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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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behaupten -- hinsichtlich des niederen Unterrichts so gut wie nichts. Denn
obgleich die Lehrer der freien Künste das Bürgerrecht in Cäsars Todesjahre
erhielten, obgleich man die hohen Schulen begünstigte und auch den Gram¬
matikern neben den Philosophen und Rhetoren Zuschüsse aus Gemeindemitteln
und der Staatskasse gewährte, so war dies doch ein Bauen von oben' herab:
der Elementarunterricht behielt seinen naturwüchsigen, privaten Charakter und
es geschah nichts, um deu wegen seiner Kümmerlichkeit und Lohnarbeit ver¬
H- G, achteten Stand der Volkslehr'er zu heben.




Ungarische Zustände.

Kaum in einem andern Lande Europas können die innern Verhältnisse
so verwickelt sein als in Ungarn, wo seit der Völkerwanderung so viele Trüm¬
mer vorder- und hinterasiatischer Volksstämme durch einander gewürfelt sind,
von denen keiner Culturelemente genug besaß, um die übrigen sich zu assimi-
liren. Der kriegerische Stamm der Magyaren unterwarf die friedlichen Völker,
beherrschte sie. verlieh ihnen eine Schablone der Verwaltung, ließ sie aber in
ihrem innerlichen Wesen unberührt, weil er selbst die Cultur erst von civili-
sirten Nachbarvölkern in bescheidenem Maaße aufnahm. Daher finden wir in
Ungarn alle christlichen Confessionen. fast alle Sprachen Europas, aber nir¬
gends haben sich diese Gegensätze zu einem Fortschritt angeregt. sondern be-
stehen unvermittelt neben einander. Wenn daher endlich dem deutschen Stamme
die Suprematie zugefallen ist. so hat dieß seinen guten Grund in der höheren
Intelligenz und der geistigen Thatkraft, welche er besitzt. Von Deutschen
empfing Ungarn das Christenthum, die Reformation. Städtewesen. Handwerk.
Bergbau. Handel und Industrie. Wollte man aus der jungen Literatur Un¬
garns die deutschen Einflüsse ausscheiden, so würde so gut wie nichts Eigenes
übrig bleiben. Namentlich haben die Protestanten ihre Gymnasien nach
deutschen Mustern organisirt. viele ihrer Theologen haben in Deutschland stu-
dirt. und ihre höheren Schulen sind die einzigen Lehranstalten, auf denen
humanistische Studien Pflege finden, aus denen man Griechisch lehrt. Die ur¬
alten Cultureinflüsse Deutschlands lassen sich sogar an der ungarischen Sprache
nachweisen, obschon diese der mongolisch-altaischen Sprachfcimiiie angehört.


Grenzboten III. iLlil, 8

behaupten — hinsichtlich des niederen Unterrichts so gut wie nichts. Denn
obgleich die Lehrer der freien Künste das Bürgerrecht in Cäsars Todesjahre
erhielten, obgleich man die hohen Schulen begünstigte und auch den Gram¬
matikern neben den Philosophen und Rhetoren Zuschüsse aus Gemeindemitteln
und der Staatskasse gewährte, so war dies doch ein Bauen von oben' herab:
der Elementarunterricht behielt seinen naturwüchsigen, privaten Charakter und
es geschah nichts, um deu wegen seiner Kümmerlichkeit und Lohnarbeit ver¬
H- G, achteten Stand der Volkslehr'er zu heben.




Ungarische Zustände.

