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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Lebenserinnerungen und Briefwechsel von Friedrich von Raumer.
Zwei Bünde. Leipzig. Brockhaus.

Wir werden diese Mittheilungen, welche uns der achtzigjährige, noch
immer liebenswürdige Greis aus seinem Leben gibt, nicht dazu benutzen,
eine Kritik feiner verschiedenartigen Leistungen aus den mannigfaltigen Ge¬
bieten, auf denen er sich bewegt hat. zu versuchen; ohnehin steht das Urtheil
darüber ziemlich fest. Wie er selbst nicht eine vollständige Geschichte seines
Lebens gibt, sondern nur einzelne Züge, Anekdoten und Einfälle, wie sie
ihm gerade im Gedächtniß liegen, so wollen auch wir uns die Freiheit neh¬
men, an dem, was er uns mittheilt, bloß zu naschen, und dasjenige her-
vorzuheizen, was gerade unseren Interessen nahe liegt. Nur so viel über das
Allgemeine: das ganze Buch ist durchweg unterhaltend, unterhaltend für Je¬
den und. setzen wir hinzu, mehr unterhaltend als belehrend.

Die Anekdoten und Späße aus dem Gymnasiasten- und Studentenleben
lassen wir beiseite, obgleich' sich der Verfasser darin recht wohlgefällt; ähn¬
liche Erinnerungen wird wohl Jeder in feiner eigenen Erfahrung finden;
nur ein Bedauern wollen wir aussprechen, daß er über Achin von Armin
nicht mehr erzählt', mit dem er zusammen studirte.

12. Januar 1807 schreibt ihm Schleicrmncher aus Halle über seine po¬
litischen Ansichten, in denen einige Aeußerungen interessant sind. "Die An¬
schauung der französischen Armee hat mich überzeugt, daß an eine dauernde
Herrschaft dieser Macht über unser festes Land nicht zU denken ist. und was
Man von der französischen Verwaltung sieht, scheint nicht mehr Sorge zu er¬
regen." -- "Um ein neues Deutschland zu haben, muß wol das alte noch
viel weiter zertrümmert werden. Außerdem, daß ich ein Deutscher bin, habe
ich wirklich aus vielen Gründen die Schwachheit, ein Preuße zu sein, zu
großem Aerger Ihres' Bruders und Steffens'. Aber freilich geht meine Lei-
denschaft auf eine Idee von Preußen, welche vielleicht in der Erscheinung die
Wenigsten erkennen. Ob sich nun diese nach der gegenwärtigen Krisis besser
herausarbeiten wird, steht dahin; vieles Gute erscheint mir fast unvermeid¬
lich." -- Man freut sich über diesen gesunden, festen, politischen Sinn bei


Grenjbotm IV. 1861. 46
Lebenserinnerungen und Briefwechsel von Friedrich von Raumer.
Zwei Bünde. Leipzig. Brockhaus.

Wir werden diese Mittheilungen, welche uns der achtzigjährige, noch
immer liebenswürdige Greis aus seinem Leben gibt, nicht dazu benutzen,
eine Kritik feiner verschiedenartigen Leistungen aus den mannigfaltigen Ge¬
bieten, auf denen er sich bewegt hat. zu versuchen; ohnehin steht das Urtheil
darüber ziemlich fest. Wie er selbst nicht eine vollständige Geschichte seines
Lebens gibt, sondern nur einzelne Züge, Anekdoten und Einfälle, wie sie
ihm gerade im Gedächtniß liegen, so wollen auch wir uns die Freiheit neh¬
men, an dem, was er uns mittheilt, bloß zu naschen, und dasjenige her-
vorzuheizen, was gerade unseren Interessen nahe liegt. Nur so viel über das
Allgemeine: das ganze Buch ist durchweg unterhaltend, unterhaltend für Je¬
den und. setzen wir hinzu, mehr unterhaltend als belehrend.

Die Anekdoten und Späße aus dem Gymnasiasten- und Studentenleben
lassen wir beiseite, obgleich' sich der Verfasser darin recht wohlgefällt; ähn¬
liche Erinnerungen wird wohl Jeder in feiner eigenen Erfahrung finden;
nur ein Bedauern wollen wir aussprechen, daß er über Achin von Armin
nicht mehr erzählt', mit dem er zusammen studirte.

