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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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und daß sie ihre Stärke statt in der Demuth des sogenannten "friedlichen
Handels" wieder in der eigenen Wehrhaftigkeit und in der Verbindung mit
dem nationalen Gemeinwesen, dem sie angehören, suchen. Es ist jetzt die
Gelegenheit vorhanden, daß sie zunächst im Anschluß an diejenige Macht,
welche die größte Strecke des deutschen Küstenlandes und von Königsberg bis
Stralsund zugleich die meisten Seestädte der alten wehrhaften Hansa begreift,
auf's Neue eine Kriegsflotte gründen und dadurch ihrer Handelsschifffahrt und
dem Wohlstande Deutschlands eine Sicherheit verleihen, deren Mangel grade
Hamburg und Bremen noch vor wenigen Jahren am Schmerzlichsten empfanden.




Die Pariser Kunstausstellung von 186! und die bildende Kunst
des 19. Jahrhunderts in Frankreich.
4.
Die Stellung der Malerei zum Zeitalter. Die religiöse Kunst
der Gegenwart.

Das moderne Culturleben Frankreich's, wie es in der Architektur und
auf der Bühne zur Erscheinung kommt, haben wir nur so weit berührt, als
es in den Nahmen der Gegenwart geht. Die Literatur erregte unser Interesse
nur sofern sie der Ausdruck der gegenwärtigen Sitte, Denk- und Lebensweise
ist, und von den bildenden Künsten hat allein die Malerei eine wirkliche Ge¬
schichte, einen fruchtbaren Entwicklungsgang.

In der Sculptur wie in der Baukunst ist das Zeitalter mehr oder weni¬
ger auf die Reproduction angewiesen; eines eigenthümlichen Styls kann es
sich weder in der einen noch in der andern rühmen. Es hat keine religiös
Phantasie, welche sich getrieben fühlte, ihren dunkeln Formtrieb bewußtlos
und ahnungsvoll in große Steinmassen niederzulegen, die gleichsam die Stätte
würden für die Ideale des Herzens; es findet seinen Gott und seine Götter
in der eigenen Brust und in dem lebendigen Pulsschlag der Geschichte, in
es mit Hellem Bewußtsein und Willen eingetreten ist. Die Baukunst ist fu/
die Zeit zur dienenden Form ihrer praktischen Zwecke geworden, und soll die>e
Form schön sein, so muß sich jene, wie wir gesehen, nachbildend an vergangene


und daß sie ihre Stärke statt in der Demuth des sogenannten „friedlichen
Handels" wieder in der eigenen Wehrhaftigkeit und in der Verbindung mit
dem nationalen Gemeinwesen, dem sie angehören, suchen. Es ist jetzt die
Gelegenheit vorhanden, daß sie zunächst im Anschluß an diejenige Macht,
welche die größte Strecke des deutschen Küstenlandes und von Königsberg bis
Stralsund zugleich die meisten Seestädte der alten wehrhaften Hansa begreift,
auf's Neue eine Kriegsflotte gründen und dadurch ihrer Handelsschifffahrt und
dem Wohlstande Deutschlands eine Sicherheit verleihen, deren Mangel grade
Hamburg und Bremen noch vor wenigen Jahren am Schmerzlichsten empfanden.




Die Pariser Kunstausstellung von 186! und die bildende Kunst
des 19. Jahrhunderts in Frankreich.
4.
Die Stellung der Malerei zum Zeitalter. Die religiöse Kunst
der Gegenwart.

Das moderne Culturleben Frankreich's, wie es in der Architektur und
auf der Bühne zur Erscheinung kommt, haben wir nur so weit berührt, als
es in den Nahmen der Gegenwart geht. Die Literatur erregte unser Interesse
nur sofern sie der Ausdruck der gegenwärtigen Sitte, Denk- und Lebensweise
ist, und von den bildenden Künsten hat allein die Malerei eine wirkliche Ge¬
schichte, einen fruchtbaren Entwicklungsgang.

In der Sculptur wie in der Baukunst ist das Zeitalter mehr oder weni¬
ger auf die Reproduction angewiesen; eines eigenthümlichen Styls kann es
sich weder in der einen noch in der andern rühmen. Es hat keine religiös
Phantasie, welche sich getrieben fühlte, ihren dunkeln Formtrieb bewußtlos
und ahnungsvoll in große Steinmassen niederzulegen, die gleichsam die Stätte
würden für die Ideale des Herzens; es findet seinen Gott und seine Götter
in der eigenen Brust und in dem lebendigen Pulsschlag der Geschichte, in
es mit Hellem Bewußtsein und Willen eingetreten ist. Die Baukunst ist fu/
die Zeit zur dienenden Form ihrer praktischen Zwecke geworden, und soll die>e
Form schön sein, so muß sich jene, wie wir gesehen, nachbildend an vergangene


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[0378] und daß sie ihre Stärke statt in der Demuth des sogenannten „friedlichen Handels" wieder in der eigenen Wehrhaftigkeit und in der Verbindung mit dem nationalen Gemeinwesen, dem sie angehören, suchen. Es ist jetzt die Gelegenheit vorhanden, daß sie zunächst im Anschluß an diejenige Macht, welche die größte Strecke des deutschen Küstenlandes und von Königsberg bis Stralsund zugleich die meisten Seestädte der alten wehrhaften Hansa begreift, auf's Neue eine Kriegsflotte gründen und dadurch ihrer Handelsschifffahrt und dem Wohlstande Deutschlands eine Sicherheit verleihen, deren Mangel grade Hamburg und Bremen noch vor wenigen Jahren am Schmerzlichsten empfanden. Die Pariser Kunstausstellung von 186! und die bildende Kunst des 19. Jahrhunderts in Frankreich. 4. Die Stellung der Malerei zum Zeitalter. Die religiöse Kunst der Gegenwart. Das moderne Culturleben Frankreich's, wie es in der Architektur und auf der Bühne zur Erscheinung kommt, haben wir nur so weit berührt, als es in den Nahmen der Gegenwart geht. Die Literatur erregte unser Interesse nur sofern sie der Ausdruck der gegenwärtigen Sitte, Denk- und Lebensweise ist, und von den bildenden Künsten hat allein die Malerei eine wirkliche Ge¬ schichte, einen fruchtbaren Entwicklungsgang. In der Sculptur wie in der Baukunst ist das Zeitalter mehr oder weni¬ ger auf die Reproduction angewiesen; eines eigenthümlichen Styls kann es sich weder in der einen noch in der andern rühmen. Es hat keine religiös Phantasie, welche sich getrieben fühlte, ihren dunkeln Formtrieb bewußtlos und ahnungsvoll in große Steinmassen niederzulegen, die gleichsam die Stätte würden für die Ideale des Herzens; es findet seinen Gott und seine Götter in der eigenen Brust und in dem lebendigen Pulsschlag der Geschichte, in es mit Hellem Bewußtsein und Willen eingetreten ist. Die Baukunst ist fu/ die Zeit zur dienenden Form ihrer praktischen Zwecke geworden, und soll die>e Form schön sein, so muß sich jene, wie wir gesehen, nachbildend an vergangene

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/378>, abgerufen am 13.11.2024.