Kaum in einem andern Lande Europas können die innern Verhältnisse
so verwickelt sein als in Ungarn, wo seit der Völkerwanderung so viele Trüm¬
mer vorder- und hinterasiatischer Volksstämme durch einander gewürfelt sind,
von denen keiner Culturelemente genug besaß, um die übrigen sich zu assimi-
liren. Der kriegerische Stamm der Magyaren unterwarf die friedlichen Völker,
beherrschte sie. verlieh ihnen eine Schablone der Verwaltung, ließ sie aber in
ihrem innerlichen Wesen unberührt, weil er selbst die Cultur erst von civili-
sirten Nachbarvölkern in bescheidenem Maaße aufnahm. Daher finden wir in
Ungarn alle christlichen Confessionen. fast alle Sprachen Europas, aber nir¬
gends haben sich diese Gegensätze zu einem Fortschritt angeregt. sondern be-
stehen unvermittelt neben einander. Wenn daher endlich dem deutschen Stamme
die Suprematie zugefallen ist. so hat dieß seinen guten Grund in der höheren
Intelligenz und der geistigen Thatkraft, welche er besitzt. Von Deutschen
empfing Ungarn das Christenthum, die Reformation. Städtewesen. Handwerk.
Bergbau. Handel und Industrie. Wollte man aus der jungen Literatur Un¬
garns die deutschen Einflüsse ausscheiden, so würde so gut wie nichts Eigenes
übrig bleiben. Namentlich haben die Protestanten ihre Gymnasien nach
deutschen Mustern organisirt. viele ihrer Theologen haben in Deutschland stu-
dirt. und ihre höheren Schulen sind die einzigen Lehranstalten, auf denen
humanistische Studien Pflege finden, aus denen man Griechisch lehrt. Die ur¬
alten Cultureinflüsse Deutschlands lassen sich sogar an der ungarischen Sprache
nachweisen, obschon diese der mongolisch-altaischen Sprachfcimiiie angehört.


Grenzboten III. iLlil, 8
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[0067] behaupten — hinsichtlich des niederen Unterrichts so gut wie nichts. Denn obgleich die Lehrer der freien Künste das Bürgerrecht in Cäsars Todesjahre erhielten, obgleich man die hohen Schulen begünstigte und auch den Gram¬ matikern neben den Philosophen und Rhetoren Zuschüsse aus Gemeindemitteln und der Staatskasse gewährte, so war dies doch ein Bauen von oben' herab: der Elementarunterricht behielt seinen naturwüchsigen, privaten Charakter und es geschah nichts, um deu wegen seiner Kümmerlichkeit und Lohnarbeit ver¬ H- G, achteten Stand der Volkslehr'er zu heben. Ungarische Zustände. Kaum in einem andern Lande Europas können die innern Verhältnisse so verwickelt sein als in Ungarn, wo seit der Völkerwanderung so viele Trüm¬ mer vorder- und hinterasiatischer Volksstämme durch einander gewürfelt sind, von denen keiner Culturelemente genug besaß, um die übrigen sich zu assimi- liren. Der kriegerische Stamm der Magyaren unterwarf die friedlichen Völker, beherrschte sie. verlieh ihnen eine Schablone der Verwaltung, ließ sie aber in ihrem innerlichen Wesen unberührt, weil er selbst die Cultur erst von civili- sirten Nachbarvölkern in bescheidenem Maaße aufnahm. Daher finden wir in Ungarn alle christlichen Confessionen. fast alle Sprachen Europas, aber nir¬ gends haben sich diese Gegensätze zu einem Fortschritt angeregt. sondern be- stehen unvermittelt neben einander. Wenn daher endlich dem deutschen Stamme die Suprematie zugefallen ist. so hat dieß seinen guten Grund in der höheren Intelligenz und der geistigen Thatkraft, welche er besitzt. Von Deutschen empfing Ungarn das Christenthum, die Reformation. Städtewesen. Handwerk. Bergbau. Handel und Industrie. Wollte man aus der jungen Literatur Un¬ garns die deutschen Einflüsse ausscheiden, so würde so gut wie nichts Eigenes übrig bleiben. Namentlich haben die Protestanten ihre Gymnasien nach deutschen Mustern organisirt. viele ihrer Theologen haben in Deutschland stu- dirt. und ihre höheren Schulen sind die einzigen Lehranstalten, auf denen humanistische Studien Pflege finden, aus denen man Griechisch lehrt. Die ur¬ alten Cultureinflüsse Deutschlands lassen sich sogar an der ungarischen Sprache nachweisen, obschon diese der mongolisch-altaischen Sprachfcimiiie angehört. Grenzboten III. iLlil, 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/67>, abgerufen am 22.12.2024.