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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Der Volkslmterricht im Alterthume.

Die Bildung der hellenischen Jugend im heroischen Zeitalter erstreckte sich
mehr auf den Körper als auf die geistigen Kräfte. Mit Kunst und Anstand
die gymnischen Uebungen des Wettlaufs, Ringens, Diskuswerfens und Faust¬
kampfs auszuführen, wurden die reiferen Knaben und Jünglinge gelehrt oder
sie lernten es durch eigene Uebung unter Anweisung kundigerer und älterer
Genossen. Die Ausbildung des Geistes beschränkte sich auf einen kleinen Kreis
praktischer Kenntnisse, durch welche theils die Sittlichkeit geweckt und gestärkt,
theils das Auffassungs- und Urtheilsvermögen geschärft werden sollte. Dahin
gehört das Einprägen nützlicher Sentenzen und Lebensregeln, der wichtigsten
Notizen aus der Kräuter- und Heilkunde und der einen Einblick in die ein¬
fachen Rechtsverhältnisse jener Zeit bedingenden Vorkenntnisse, vielleicht auch
schon der Unterricht im Lesen und Schreiben der hieroglyphenartigen Schrift-
Zeichen, auf deren Vorhandensein wenigstens im homerischen Zeitalter einige
Spuren hinweisen. Ausdrücklich erwähnt wird serner die Unterweisung im
Saitenspiel und Gesang, welche der Sage nach bereits Herakles von Linos,
Achill von Chiron genossen haben sollen. Aber ein Gemeingut der Nation
waren diese Kenntnisse nicht, und nur die Söhne der Vornehmen und Edlen
wurden in dieselben eingeweiht. Die Gesetzgeber der historischen Zeit erkann¬
ten recht wol den Einfluß der Erziehung und des Unterrichts auf das Wohl
der Staaten, und wenn auch der Athener Solon die Pädagogik nicht so eng
mit dem Staatsorganismus verband als der Dorier Lykurg, so suchte er
doch durch Gebote mancherlei Art die sittliche Reinheit der zu seiner Zeit be¬
reits bestehenden Schulen zu erhalten oder wiederherzustellen. Wir wissen z. B.,
daß er anordnete, die Schulen sollen nicht vor Sonnenaufgang geöffnet und vor
Sonnenuntergang geschlossen werden; kein Erwachsener sollte bei Todesstrafe die
Schulftuben während des Unterrichts betreten und gewisse Beamte sollten die An¬
stalten beaufsichtigen. Vielleicht rührte auch das von Platon erwähnte allgemeine
Gesetz, daß Jeder seinen Sohn in den Musenkünsten und der Gymnastik unter¬
richten lassen sollte, von Solon her. Aber wenn es auch vorgekommen sein
mag, daß der Areopag in seiner ethisch-pädagogischen Befugniß gegen Eltern,


Grenzboten III. 1L6I. 6
Der Volkslmterricht im Alterthume.