12. Januar 1807 schreibt ihm Schleicrmncher aus Halle über seine po¬
litischen Ansichten, in denen einige Aeußerungen interessant sind. „Die An¬
schauung der französischen Armee hat mich überzeugt, daß an eine dauernde
Herrschaft dieser Macht über unser festes Land nicht zU denken ist. und was
Man von der französischen Verwaltung sieht, scheint nicht mehr Sorge zu er¬
regen." — „Um ein neues Deutschland zu haben, muß wol das alte noch
viel weiter zertrümmert werden. Außerdem, daß ich ein Deutscher bin, habe
ich wirklich aus vielen Gründen die Schwachheit, ein Preuße zu sein, zu
großem Aerger Ihres' Bruders und Steffens'. Aber freilich geht meine Lei-
denschaft auf eine Idee von Preußen, welche vielleicht in der Erscheinung die
Wenigsten erkennen. Ob sich nun diese nach der gegenwärtigen Krisis besser
herausarbeiten wird, steht dahin; vieles Gute erscheint mir fast unvermeid¬
lich." — Man freut sich über diesen gesunden, festen, politischen Sinn bei


Grenjbotm IV. 1861. 46
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[0371] Lebenserinnerungen und Briefwechsel von Friedrich von Raumer. Zwei Bünde. Leipzig. Brockhaus. Wir werden diese Mittheilungen, welche uns der achtzigjährige, noch immer liebenswürdige Greis aus seinem Leben gibt, nicht dazu benutzen, eine Kritik feiner verschiedenartigen Leistungen aus den mannigfaltigen Ge¬ bieten, auf denen er sich bewegt hat. zu versuchen; ohnehin steht das Urtheil darüber ziemlich fest. Wie er selbst nicht eine vollständige Geschichte seines Lebens gibt, sondern nur einzelne Züge, Anekdoten und Einfälle, wie sie ihm gerade im Gedächtniß liegen, so wollen auch wir uns die Freiheit neh¬ men, an dem, was er uns mittheilt, bloß zu naschen, und dasjenige her- vorzuheizen, was gerade unseren Interessen nahe liegt. Nur so viel über das Allgemeine: das ganze Buch ist durchweg unterhaltend, unterhaltend für Je¬ den und. setzen wir hinzu, mehr unterhaltend als belehrend. Die Anekdoten und Späße aus dem Gymnasiasten- und Studentenleben lassen wir beiseite, obgleich' sich der Verfasser darin recht wohlgefällt; ähn¬ liche Erinnerungen wird wohl Jeder in feiner eigenen Erfahrung finden; nur ein Bedauern wollen wir aussprechen, daß er über Achin von Armin nicht mehr erzählt', mit dem er zusammen studirte. 12. Januar 1807 schreibt ihm Schleicrmncher aus Halle über seine po¬ litischen Ansichten, in denen einige Aeußerungen interessant sind. „Die An¬ schauung der französischen Armee hat mich überzeugt, daß an eine dauernde Herrschaft dieser Macht über unser festes Land nicht zU denken ist. und was Man von der französischen Verwaltung sieht, scheint nicht mehr Sorge zu er¬ regen." — „Um ein neues Deutschland zu haben, muß wol das alte noch viel weiter zertrümmert werden. Außerdem, daß ich ein Deutscher bin, habe ich wirklich aus vielen Gründen die Schwachheit, ein Preuße zu sein, zu großem Aerger Ihres' Bruders und Steffens'. Aber freilich geht meine Lei- denschaft auf eine Idee von Preußen, welche vielleicht in der Erscheinung die Wenigsten erkennen. Ob sich nun diese nach der gegenwärtigen Krisis besser herausarbeiten wird, steht dahin; vieles Gute erscheint mir fast unvermeid¬ lich." — Man freut sich über diesen gesunden, festen, politischen Sinn bei Grenjbotm IV. 1861. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/371>, abgerufen am 23.07.2024.