Böhmen folgen lassen, so veranlaßt uns dazu
zunächst der Umstand, daß sich hier die beiden Arten, auf welche das Fest be¬
gangen wird, die christliche, welche die Krippe des Christuskindes, und die
aus dem Heidenthum stammende, welche den lichterbesteckten Tannenbaum
zum Mittelpunkt hat, neben einander erhalten haben und sich hier und da
mit einander mischen.

Das Material liefert uns der „Festkalender aus Böhmen" des Freiherrn
von Reinsberg-Düringsfeld*). in welchem die, welche Ausführlicheres wün¬
schen, eine Fülle von Detail zusammengetragen finden.

Wie im Norden und Westen Deutschlands gehen auch hier dem Weih¬
nachtstage gewisse Vorboten und Herolde voraus, vorzüglich, um die Kinder
zu schrecken oder zu beschenken. Wie dort der Pelzmärten, ^der Ruhklas. der
Ruprecht und der Schimmelreiter in den Dörfern spuken, Erinnerungen an
den Umzug des alten Wuotan, so hier mehr solche possenhafte oder schauer¬
liche Gestalten, welche an die Göttin Perckta erinnern. Während unter den
Deutschböhmen noch wie im Meißnischen der „Knecht Ruprecht" in seiner
Eigenschaft eines Dieners des heiligen Christ in der Woche vor dem Feste
umherwandert, sich in den Familien nach dem Betragen der Kinder erkun¬
digt, sie beten läßt, die guten mit Aepfeln und Nüssen beschenkt, die unar¬
tigen mit der Ruthe bedroht, vertritt dessen Stelle in der Gegend von Ncu-
huus die „Lucka", d. h. Lucia, ein Bursch in Frauentracht und mit einem
aus Spähnen und Tüchern gebildeten langschnäbeliger Vogclkopf, der wie
jener an die guten Kinder Obst austheilt, die bösen aber mit seinem Schna¬
bel hackt, und von dem sogar, wie von der thüringischen Perchta, das Ge¬
rücht geht, daß er unfolgsamen Buben und Mädchen den Bauch aufschneide
und statt der Eingeweide Stroh und Steine hineinstopfe. Bezeichnend ist,
daß die Legende den Namen der heiligen Lucia von lux ableitet, womit die
Bedeutung des Namens Perchta zusammenfällt.

Neben diesen Umzügen verdunkelten Heidenthums gehen in der Reichen-



-) Prag, Verlag von I. L. Kober. 1861. Die Schlußiiefcrung ist soeben erschienen.
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[0456] Böhmische Weihnachtsbriiuche. Wir haben in diesen Blättern wiederholt schon die deutsche Weihnachtswelt mit ihren seltsamen Gestalten und Gebräuchen, ihrer eignen Stimmung, ihren zu Heiligen oder Possenreißern gewordenen Göttern.und ihrem ganzen wun¬ derlichen Spuk und Zauber zu schildern versucht. Wenn wir dem im Nach¬ stehenden ähnliche Bilder aus Böhmen folgen lassen, so veranlaßt uns dazu zunächst der Umstand, daß sich hier die beiden Arten, auf welche das Fest be¬ gangen wird, die christliche, welche die Krippe des Christuskindes, und die aus dem Heidenthum stammende, welche den lichterbesteckten Tannenbaum zum Mittelpunkt hat, neben einander erhalten haben und sich hier und da mit einander mischen. Das Material liefert uns der „Festkalender aus Böhmen" des Freiherrn von Reinsberg-Düringsfeld*). in welchem die, welche Ausführlicheres wün¬ schen, eine Fülle von Detail zusammengetragen finden. Wie im Norden und Westen Deutschlands gehen auch hier dem Weih¬ nachtstage gewisse Vorboten und Herolde voraus, vorzüglich, um die Kinder zu schrecken oder zu beschenken. Wie dort der Pelzmärten, ^der Ruhklas. der Ruprecht und der Schimmelreiter in den Dörfern spuken, Erinnerungen an den Umzug des alten Wuotan, so hier mehr solche possenhafte oder schauer¬ liche Gestalten, welche an die Göttin Perckta erinnern. Während unter den Deutschböhmen noch wie im Meißnischen der „Knecht Ruprecht" in seiner Eigenschaft eines Dieners des heiligen Christ in der Woche vor dem Feste umherwandert, sich in den Familien nach dem Betragen der Kinder erkun¬ digt, sie beten läßt, die guten mit Aepfeln und Nüssen beschenkt, die unar¬ tigen mit der Ruthe bedroht, vertritt dessen Stelle in der Gegend von Ncu- huus die „Lucka", d. h. Lucia, ein Bursch in Frauentracht und mit einem aus Spähnen und Tüchern gebildeten langschnäbeliger Vogclkopf, der wie jener an die guten Kinder Obst austheilt, die bösen aber mit seinem Schna¬ bel hackt, und von dem sogar, wie von der thüringischen Perchta, das Ge¬ rücht geht, daß er unfolgsamen Buben und Mädchen den Bauch aufschneide und statt der Eingeweide Stroh und Steine hineinstopfe. Bezeichnend ist, daß die Legende den Namen der heiligen Lucia von lux ableitet, womit die Bedeutung des Namens Perchta zusammenfällt. Neben diesen Umzügen verdunkelten Heidenthums gehen in der Reichen- -) Prag, Verlag von I. L. Kober. 1861. Die Schlußiiefcrung ist soeben erschienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/456>, abgerufen am 27.12.2024.