Die Bildung der hellenischen Jugend im heroischen Zeitalter erstreckte sich
mehr auf den Körper als auf die geistigen Kräfte. Mit Kunst und Anstand
die gymnischen Uebungen des Wettlaufs, Ringens, Diskuswerfens und Faust¬
kampfs auszuführen, wurden die reiferen Knaben und Jünglinge gelehrt oder
sie lernten es durch eigene Uebung unter Anweisung kundigerer und älterer
Genossen. Die Ausbildung des Geistes beschränkte sich auf einen kleinen Kreis
praktischer Kenntnisse, durch welche theils die Sittlichkeit geweckt und gestärkt,
theils das Auffassungs- und Urtheilsvermögen geschärft werden sollte. Dahin
gehört das Einprägen nützlicher Sentenzen und Lebensregeln, der wichtigsten
Notizen aus der Kräuter- und Heilkunde und der einen Einblick in die ein¬
fachen Rechtsverhältnisse jener Zeit bedingenden Vorkenntnisse, vielleicht auch
schon der Unterricht im Lesen und Schreiben der hieroglyphenartigen Schrift-
Zeichen, auf deren Vorhandensein wenigstens im homerischen Zeitalter einige
Spuren hinweisen. Ausdrücklich erwähnt wird serner die Unterweisung im
Saitenspiel und Gesang, welche der Sage nach bereits Herakles von Linos,
Achill von Chiron genossen haben sollen. Aber ein Gemeingut der Nation
waren diese Kenntnisse nicht, und nur die Söhne der Vornehmen und Edlen
wurden in dieselben eingeweiht. Die Gesetzgeber der historischen Zeit erkann¬
ten recht wol den Einfluß der Erziehung und des Unterrichts auf das Wohl
der Staaten, und wenn auch der Athener Solon die Pädagogik nicht so eng
mit dem Staatsorganismus verband als der Dorier Lykurg, so suchte er
doch durch Gebote mancherlei Art die sittliche Reinheit der zu seiner Zeit be¬
reits bestehenden Schulen zu erhalten oder wiederherzustellen. Wir wissen z. B.,
daß er anordnete, die Schulen sollen nicht vor Sonnenaufgang geöffnet und vor
Sonnenuntergang geschlossen werden; kein Erwachsener sollte bei Todesstrafe die
Schulftuben während des Unterrichts betreten und gewisse Beamte sollten die An¬
stalten beaufsichtigen. Vielleicht rührte auch das von Platon erwähnte allgemeine
Gesetz, daß Jeder seinen Sohn in den Musenkünsten und der Gymnastik unter¬
richten lassen sollte, von Solon her. Aber wenn es auch vorgekommen sein
mag, daß der Areopag in seiner ethisch-pädagogischen Befugniß gegen Eltern,


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[0051] Der Volkslmterricht im Alterthume. Die Bildung der hellenischen Jugend im heroischen Zeitalter erstreckte sich mehr auf den Körper als auf die geistigen Kräfte. Mit Kunst und Anstand die gymnischen Uebungen des Wettlaufs, Ringens, Diskuswerfens und Faust¬ kampfs auszuführen, wurden die reiferen Knaben und Jünglinge gelehrt oder sie lernten es durch eigene Uebung unter Anweisung kundigerer und älterer Genossen. Die Ausbildung des Geistes beschränkte sich auf einen kleinen Kreis praktischer Kenntnisse, durch welche theils die Sittlichkeit geweckt und gestärkt, theils das Auffassungs- und Urtheilsvermögen geschärft werden sollte. Dahin gehört das Einprägen nützlicher Sentenzen und Lebensregeln, der wichtigsten Notizen aus der Kräuter- und Heilkunde und der einen Einblick in die ein¬ fachen Rechtsverhältnisse jener Zeit bedingenden Vorkenntnisse, vielleicht auch schon der Unterricht im Lesen und Schreiben der hieroglyphenartigen Schrift- Zeichen, auf deren Vorhandensein wenigstens im homerischen Zeitalter einige Spuren hinweisen. Ausdrücklich erwähnt wird serner die Unterweisung im Saitenspiel und Gesang, welche der Sage nach bereits Herakles von Linos, Achill von Chiron genossen haben sollen. Aber ein Gemeingut der Nation waren diese Kenntnisse nicht, und nur die Söhne der Vornehmen und Edlen wurden in dieselben eingeweiht. Die Gesetzgeber der historischen Zeit erkann¬ ten recht wol den Einfluß der Erziehung und des Unterrichts auf das Wohl der Staaten, und wenn auch der Athener Solon die Pädagogik nicht so eng mit dem Staatsorganismus verband als der Dorier Lykurg, so suchte er doch durch Gebote mancherlei Art die sittliche Reinheit der zu seiner Zeit be¬ reits bestehenden Schulen zu erhalten oder wiederherzustellen. Wir wissen z. B., daß er anordnete, die Schulen sollen nicht vor Sonnenaufgang geöffnet und vor Sonnenuntergang geschlossen werden; kein Erwachsener sollte bei Todesstrafe die Schulftuben während des Unterrichts betreten und gewisse Beamte sollten die An¬ stalten beaufsichtigen. Vielleicht rührte auch das von Platon erwähnte allgemeine Gesetz, daß Jeder seinen Sohn in den Musenkünsten und der Gymnastik unter¬ richten lassen sollte, von Solon her. Aber wenn es auch vorgekommen sein mag, daß der Areopag in seiner ethisch-pädagogischen Befugniß gegen Eltern, Grenzboten III. 1L6I. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/51>, abgerufen am 13.11.2024.